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Wackelkamera ist Geschmackssache. Ich kenne Leute, denen bei Woody Allens Husbands and Wifes speiübel wurde, weil Carlo Di Palmas Kamera sie seekrank machte. Andere vertragen das Taumeln des Blicks zwar physisch, finden es aber dennoch nervig oder uninspiriert. Medientheoretisch ist das ein Thema für sich. Hier nur ein paar Gedanken dazu.

Wenn es im Kino um Illusionen geht, um das Vorgaukeln von Wirklichkeiten, die sich zum Teil beträchtlich von der Erfahrungswelt des jeweiligen Zuschauers unterscheiden, und somit um eine Lüge, dann ist es doch gerade in unserem Medienzeitalter, in dem sogenannte Wahrheiten per Bild verbreitet werden, wichtig, den Zusammenhang zwischen Bild, Realität, Medium usw. zu thematisieren. Die Kamera lügt, so ist das nun mal. Soll sie auch, finde ich. Gefährlich wird es allerdings, wenn dieser Umstand vergessen wird.

Und genau hier setzen Filme wie Blair Witch, Rec. oder Cloverfield an. Sie benutzen die uns aus dem alltäglichen Erfahrungshorizont bekannte Bildästhetik der Handkamera (Urlaubs- und Geburtstagsvideos, Candid Camera, die 9-11-Handy- und Digicamaufnahmen oder auch als besonders prominentes Beispiel der Zapruder-Film vom Attentat auf JFK 1963), um die Glaubwürdigkeit heraufbeschwörenden Assoziationen, die wir mit derartigen Aufnahmen verbinden, auf völlig fiktive Filmhandlungen zu übertragen (so gesehen haben diese Filme mehr mit Orson Welles' F for Fake und Woody Allens Zelig zu tun, als mit Horror- oder Monsterfilmen). Das Auge der Kamera bewegt sich hier im Rahmen der natürlichen Bewegungen des menschlichen Blicks: rotierend um einen Punkt hinter der Linse und - getragen von zwei Beinen - sich ungleichmäßig fortbewegend. Dazu ist sie immer auf der Suche nach der wichtigen Information in der Welt da draußen (bei Cloverfield z.B. das Zoomen auf entfernte Explosionen und der nervöse Autofokus, der völlig hilflos durch die Tiefenebenen der Perspektive wechselt, wenn die Kamera ohne menschliche Führung im Gras liegt). Dadurch entsteht einerseits eine Authentisierung des inszenierten Bildes und andererseits eine erhöhte Unmittelbarkeit: der Zuschauer wird zur Kamera.

Was nun Cloverfield von Blair Witch unterscheidet ist die Verlagerung ins Action-Genre. Der Waldhexenfilm benutzte die Drohung des Nicht-Gesehenen und den Film im Kopf des Zuschauers, um eine dichte Spannung aufrechtzuerhalten ohne viel geschehen zu lassen (war da was oder war da nichts?). Cloverfield ist reines Actionkino im Subgenre des Monsterfilms. Es wird zwar nicht unbedingt alles gezeigt, weil der Blick oft genug dazu dient, Rettung zu finden, statt die Bedrohung zu identifizieren, aber dennoch ist die Filmhandlung körperlicher und äußerlicher als bei Blair Witch. Nach einer Exposition, die einen klassischen love-interest etabliert und gerade lang genug ist, um allmählich langweilig zu werden, gleichzeitig aber das phantastische Folgende in unserer banalen Alltagswelt einbettet (die Legitimation der Kamera und Erzählperspektive durch das Dokumentieren einer Abschiedsparty), beginnt die eigentliche Filmhandlung mit einer undurchsichtigen, räumlich beängstigend nahen Katastrophe. Keiner - weder Filmfiguren, noch (günstigenfalls) Zuschauer - weiß, was wirklich geschieht, die Medien bemühen sich darum, eine Meldung zu fabrizieren und wir kommen in den Genuss von teilnehmendem Voyeurismus - das Beste, was im Kino passieren kann.

Ab diesem Punkt kommt der Film kaum noch zur Ruhe. Es gibt zwar Verschnaufpausen, in denen die Figuren versuchen, sich zu orientieren, aber der Eindruck von ungebremster Rasanz überwiegt. Der Versuch, zu verstehen, was überhaupt vor sich geht, getoppt von der unglaublichen Größe dessen, was da vor sich geht, und die beständige Suche nach Sicherheit im Chaos bestimmen den Film. Die Inszenierung ist perfekt. Die Spezialeffekte fügen sich problemlos in die herkömmliche Bilderwelt amateurhaft dokumentierender Videos und sind gleichzeitig so unglaublich in dem, was sie darstellen, dass dem Zuschauer der Atem stocken mag. Der Film zitiert ausgiebig die Eindrücke des 11. September: einstürzende Wolkenkratzer, Rauchsäulen, staubbedeckte Passanten - und das alles in Manhattan. Zitat aus dem Making-of: "Now enjoy this - America!" So beschwören sowohl die Ästhetik der Kameraarbeit als auch die Eigenschaften des Abgebildeten bewusste Erinnerungen an den Anschlag auf das World Trade Center und unbewusste Ängste vor dem Einbruch des Unberechenbaren in unsere sicherheitssüchtige Alltagswelt. Natürlich waren es keine Amateure, die hier die Kamera führten, und umso beeindruckender die Leistung, fällt es einem gestandenen Kameramann doch erheblich schwerer, ein scheinbar dilettantisches framing hinzubekommen, als einem wirklichen Dilettanten. Wer das doof findet und sich selbstgefällig zurücklehnt hat vielleicht einfach etwas dagegen, sich vom Kino überrumpeln zu lassen. Für mich ist Cloverfield der überzeugendste Monsterfilm, der zu haben ist, und darüber hinaus ein metamedialer Exkurs, wie er in derartiger Kombination mit Action und Thrill anderweitig kaum zu bekommen ist. Und außerdem mag ich Wackelkameras.

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