Allein schon die erste Szene des Films ist mehr als unangenehm: Man sieht die, mit einer Heimkamera gefilmte, Schlachtung eines Schweines mit einem Bolzenschußgerät. Kaum ist diese Szene vorüber wird sie zurückgespult und der Zuschauer muss sie sich nochmal in Zeitlupe ansehen. So beginnt Michael Hanekes "Benny´s Video". Ein verstörender Film über die negative Beeinflußung der Medien und dem Verlust der Realität.
Die Hauptfigur Benny ist auf den ersten Blick ein völlig normaler Jugendlicher aus gutem Hause. Sein größtes Hobby ist seine Videokamera, mit der er jeglichen Unsinn filmt, egal ob dieser irgendwie brauchbar ist oder nicht. Schnell merkt jedoch der Zuschauer, dass Benny mehr als nur ein normaler Hobbyfilmer ist: In seinem verdunkelten Zimmer hat er den Blick aus dem Fenster auf einem Monitor laufen. Ist der Blick ohne die Distanz der Kamera nicht mehr zu ertragen? Oder ist die Umwelt nur noch durch das neue Medium interressant? Eine Antwort darauf erfährt man nicht. Der Zuschauer muss seine Erklärungen selber finden. von seinen Videos fasziniert ihn am meisten die bereits erwähnte Schlachtszene. Wird also die Wirklichkeit durch den Film entschärft und konsumierbar gemacht?
Eines Tages trifft er vor seiner Stamvideothek ein gleichaltriges Mädchen, das er mit nach Hause nimmt. Nachdem die beiden ein wenig Herumgealbere und gemeinsamen Essen, geschieht das, was der Zuschauer bereits geahnt hat: Eine Katastrophe. Benny tötet das Mädchen mit dem Bolzenschußgerät. Die lange und grausame Szene wird dem Zuschauer allerdings durch eine doppelte Distanz gezeigt: Haneke filmt einen Monitor in dessen Hintergrund, für den Zuschauer nicht erkennbar, Benny sein Opfer umbringt. Fünf Jahre später wird dieses Konzept in Hanekes Meisterwerk "Funny Games", nicht weniger drastisch abermals verwendet. Danach isst Benny seelenruhig einen Yoghurt und geht anschließend zu einem Freund zum Übernachten. Benny ist ein komplett verrohter und abgekühlter Jugendlicher, der den Unterschied zwischen Fiktion und Realität verloren hat. Bennys Video ist noch nicht zu Ende: Er filmt die blutige Leiche und sich selbst, wie er sich mit dessen Blut einreibt.
Was Haneke hier glücklicherweise unterlässt, ist das weitverbreitete Wedeln mit dem Zeigefinger im Bezug auf die Medien, die unschuldige Kinder zu Verbrechern machen. Diese sind hier nämlich nur teilschuldig. Ein Blick auf Bennys Eltern zeigt Vernachlässigung und Desinteresse. Als sich Benny z.B. den Kopf rassieren lässt, wird er nur von seinem Vater ausgeschimpft. Warum er dies getan hat, ist nicht weiter relevant. So verhält es sich auch mit der Ermordung des Mädchens: Als Benny ihnen das Video, vermutlich aus Schuldgefühlen, zeigt, berät man, was man mit der Leiche anstellt und wie man die Sache am besten unter den Teppich kehrt. Es wird ausgemacht, dass Benny mit seiner Mutter nach Ägypten fliegt, während sein Vater in Österreich bleibt und das tote Mädchen entsorgt. Erst nach seiner Rückkehr fragt der Vater ihn, was ihn zu dieser Tat getrieben hat, gibt sich aber mit einem simplen "Ich wollte wissen, wie es ist", zufrieden.
Im Dokumentarfilm "American Nightmare" erzählt Special-Effect Legende Tom Savini, dass er im Vietnamkrieg, die um ihn liegenden Leichen durch seine Kamera betrachtet hat, um sich selbst eine Distanz zu schaffen. Ähnlich geht es Benny als er die Leiche des Mädchens filmt. Bennys Mord kann man als Ausbruch aus dieser Welt interpretieren, in der man alles durch eine schützende Kamera sieht, als eine reale Tat. Wie er es sagt: "Ich wollte wissen wie es ist". Er kehrt dann allerdings schnell zur Kamera zurück, als er merkt, dass ihm die Welt zu real wird. Michael Haneke hinterfragt und kritisiert in seinem Film die moderne Medienwelt sowie ihre Auswirkungen auf Menschen, die sich in der realen Welt nicht zu recht finden. Glücklicherweise ohne erhobenen Zeigefinger und mit viel Interpretationsraum für die Zuschauer