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„Männlich… männlich… ich muss es niederschreiben, bevor es zu spät ist!“

Der Brite Roy Ward Baker, der für manch gelungenen Beitrag zur „Hammer“-Produktionsschmiede wie „Das grüne Blut der Dämonen“, „Dracula – Nächte des Entsetzens“ oder „Gruft der Vampire“ verantwortlich zeichnet, adaptierte im Jahre 1971 für eben jenen Arbeitgeber nach Terence Fishers „Schlag 12 in London“ aus dem Jahre 1960 erneut Robert Louis Stevensons Roman um Dr. Jekyll und dessen Alter Ego Mr. Hyde, diesmal jedoch so frei wie selten zuvor:

„Hormone! Weibliche Hormone!“

London, 19. Jahrhundert – Dr. Jekyll (Ralph Bates, „Wie schmeckt das Blut von Dracula?“) forscht engagiert an Medikamenten, um schreckliche Krankheiten heilen zu können. Er fürchtet jedoch, dass seine eigene Lebenszeit zum Erzielen der gewünschten Ergebnisse nicht ausreichen wird, weshalb er seinen Fokus auf das Erreichen ewiger Jugend legt. Ihren Ursprung vermutet er in weiblichen Hormonen, weshalb er sich von Rykers (Philip Madoc, „Der Spion, der aus der Kälte kam“) örtlichem Leichenschauhaus mit den Leichen junger Frauen versorgen lässt. Als dieser nicht mehr ausreichenden Nachschub anliefern kann, beauftragt er die Leichendiebe Burke (Ivor Dean, „Im Banne des Dr. Monserrat“) und Hare (Tony Calvin, „The Enemy“), die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Nachdem diese gelyncht worden sind, ist Dr. Jekyll mittlerweile soweit, Selbstversuche durchführen zu können – und verwandelt sich prompt in eine Frau: Sister Hyde (Martine Beswick, „Töte Amigo“) ist geboren. Nun entsendet er diese, um neue Opfer heranzuschaffen. Doch bald droht er, zunehmend die Kontrolle über seine vermeintliche Schwester zu verlieren, die zu allem Überfluss mit Howard (Lewis Fiander, „Tödliche Befehle aus dem All“), dem Bruder Jekylls geliebter Nachbarin Susan (Susan Broderick, „Blow Up“), anbändelt…

„Ich war Wissenschaftler – bis in die Fingerspitzen!“

Neben der irrigen und reichlich trashigen Annahme, durch die Einnahme weiblicher Hormone könne man sich mir nichts, dir nichts in eine vollausgebildete Frau verwandeln, vermengt Bakers Film interessanterweise die bekannte Romanvorlage mit den berüchtigten Kriminalfällen der Leichendiebe Burke und Hare sowie Jack The Rippers, der bekanntlich ebenfalls unter den Damen der käuflichen Liebe wilderte. Der direkt mit einem Mord beginnende Film läutet mit dem seine Erlebnisse aufschreibenden Dr. Jekyll eine ausgedehnte Rückblende ein, die einen Großteil des Films ausmacht. Diese zeigt Dr. Jekyll als von seiner Arbeit besessenen Workaholic, der schließlich gesetzliche und moralische Grenzen ebenso überschreitet wie die eigene körperliche Integrität – und Identität.

Zeitgemäß nimmt man Thematik und Milieu zum Anlass, die Handlung mit etwas Nacktheit aufzupeppen, ohne sich jedoch in wirklich erotische oder sleazige Gefilde zu begeben. Was sich zunächst vielleicht wie eine gewagte filmische, allegorische Verarbeitung des Phänomens der Transsexualität liest, entpuppt sich als eher etwas unmotiviertes Spiel mit den Geschlechterklischees. Ganz die Frau, bestellt sich Sister Hyde zunächst einmal Klamotten. Fortan entwickelt sie starkes amouröses Interesse an Howard und versucht, ganz Zicke und bissige Stute, sich dessen Schwester zu entledigen. Und möchte man bei der Transsexualitäts-Metapher bleiben, würde diese ja wenig fortschrittlich als Produkt einer Schizophrenie bzw. gespaltenen Persönlichkeit dargestellt werden. Das vergessen wir daher besser schnell wieder.

Auf Grundlage der bizarren Ausgangssituation machen Baker & Co., was die Briten schon immer gut konnten, indem sie die Szenerien authentisch anmutend ausstatten und so die Illusion einer Zeitreise ins alte London erzeugen. Gelungen ist die Besetzung auch insofern, als Bates und Barwick sich tatsächlich wie Geschwister ähneln. Sonderliche Intensität, die den Zwiespalt und den Kampf um die jeweilige Identität verdeutlichen und die psychologische Komponente stärken würde, legt indes keiner von beiden in das Schauspiel. Auch dramaturgisch bleibt „Dr. Jekyll und Sister Hyde“ enttäuschend mau und ist weder sonderlich spannend noch aufregend. Für eine qualitativ hochwertige Stevenson-Adaption zu bizarr und oberflächlich, für eine sexuelle aufgeladene Variation zu bieder und für ein skurriles Partyfilmvergnügen zu unspektakulär. Bei all seiner Unentschlossenheit, einen der möglichen Wege konsequent einzuschlagen, verirrt sich Roy Ward Baker diesmal leider in der Durchschnittlichkeit.

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