Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.
Und nichts ist überflüssiger, als eine Idee, deren Zeit eindeutig vorbei ist.
Als Frederic Beigbeder im Jahr 2000 sein „99 Francs“ veröffentlichte, war eine Satire über die Werbeindustrie sicherlich mal sauer notwendig – und das „Skandalbuch“ ging dann in den Läden auch kräftig durch die Decke.
Nur daß Beigbeder eigentlich keine echte Satire ablieferte, sondern ein leicht grell überzeichnetes Abbild der Normalität in der Werbeindustrie, die schon eine Parodie ihrer eigenen Existenz an sich ist.
Zusätzlich, oder um das Skandalpotential noch etwas zu erhöhen, pflasterte der Autor sein Werk mit einer ganzen Menge Schnickschnack zu, der ein paar Wellen extra machen sollte: exaltierter Drogenkonsum, Zivilisationsabscheu, Misantrophie, Sex und, wie könnte es anders sein, am Ende einen schönen saftigen Mord, der mit dem Thema, daß jetzt gern auf Buchdeckel gedruckt wird, zu gut wie gar nichts mehr zu tun hatte, aber auch nicht verhindern konnte, daß das Buch vollkommen den Faden verloren hatte, den Beigbeder wohl nach seinen eigenen Drogenräuschen gezeichnet hatte. Verkaufen ließ sich das Werk deswegen trotzdem prima.
Erst sieben Jahre später erscheint nun die Verfilmung dieses Werks, das ebenso spontan wie fahrig wirkt und um diese zynische Abrechnung in entsprechende Bilder zu kleiden, gab man die Regie an Jan Kounen, einen Erschaffer bildgewaltiger Filme, die jedoch Form über Inhalt stellen und im Visualisierungrausch schon mal gleich jegliches Publikum präventiv mit optischer Gewalt erschlagen.
Und so wirkt denn auch „39,90“ als Film wie der französische Versuch, ein ähnlich revolutionäres Modell für das Filmemachen zu erstellen, wie es etwa David Finchers „Fight Club“ war, den Kounen auch innerhalb von fünf Filmminuten dermaßen oft zitiert oder einfallslos plagiiert, daß es schon an Arschkriecherei erinnert.
Immerhin, es gibt eine Menge zu entdecken in diesem Bilderinferno, das mit einiger Suggestivkraft genau das versucht, was hier bitterböse vorgeführt werden soll: die Mechanismen der Werbeindustrie, falsche Bilder, Tricks, Ausbesserungen, Überhöhungen, Idealbilder, Stilisierungen. Und hat man sie dann inszeniert, dekonstruiert man sie wieder, etwa in der Szene als Hauptdarsteller Octave im erneuten Willen seinen Beruf und seine Anstellung, eine extreme Form der totalen Haßliebe ins Spiel zu setzen, indem er einen überkitschigen, aber deswegen sehr realistischen Werbespot niedermacht, der nur aus perfekt abgestimmter Familienkünstlichkeit und hohlen Phrasen besteht.
Kounen ist hier deutlichst in seinem Element, er spielt die ganze Palette aus und versucht sich an den verführerischsten Bildkompositionen, Schnitten oder Montagen, um Octave in ein satirisches Bild zu rücken, spart kaum eine Peinlichkeit oder Grobheit aus (der Film startet praktisch mit einem Griff in die Scheiße, gefolgt von einem Sich-Übergeben über eine nackte Partygängerin und beschließt sein Intro alsbald mit einer albernen Parodie eines jungen, wichsenden Octave, der über dem Hochglanzbild eines Pudels abschießt).
Dabei wird jedoch nur eins vergessen: so verführerisch das alles ist, es ist auch leider meistens relativ flach, denn nichts eignet sich weniger zur Parodie oder zur Satire, was schon in sich Realsatire ist.
