Über das Spätwerk der Hammer-Studios kann man geteilter Meinung sein. Sie sind zugegebener Maßen nicht mehr so atmosphärisch dicht wie die frühen Werke, haben dafür aber etwas mehr Nudity and Violence. Somit sind sie ähnlich wie die späten Edgar-Wallace-Filme der Rialto. In der Regel finde ich beide Spätwerke recht passabel.
In dem vorliegenden Film adaptiert Hammer den klassischen Jekyll/Hyde-Stoff. Dr. J sucht, um mehr Zeit für wichtige Forschungsarbeiten zu finden, einen Stoff, um seine Lebenserwartung drastisch hochzuschrauben. Dazu bedient er sich weiblicher Hormone, was zwar erfolgreich ist, aber die Morphologie des behandelten Lebewesens deutlich verweiblicht. Das ist bis jetzt nicht besonders gruselig - höchstens biologisch interessant (wie kann eine männliche Fliege, die zum Weibchen mutiert, selbständig Eier legen?).
Damit sich der Film nicht zu einem Rührstück über Transen entwickelt, kommt die Tatsache zum Tragen, dass Dr. J. die Hormone aus jungen, weiblichen Leichen gewinnt. Als diese rar werden, beschäftigt er Leichenräuber, die bei der Beschaffung nicht zimperlich sind. Wer sich seinen eigenen Nachschub in diesem Geschäft besorgt, zieht leicht den Zorn der Mitmenschen auf sich. Einer der Leichenräuber wird gelyncht, der andere durch den direkten Kontakt mit gebranntem Kalk geblendet.
Mit versiegender Beschaffung wird Dr. J. a) selbst zum Mörder und damit zu Jack the Ripper und b) zu seinem eigenen Versuchskaninchen. Sein weibliches alter ego gefällt sich ausnehmend gut und möchte die ewigen Rückverwandlungen nicht akzeptieren. Sich als seine Schwester (logisch, Sister Hyde) ausgebend rechtfertigt Dr.J. seine beiden Erscheinungsformen und nutzt seine weibliche Erscheinung für weitere Beschaffungsmorde (wer sucht schon eine Frau). Aber Schwesterchen ist nicht mehr zu bändigen. Sie fängt an sich zu verselbständigen und murxt ohne Versorgungsnutzen einen Freund von Dr.J. ab, der begonnen hat Verdacht zu schöpfen.
Es kommt zu weiteren Problemen, als sich Dr. J. in die Tochter seiner Vermieterin verliebt, während sich Sister Hyde für den Bruder der Angebeteten interessiert. Die dominante Hyde versucht, das Töchterchen um die Ecke zu bringen, wird aber in einem schizoiden Ringen noch von Dr.J. zurückgehalten. Beide Seiten können ihren Konflikt nicht endgültig klären, da der geblendete Leichenräuber die Klappe nicht halten kann und man Jekyll auf die Spur kommt. Auf der Flucht über die Dächer Londons kommt es zu einem letzten Streit zwischen Jekyll und Hyde, der den lethalen Sturz aus großer Höhe zur Folge hat.
Der Film hat eine kurzweilige Geschichte und gewinnt dem alten Stoff von Stephenson für die damalige Zeit neue Aspekte ab. Die Verwandlungen von Jekyll zu Hyde sind für die Zeit gut gemacht. Recht überzeugend ist auch die Schauspielerbesetzung von J und H. Man glaubt ihnen, dass sie sich gegenseitig durch Geschlechtsveränderungen bedingen. Er ist gemäß der 70er irgendwie schmierig und ihr glaubt man die Geschlechtsumwandlung unbesehen. Optisch kein Leckerbissen, aber gut für die Glaubwürdigkeit.
Die Vermieterfamilie ist unglaublich nervig und sollte besser vergessen werden. Gut dafür sind alle Personen und Stimmungen, die mit der Halb- und Unterwelt Londons zu tun haben. Das hat Hammer mal wieder klasse hingekriegt und sorgt für gute Unterhaltung.
In Summe solide Hammer-Spätkost. Kein nervenaufreibender Reißer, sondern ein gut gemachtes, kurzweiliges, angenehm schäppiges Filmchen, dass nicht nur Hammer-Freunden gefallen dürfte. 7 von 10.