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Dank des nach wie vor hohen Bekanntheitsgrades der „60er Jahre Ikone“ Uschi Obermaier gerät hin und wieder auch ihr Film "Rote Sonne" in den Fokus. Auch wenn er so nur Ende der 60er Jahre entstehen konnte, die erst den spielerischen Umgang mit kontroversen Themen ermöglichte, hat der Film sich seine Eigenständigkeit unabhängig von seiner Hauptdarstellerin und dem 60er Jahre Flair bewahrt. Regisseur Thome hatte in den früher 60er Jahren als Filmkritiker gearbeitet und man spürt in seinen Filmen, beginnend bei seinem Erstling „Detektive“ (1969), den Einfluss nicht nur der "Nouvelle Vague", sondern auch des amerikanischen Kinos, das sich Ende der 60er Jahre mit seiner Lässigkeit im gesellschaftskritischen Gestus selbst als "New Hollywood" neu definierte. „Rote Sonne“ setzte diese Vorbilder eigenständig um, biederte sich aber weder an, noch ahmte er sie nach, sondern wurde im besten Sinn ein deutscher Film.

Die ersten Minuten sind von einer unnachahmlichen Dichte, die alleine schon das damalige Lebensgefühl transportieren. Thomas (Marquard Bohm) sitzt im Fond eines Autos, während die Großstadt ihre Lichter auf sein unbewegtes Gesicht wirft. Er bittet den Fahrer um eine Zigarette, was dieser zum Anlass nimmt, sich über den schweigsamen Thomas zu beschweren, den er nur mitgenommen hätte, um sich mit ihm unterhalten zu können. Stattdessen hatte er zwei Stunden geschlafen, aber auch jetzt sieht er weder einen Grund, auf den Vorwurf zu reagieren, noch bemüht er sich um eine Konversation. Im Gegenteil - im Stile eines Autobesitzers, der seinem Chauffeur den Weg anweist, fordert er den Fahrer auf, ihn zu einer Diskothek zu fahren. Auf dessen Reaktion, es wäre nicht seine Richtung, erinnert ihn Thomas nur daran, dass der Weg dorthin nur zehn Minuten Umweg bedeuten würde.

Während der gesamten Szene richtet Regisseur Thome die Kamera ausschließlich auf Thomas und lässt den Fahrer nur aus dem Off reden. Das Wort "Coolness" war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfunden, aber wenn es eine Szene gibt, die im eigentlichen Sinne diesen Charakter verkörpert, dann diese. Erst als Thomas aussteigt, erkennt man den Mercedes Benz im Hintergrund. Thome verdeutlicht damit einerseits Thomas’ Respektlosigkeit vor bürgerlichen Statussymbolen, andererseits interessiert ihn auch keine ideologische Abwehrhaltung. Darin liegt die Besonderheit der "Roten Sonne", die auf jede Psychologisierung, politische Haltung oder sonstige Botschaft verzichtet – und sich damit deutlich von den gesellschaftskritischen Filmen dieser Zeit abhebt. Selbst der feministische Ansatz kommt ohne Zeigefinger aus und zeigte mit seinen vier sehr hübschen Darstellerinnen einen Mut, wie er im intellektuellen deutschen Film nicht üblich war.

Deshalb wird „Rote Sonne“ gerne in die Trash-Ecke geschoben, da auch die Story wild und Effekt heischend konstruiert wirkt. Dabei ist die Geschichte über die Frauen-Wohngemeinschaft, die sich die Regel gegeben hat, jeden Liebhaber spätestens nach fünf Tagen zu ermorden, reine Symbolik, die gar nicht erst versucht, realistisch zu wirken. Die Leichtigkeit und das spielerische Element stehen hier im Vordergrund, weshalb die Waffen unecht wirken und die Morde nur angedeutet werden. Ob dieser Eindruck zufällig entstand oder von Thome und seinem Drehbuchautor Max Zihlmann geplant war, bleibt nebensächlich - herausgekommen ist ein Film, dem man nicht anmerkt, dass er inszeniert wurde und bei dem sämtliche Protagonisten authentisch wirken. Allein ihre Sprache ist in ihrer Rigorosität, die einerseits kein Wort zu viel zu erlauben scheint, gleichzeitig aber auch von ausschmückender Vielfalt ist, gänzlich eigenständig.

Uschi Obermaier als Thomas Ex-Freundin Peggy ist von einer unglaublich lässigen Natürlichkeit, aber auch Diana Körner, die nach dem Film eine langjährige Fernsehkarriere startete, ist attraktiv, selbstbewusst und gleichzeitig verletzlich. Herausragend bleibt trotzdem Marquard Bohm, der alles gleichzeitig ist - wortkarg und gesprächig, machohaft und sensibel, traurig und hoffnungsfroh - und diese Mischung selbstverständlich ohne aufgesetzte Attitüde verkörpert. Ob man ihn für arrogant oder einen kleinen Jungen hält, bleibt Ansichtssache. Am besten beides gleichzeitig, denn damit repräsentiert er einen Film, der so künstlerisch wie spielerisch ist, albern und ernsthaft, der eine spannende Story erzählt und zeitweise einfach vor sich hin plätschert.

Dabei weist er eine Vielzahl beeindruckender Szenen auf. Besonders die fast 10-minütige Musikszene, bei der die Frauen und Thomas zur Musik von den "Small Faces" und "The Nice" tanzen und reden, vermittelt so unmittelbar den Zeitgeist, das man sie wiederholt ansehen möchte. Doch nicht allein das Lebensgefühl einer Epoche zeigt sich darin, sondern eine Modernität, die bis heute nachwirkt. Auch jenseits von 68er Romantik, politischem und gesellschaftlichem Aufbruch oder der Ikone Uschi Obermaier erschließt sich daraus die filmische Qualität von „Rote Sonne“. (10/10)

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