Wohl auch weil sein überzeugender Bruce-Willis-Thriller „Hostage“ in Amerika nicht den erwünschten, finanziellen Erfolg einbrachte, inszeniert Florent Emilio Siri („Ende der Geduld“, „Das tödliche Wespennest“) nun wieder in Frankreich und beweist mit seinem Antikriegsfilm „Intimate Enemies“, dass Hollywood ihn keineswegs verdorben hat. Das war aber auch kaum anzunehmen, bewegte sich „Hostage“ doch ein ums andere Mal an der Grenze zu dem, was man allgemein dem amerikanischen Publikum vorzusetzen wagt. Dies zeichnet Siri allerdings unter anderem auch aus.
Endlich wieder aller kreativen Fesseln entledigt, pflegt er nicht nur nach wie vor seinen düsteren, harten Stil, sondern drehte in Marokko auch den besten Film zum Thema Algerienkrieg seit Gillo Pontecorvos legendärem Klassiker „Schlacht um Algier“. Vergleiche mit Oliver Stones „Platoon“ sind durchaus angebracht, zumal auch „Intimate Enemies“ auf wahren Tatsachen fußt.
Benoît Magimel („Das tödliche Wespennest“, „Sky Fighters“) spielt den idealistischen wie naiven Lieutenant Terrien, der ohne ausreichende Vorbereitung in eine der meistumkämpftesten Kriegszonen Algeriens abkommandiert wird, nachdem sein Vorgänger während seines letzten Einsatzes bei einem tragischen Vorfall ums Leben kam. Sein Sergent (Albert Dupontel, „Irréversible“, „Cash Truck“), ein abgebrühtes Frontschwein namens Dougnac, durchschaut Terrien bereits bei ihrer ersten Begegnung, versucht den unerfahrenen und anfangs offensichtlich überforderten Offizier aber nach Möglichkeit aus dem Gröbsten herauszuhalten, weil er weder die Regeln noch das abstoßende Gesicht des Krieges kennt.
Es ist hinlänglich bekannt, dass Frankreich sich mit der Aufarbeitung dieses schmutzigen Konflikts, der sicherlich das dunkelste Kapitel der französischen Nachkriegsgeschichte darstellt, bis heute sehr schwer tut. Siri zeigt schonungslos warum, übt harsche Kritik an der Militärstrategie und zeigt die hässlichsten Seiten dieses Krieges, für den so viele Menschen sterben mussten, weil Frankreichs Regierung unbedingt seine Kolonie behalten wollte.
Auch wenn die Befreiungsfront FLN (Front de Libération Nationale) nicht ungeschoren davon kommt, berichtet „Intimate Enemies“ aus Sicht der französischen Armee. Kriegsverbrechen, Exempel an der zivilen Bevölkerung und grausame Foltermethoden stehen auf der Tagesordnung. Terrien hat zunächst Probleme diese Methoden anzuwenden und muss sich ein ums andere Mal von Dougnac belehren lassen.
Ziel dieser Einsätze ist nicht nur die systematische Vernichtung von FLN-Kompanien, sondern auch die Liquidierung ihres Anführers.
Dafür werden ganze Dörfer abgeschlachtet und Einheimische brutal massakriert, während die blutigen Gefechte spätestens dann unzählige Opfer fordern, wenn Napalm eingesetzt wird. Speziell für den Algerienkrieg entwickelte Foltermethoden werden an Zivilisten ausprobiert, später werden sie bei fingierten Fluchtversuchen erschossen. In einer der beeindruckendsten Szenen des Films durchschreitet Terrien mit seiner Einheit ein verkohltes Feld entstellter FLN-Leichen, die Sekunden zuvor im Napalm verbrannten.
Siri hält den Wahnsinn dieses Kriegs in teilweise sehr drastischen Bildern fest anstatt auszublenden und erzielt dabei nachhaltig Wirkung. Dies gilt ebenso für die zahlreichen Scharmützel zwischen Franzosen und Algeriern, in deren Verlauf grundsätzlich beide Seiten hohe Verluste zu beklagen haben.
Dabei versteht sich „Intimate Enemies“ nie als auf die brutalen Schauwerte reduziertes Kriegsspektakel, sondern erkundet die Entwicklung seiner beiden Hauptfiguren, ihre Motivationen und ihr Schicksal. Terriens Weltanschauung gerät zunehmend ins Wanken als junge Kameraden an seiner Seite sterben. Er verändert sich und entfremdet sich von seiner Familie, während selbst der hartgesottene Veteran Dougnac den täglichen Wahnsinn kaum noch ertragen kann. Der Rest ertränkt seine Albträume ohnehin in Alkohol, lauter Musik und Galgenhumor, während im Nebenzimmer der Folterknecht seiner Arbeit nachgeht.
Siri rechtfertigt die Gräueltaten beider Seiten übrigens nicht, macht sie aber zumindest nachvollziehbar, indem er auch zeigt, zu was die Gegenseite imstande ist, klagt dabei ebenso sadistische Führungsoffiziere an, die längst blanken Hass gegen die Algerier entwickelt haben und sich entsprechend gebärden.
Die beeindruckenden Leistungen der Schauspieler, allen voran Albert Dupontel, tragen nicht zuletzt ihren Anteil dazu bei, dass „Intimate Enemies“ einen bleibenden Eindruck hinterlässt, wie kaum ein Antikriegsfilm der letzten Zeit.
Sollte Florent Emilio Siri seine Karriere tatsächlich auf diesem Niveau fortsetzen und seinem Stil bleiben, könnte er sich, deutlich distanziert von Luc Bessons Weichspüler-Filii, langfristig zu einen der bedeutendsten Mainstream-Regisseur Frankreichs entwickeln. Egal, ob „Das tödliche Wespennest“, „Hostage“ oder nun „Intimate Enemies“, Siri pflegt eine sehr charakteristische Inszenierung, die sich, ohne Kompromisse einzugehen, grundsätzlich an das erwachsene Publikum richtet, dabei allerdings nie zum Selbstzweck verkommt. Seine Arbeiten sind prinzipiell sehr spannend und von einer beklemmenden Atmosphäre geprägt.
Obwohl seine Charaktere in Zukunft noch ausgeprägter sein dürfen, hat der Mann nach gerade einmal drei Filmen in Frankeichs inzwischen ausgedünnter Top-Riege seinen Platz gefunden. Angesichts der jüngst eher durchwachsenen Regiearbeiten gestandener Landsmänner wie Mathieu Kassovitz („Gothic“, „Babylon A.D.“), Pitof („Vidocq“, „Catwoman“) oder Louis Leterrier („Transporter 2“, „The Incredible Hulk“) in Hollywood kann man nur hoffen, dass er dieses Mal seinem Heimatland treu bleibt. Kann sich auf seine weiteren Filme nur positiv auswirken.
Fazit:
Florent Emilio Siri inszeniert mit „Intimate Enemies“ seinen bis dato besten Film. Der harte Antikriegsfilm geht unter die Haut und erzielt nachhaltig Wirkung, weil er sich nicht als effekthaschendes Spektakel versteht, sondern dem Publikum in schonungslosen Bildern vor Augen führt, was für Grausamkeiten sich damals wirklich abspielten. Die erstklassige Regie wird von einer Riege stark aufspielender Darsteller gefördert, während die authentischen Kulissen Marokkos das bedrückend real wirkende Szenario fundamentieren. Spannend, erschreckend, tragisch.