kurz angerissen*
Kafka geht aus einem Vergleich mit Welles als der Coolere heraus. Die Unüberschaubarkeit der Bürokratie wird in seinem Roman über eine trockene, kalte Betrachtung vermittelt, obgleich es die verwirrte Hauptfigur ist, aus deren Blickwinkel er erzählt. Doch egal, wie viele Informationen Herrn K. vorenthalten werden und wie sehr der Fall zum undurchdringlichen Exempel aufgeblasen wird, der Ton bleibt ruhig, regelrecht gelassen – ein Umstand, aus dem Kafka bei all dem verstörenden Surrealismus auch einen gewissen Bestand an Humor zog.
Die Verfilmung wird gerne als Auftragsarbeit ohne direkten Bezug zum Material missverstanden, doch bei genauer Betrachtung wird schnell deutlich, dass Welles sehr wohl über einen persönlichen Zugang verfügt haben muss. Wo Kafka das Chaos in der Ordnung suchte, löst Welles es in Asymmetrien auf. Er huldigt dem Expressionismus, indem er einfache Türen zu antiproportionalen, überdimensionalen Portalen verrückt, einen Gerichtssaal strategisch unlogisch mit Hunderten von Menschen füllt, Schatten sich auf langen Pflasterstraßen dehnen lässt, Stühle zum wirren Mikado übereinander stapelt. Dazu geht er offensiv die Darstellung anrüchiger Sexualität an. Er ist mit einem aggressiven, keineswegs nüchternen Verve bei der Sache und wird der Vorlage damit nicht gerecht, fügt andererseits aber dennoch die Teile für einen großen Film zusammen, stellt unter anderem einen unverkennbaren Einfluss für Terry Gilliams Dystopie „Brazil“ her. Die berauschende Emotionalität, mit der er den umstrittenen Hauptdarsteller Anthony Perkins durch das Labyrinth aus alienesken Bienenstöcken jagt, legitimiert nicht unbedingt den Status als Literaturverfilmung, als Welles-Film jedoch absolut. Wenn man nämlich Werkstreue nicht als unabdingbare Voraussetzung für ein Gelingen betrachtet, gehört „Der Prozeß“ zu Welles’ stärksten Arbeiten.
(8.5/10)
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