Wunder haben ja bekanntlich nur eine begrenzte Dauer. "Das Wunder von Berlin", im ZDF gezeigt, dauerte 105 Minuten, wobei man auf dieses Wunder gut und gerne verzichten könnte. Es sollte ein zeitgeschichtliches Dokument werden und das Leben einer DDR-Familie während der politischen Wende 1989 bis zum Fall der Berliner Mauer zeigen. Mangels Mut für einen Mehrteiler zu diesem brisanten Thema nahmen die Autoren mehrere Einzel-Schicksale, warfen alles in einen großen Topf, reicherten es mit ein paar Originalaufnahmen von Damals an, rührten kurz um und heraus kam eine Story, die nichts Halbes und nichts Ganzes ist.
Marco Kaiser (Kostja Ullmann) ist ein Punk und wird bei einem illegalen Punkkonzert verhaftet. Sein Vater (Heino Ferch), ein halbhohes Tier beim Ministerium für Staatssicherheit, holt Marco und seine neue Freundin Anja (Karoline Herfurth) aus dem Gefängnis - aber nur unter der Bedingung, daß sich Marco 3 Jahre lang zum Dienst in der NVA verpflichtet. Während seiner Dienstzeit wandelt sich Marco vom Systemgegner zum linientreuen Vaterlandsverteidiger, ganz im Sinne seines Vaters, der es heimlich im Büro mit seiner Kollegin (Gesine Cukrowski) treibt und nebenbei in seiner Abteilung Tauschgeschäfte mit alkoholischen Getränken des Klassenfeindes betreibt. Das Leben in der DDR wird immer schwieriger, und so schließen sich Marcos Mutter (Veronica Ferres) und Anja der Friedensbewegung an, um Veränderungen im Lande zu erzwingen. Marcos Opa (Michael Gwisdek), ein alter Wehrmachtssoldat und geistig immer noch in Stalingrad, sieht sich als Bindeglied zwischen Marco und seiner Familie. Auch zwischen Marcos Eltern kriselt es. Der Vater will die politische Veränderungen nicht wahrhaben und wirft außerdem seiner Frau vor, die sportliche Karriere von Marco verhindert zu haben. Und auch Anja ist ihm ein Dorn im Auge, denn es gibt bei der Stasi eine Akte über sie, deren Inhalte viele Fragen aufwerfen.
Und so werden im gesamten Film viele weitere Nebenschauplätze eröffnet, ohne sich auf einige wenige zu konzentrieren: Anja ist angeblich Waise, die Stasi ist anderer Meinung, Marcos Freund aus der Punker-Clique arbeitet inoffiziell für die Stasi, Marcos Vorgesetzter in der NVA hat eine dunkle Vergangenheit, Marco als Dopingopfer usw. So bleibt als einzig spannendster Plot die Geschichte um Anjas Familientragödie im Gedächtnis haften.
Daß der Film nicht vollständig zum Rohrkrepierer mutiert, liegt an der hervorragenden Besetzung und dem darstellerischen Können jedes einzelnen Schauspielers. Allerdings möchte man den Filmemachern der Nation zurufen: Habt den Mut und besetzt bei zeitgeschichtlichen Stoffen Ost-Rollen auch mit Ost-Schauspielern! Als Zeitzeugen sind sie authentischer, weil sie auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können, die sich Westschauspieler erst anlesen und anlernen müssen. Und warum müssen bei solchen aufwendigen Produktionen immer Heino Ferch und Veronica Ferres die Hauptrollen übernehmen. Es wäre doch bei diesen beiden Künstlern sehr schade, wenn beim Zuschauer eine Übersättigung auftritt und man gelangweilt feststellt: Schon wieder der Ferch! Haben die nicht noch einen Anderen?
Und noch ein Manko, das auffällt: In den ersten Szenen berlinert Anja, dat et eene Freude is. Doch urplötzlich fällt sie ins Hochdeutsche und behält dies auch bis zum Schluß bei. Und das Marco in Felddienstuniform, noch dazu ohne Kopfbedeckung (ehemalige NVA-Angehörige werden wissen, was ich meine), seelenruhig durch Berlin schlendern kann, ohne daß es jemanden auffällt, ist ziemlich utopisch. Eine bessere Recherche, speziell in den Dienstvorschriften der NVA, wären hilfreich gewesen und hätten dem Film mehr Glaubwürdigkeit verliehen.
