Review

1988 war ein Jahr, in dem das Action-Genre in zwei Lager gespalten wurde. Auf der einen Seite stand mit Rambo III der endgültige Verfall der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs hin zur ultimativen, aufgeblasenen Kriegsmaschine. Schwarzenegger und Stallone waren die Ikonen dieser Richtung, die Beschützer der Welt, zwei menschliche Superhelden, denen keine Armee standhalten konnte. Blei im Überfluss und wenig Makel. So die Momentaufnahme. Dann die große Überraschung. John McTiernan brachte etwas völlig Neuartiges mit dem seinerzeit unbekannten Bruce Willis in der Hauptrolle. Heute ist „Die Hard“ ein legendärer Titel, damals war es der Anfang einer neuen Formel.

Erstaunlich ist daran, dass viele, die wenig mit dem Superhelden-Bombast des damaligen Actionkinos anfangen konnten, urplötzlich mehr mit dem Genre vertraut waren. Dabei sind die Unterschiede eher klein, aber doch gravierend, vor allem personeller Natur. Es raucht und kracht immer noch, alte Mechanismen funktionieren - der Effekt ist nach wie vor im Vordergrund.

In erster Linie hängt alles am Protagonisten selbst. Das Profil ist weit weniger glatt, als man es bisher gewöhnt war. Doch im Einzelnen.

I hate planes

Ja, John McClane (Bruce Willis) hat Angst, er fliegt ungern nach Los Angeles zur Weihnachtsfeier im Nakatomi Plaza, wo seine Noch-Ehefrau Holly (Bonnie Bedelia) schon bald von Terroristen als eine von vielen gefangen gehalten wird. Der neue Held ist gar kein Held, das Leben läuft nicht rund, die Scheidung naht und überhaupt, wirkt er nicht wie jemand, der glücklich und unverletzlich ist. Im Gegenteil.

Feinripp vs. Anzug

Genau genommen ist McClane ein Normalo, ein Niemand. Der Cop, den man auf den Straßen New Yorks wenig beachtet und in Los Angeles schon gar nicht kennt. Er ist ein Mensch wie jeder andere. Das Erscheinungsbild passt nicht einmal in die feine Gesellschaft der Feier. Seine Frau ist höher positioniert als er – mit ihrer Karriere hat er auch ein Problem. Ein banales Feinripphemd saugt die Strapazen auf. Blut, Rauch, Dreck. McClane ist kein Soldat, kein Ehrenmann, sondern ein einfacher Straßencop, der Arbeiter unter jener versnobten Gesellschaft, die sich im Wolkenkratzer am Weihnachtstag befindet.

Not alone

Bislang funktionierte doch alles im Alleingang. Armeen wurden von Rambo und Co. nahezu im Alleingang bekämpft. In „Stirb Langsam“ hat man aber nie das Gefühl, dass hier jemand ein totaler Einzelgänger sei. Der Gegner ist zahlenmäßig nicht wie eine Division bestückt, wenige Terroristen haben lediglich den Planungsvorteil – brain power. Das LAPD macht zwar vieles falsch und die höheren Dienstgrade missachten die Hilfe von McClane, aber der New Yorker Cop hat einen unsichtbaren Verbündeten, der schwarze Streifenpolizist (Reginald VelJohnson), der ihm von Anfang an glaubt und mit dem er ständig per Funkgerät in Kontakt steht. Die Dialoge sind köstlich lakonisch, eine Freundschaft keimt, obwohl sich beide gar nicht kennen. Beide wehren sich gegen die Arroganz der Höherstehenden, als die bodenständigen Verbündeten, die lieber pragmatisch vorgehen.

„Yipiyahe, motherfucker!“

Überhaupt, im Wortduell liegt die Magie. Jeder hört jeden, der Funkverkehr ist transparent. Die Terroristen verstehen, was McClane und der Zweikampf zwischen dem Terroristen-Führer Gruber (Alan Rickman) endet schließlich noch in einer persönlichen Begegnung, wo sich beide zum ersten Mal sehen, ohne dass der Protagonist zunächst ahnt, wen er vor sich hat. Dabei spielt sich viel im Unbekannten ab, man kennt sich nur vom Reden und Hören. Das was man akustisch aufnimmt sind geniale One-Liner, gespickt mit Sarkasmus und Zynismus. Es ist Coolness aus Galgenhumor resultierend, keine Demonstration von Überlegenheit. Die Terroristen sind nicht dumm, McClane hält mit einfachen Mitteln dagegen, fährt aber auch öfter gegen die Wand. Beispielsweise zahlt er dafür, Barfuß zu laufen. Die Scheiben klirren, als Gruber davon erfährt. Die Füße bluten, der Protagonist ist nicht mehr nur in blutigem Feinripp gekleidet.

Kettenreaktion

Jeder Erfolg wird zunichte gemacht. Die Situation wirkt immer aussichtsloser. Ein Duell auf einer hohen Ebene, weil beide Seiten stark sind und mit allen Mitteln kämpfen. Das Zahnrad ist im Gang und die Gänge des Hochhauses werden zum Schauplatz feinster Action. Es wird überall gekämpft. In Aufzugschächten, auf dem Dach. Eine Aktion wird mit einer Reaktion gekontert. Bei einer neuen Chance lauert die Gefahr schon wieder im Nacken. So wird der Kampf unerbittlich bis zur letzten Entscheidung gefochten. Klaustrophobische Spannung, die unter die Haut geht.

Die hard but go fast

Das Tempo ist hoch. McTiernan legt Speed mit schnellen Schnittfolgen vor. Daraus ergibt sich ein Sog, der plastische Situationsidentifikation ermöglicht. Alles muss wohl überlegt sein. Atme nicht zu viel und denke, wenn die Zeit es wirklich erlaubt. Die Action ist atemberaubend. Der Plot fesselt, weil der Hauptcharakter Ecken und Kanten hat. Das dadurch gegebene Potenzial verschlingt den Betrachter als Involvierten, der sich mittendrin in den hell erleuchteten, luxuriösen Gemäuern des Nakatomi Plazas befindet.

Back to the roots

Die Nähe zum Boden macht „Stirb Langsam“ letztendlich so außergewöhnlich. Seitenhiebe auf die Sensationsgier der Presse, die auf die vorgeschobenen Absichten der deutschen Terroristen reinfallen, würzen den Actionplot als gesellschaftskritisches Element. Explosionen und Schüsse werden von Menschen verursacht, die näher sind, als es aufgeblasene, abgehobene Kampfpanzer im Sinne von Stallone und Schwarzenegger jemals waren. McClane ist einer von uns, er findet in Bruce Willis genau jene Zeichnung, die die Prämisse möglich macht. Dadurch wurde ein Genre rückgeführt auf den Boden der Realität, ohne Superhelden in Uniformen. (9/10)

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