"Beowülf" ist eine russisch-amerikanisch-britische Koproduktion (zwischen S4C, HBO und BBC Wales) und wird bisweilen als Beitrag in der "Animated Epics" Reihe gelistet. Insofern könnte man "Beowülf" auch als Teil einer TV-Mini Serie betrachten. Da ich jedoch auf lediglich zwei weitere Produktionen gestoßen bin, welche zumindest die imdb ebenfalls unter "Animated Epics" listet ("Moby Dick" und "Don Quixote" aus dem Jahr 2000), jedoch inhaltlich keinerlei Zusammenhang zwischen jenen Literaturadaptionen besteht und die einzelnen Folgen auch zeitlich keine nennenswerte Nähe zueinander aufweisen, sollte man "Beowülf" wohl am besten als eigenständigen Kurzfilm betrachten. Schließlich wird die preisgekrönte, animierte Kurzfilmreihe "The Canterbury Tales" an entsprechender Stelle auch nicht unter "Animated Epics" geführt.
Regisseur Yuri Kulakov war indes auch an zwei Folgen von "Shakespeare: The Animated Tales" (nämlich "Macbeth und "Julius Caesar") beteiligt. Das Format und die Konzeption dieser Serie läßt sich mit "Beowülf" gut vergleichen. So handelt es sich bei "Beowülf" um einen knapp 27 minütigen Kurzfilm, der das legendäre, altenglische Heldengedicht in geraffter Form wiedergibt. Da es im Internet unzählige Beiträge gibt, welche sich mit dem Inhalt des Epos auseinandersetzen, verzichte ich an dieser Stelle auf eine ausführliche Inhaltsangabe. Nur soviel sei gesagt: Selbstverständlich beschränkt sich die Umsetzung auf die wichtigsten Entwicklungen innerhalb der Handlung und viele Aspekte werden entweder nur symbolisch angedeutet, kurz angerissen oder entfallen schlichtweg ganz. Dennoch macht dieser Kurzfilm der literarischen Vorlage keine Schande, betrachtet man ihn in erster Linie einmal nur als eine sehr passable Zusammenfassung des Gesamtwerks. Im Gegensatz zu der einen oder anderen Verfilmung, die den berühmten Namen geradezu mißbräuchlich verwendet...
Die Animationen wirken zunächst eher schlicht und krude. Wer ein Animationsfeuerwerk erwartet, das es mit der ersten Liga an Mangas aufnimmt, der wird sicher enttäuscht werden. Dennoch sind die Zeichnungen und Kolorationen sehr stimmungsvoll gelungen. Der Grundtenor ist sehr, sehr düster - passend zu den Inhalten. Der Ablauf der Handlung wird desöfteren lediglich stilisiert dargestellt. Wer temporeiche Action sucht, wird hier ergo ebenfalls kaum fündig werden. Hervorzuheben ist ferner, dass sich Kommentar und Dialoge an der Literaturvorlage orientieren (selbstverständlich an einer modernen Übersetzung des altenglischen Originals). So bleibt die Poetizität durchaus erhalten und die Verständlichkeit des Kontextes ist durch die sehr gelungene Auswahl der Passagen dennoch gegeben. Man sollte sich jedoch schon ein wenig mit dem Original beschäftigt haben, weil mit zunehmendem Verständnis der Struktur und des Sprachstils (es werden haufenweise metaphorische Umschreibungen verwandt - sogenannte "kennings" - wie z.B. "whale road" für Ozean, "sea rider" für Schiff, usw.) das ästhetische Empfinden positiv beeinflusst wird.
Fazit: Yuri Kulakovs "Beowülf" ist ein kleines aber bezauberndes Juwel, welches sowohl für Liebhaber animierter Kurzfilme, als auch für Fans der Thematik eine nette Bereicherung darstellen sollte. (8 / 10 Punkten)