Heino Ferch beweist einmal mehr seine Extra-Klasse als Schauspieler und spielt seinen Part als Stasi-Offizier souverän. Allerdings vermasselt ihm das Drehbuch etwas Glaubwürdigkeit seiner Rolle. Und daß ihm die DDR-Erfahrung aus eigenem Erleben fehlt, merkt man ihm auch an einigen Stellen an.
Veronica Ferres als Marcos Mutter sammelt weiter Punkte für die nächste Wahl zur neuen "Mutter der Nation", wobei ihr dabei im Gegensatz zu Heino Ferch das Drehbuch hilft. So hat sie ein paar kurze, aber gefühlvoll gespielte Szenen, etwa als sie erkennt, daß der Verlauf der Geschichte eine andere Richtung nehmen wird als geplant.
Der eigentliche Star des Film ist Karoline Herfurth. Ihr nimmt man die gespielte Rolle am ehesten ab, was wohl auch daran liegt, daß sie in der DDR geboren wurde und sowas wie "Heimvorteil" hatte. Ohne sich in den Vordergrund zu spielen, zeigt sie die Zerbrechlichkeit ihrer Film-Figur durch die hereinbrechenden Ereignisse und beschert dem Film ein paar emotionsgeladene Momente, etwa als sie mit der Vergangenheit ihrer Eltern konfrontiert wird und die Wahrheit erfährt.
Kostja Ullmann als Marco nimmt man weder den Punk noch den linientreuen Vaterlandsverteidiger ab und schon gar nicht den Zugführer seiner Militäreinheit. Seine besten Szenen hat er im Zusammenspiel mit Karoline Herfurth, auch wenn es manchmal an einen Teeniefilm erinnert.
Gesine Cukrowski als Stasi-Mitarbeiterin ist am unglaubwürdigsten. Sie bemüht sich zwar in Ihrer Rolle, aber sie wirkt stets etwas fehlbesetzt: mal zu jung für ihren Dienstgrad, mal zu couragiert für ihre Dienststellung. Lediglich als Geliebte von Marcos Vater überzeugt Gesine Cukrowski mit ihrer Rolle. Und sie hat das gleiche Problem wie Karoline Herfurth - sie wechselt ständig von Hochdeutsch in Berliner Dialekt und umgekehrt.
Michael Gwisdek spielt Marcos Opa, und zwar so, wie man es von Gwisdek kennt: immer mit etwas Schalk im Nacken. Bei ihm reicht manchmal nur ein wenig Mimik und Gestik, um beim Zuschauer ein Schmunzeln hervorzurufen. Seine Figur kommentiert und pointiert die Ereignisse um ihn herum, sozusagen die Lage der Nation. Damit bringt er das schlingernde Schiff namens Filmstory immer wieder auf Kurs. Mit dem Ende der DDR endet auch sein Leben.
André Hennicke als Marcos Vorgesetzter spielt wieder mal eine sympathische Rolle und überzeugt restlos als Mann, der zwischen militärischem Gehorsam und Disziplin sowie Aufbegehren und Widerstand entscheiden muß. Der ruhige, vom Leben gezeichnete Mensch mit einer traurigen Vergangenheit sieht am Ende keinen Ausweg mehr als sich selbst zu richten, nicht ohne vorher noch sein Geheimnis Marco zu offenbaren. Hennickes Verdienst ist es, seiner Rolle so etwas wie Neutralität zu geben, die von beiden Seiten - Militärgegner und Militärbefürworter und damit auch Systemkritiker oder Systemverfechter - akzeptiert werden kann.
"Das Wunder von Berlin" blieb leider aus, zu lieblos wurde das Thema Wende, Mauerfall und die daraus resultierenden zwischenmenschlichen und persönlichen Konflikte abgearbeitet. Und alle Probleme auf eine einzige Familie zu fokussieren, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Schade, daß die Chance vertan wurde und der Filmtitel mehr verspricht als dem Zuschauer geboten wird. Auch eine erstklassige Besetzung kann dann nicht mehr verhindern, daß solch ein Film lediglich als Sonntagsfilm in Erinnerung bleibt und nicht als Film-Kunstwerk wie "Die Luftbrücke", "Dresden" oder "Die Flucht".