Ergo geht man hier mit dem breiten Pferdehaarpinsel an etwas, was man mit dem Skalpell extrapolieren müßte – was nicht das Schlechteste sein muß, um Aufmerksamkeit zu erwecken.
Nur ist das, was „39,90“ ausmacht leider auch in Filmform keine echte Satire – es ist eine schmierige Groteske, zu der man schon einiges an Galle mitbringen muß, um sie zu genießen, wenn man sich frei dafür entscheiden darf (und nicht den Film in einer Sneak überraschend serviert bekommt).
Verzichtet hat man in diesem Fall auch auf das Ende des Buches, in dem Octave samt Kollegen eine ältere Frau brutal wegen ihrer angeblichen Ersparnisse meuchelt und dafür am Ende verhaftet wird, eine flaue, weil wenig passende Episode, die durch einen Amokfahrt im Drogenrausch ersetzt wurde, bei der jedoch auch Menschen ums Leben kommen – doch ausgerechnet hier zieht Kounen zurück und tarnt die Szenenfolge durch eine Überlagerung mittels Zeichentrick.
Dennoch hat der Film einige Vorteile im letzten Drittel, die eine Verbesserung gegenüber der Vorlage darstellen.
Denn Kounen packt die Möglichkeit der filmischen Mittel am Schopf und läßt den Film scheinbar mit einem schuldgeständigen Selbstmord in Form eines Sturzes vom Dach enden und sogar den Abspann starten, um dann auf die Aussage, „alles sei nur ein Provisorium, auch das Leben“ zurück zu kommen. Plötzlich setzt der Film wieder nach dem Drogenrausch ein und präsentiert ein gänzlich anderes Ende, eines das die Zuschauer sehen möchten: die Hauptfigur probt den Aufstand, dreht ein Guerillawerbespot, läßt ihn von Konsumterroristen ausstrahlen, steigt aus, findet seine Seele im Urwald wieder und feiert am Ende ein liebevolles Happy End im Nirgendwo, das dann wieder augenzwinkernd in die Starteinstellung eines Werbeplakats übergeht, die genau diese Szene zeigt.
Hier nutzt der Film endlich mal sein Potential, entlarvt nicht nur die Werbung, sondern auch das Kino als das Medium, von dem wir nur das fressen, was wir auch erwarten und macht es zu dem, was es immer war: eine manipulierbare Illusion.
Nur: ob das Publikum reif genug ist, zu verstehen, daß es kein echtes Happy End ist, sondern nur ein filmisches An-der-Nase-Herum-Führen, das darf wohl mit Fug und Recht bezweifelt werden. Die Meinungen, ob jetzt das erste oder zweite Ende das Richtige sei, zeigen schon deutlich, daß die schiere Äußerlichkeit des Geschehens doch wichtiger ist als die Aussage in substanzieller Form.
Insofern ist „39,90“ doch ein Film mit einem gewissen Potential, auf das man sich jedoch mit wachem Geist einlassen muß, um das Vehikel Handlung aus seinen Gewohnheitsvorstellungen herauszulassen.
Erstrebenswerter wäre ein ordentlicher fleischiger Aufriß der Werbebranche gewesen, doch hier geht es leider zu selten oder nur streckenweise um Werbung, wenn sich der Film immer wieder in den Abgründen um Octave verliert, der nur ungenau für das Publikum erklären kann, in welcher Zwickmühle er sich befindet: einerseits die Scheinwelt und Abgründe, den Verbraucher, Produzenten und Werbetechniker für seine falschen Träume zu hassen und sich damit mit und andererseits sich dabei stets als Gott zu fühlen, dessen Manipulationsmöglichkeiten unsere gesamte Existenz steuern können und sich nur durch diese „Kreativität“ lebendig fühlen zu können.
Man kann da aus dem Film herausholen, wenn man sich nicht von dem bunten Tralala erschlagen läßt – was wieder für die filmische Form spricht.
Eine zwiespältige Angelegenheit also immerhin – damit kann man arbeiten. Und muß dem Ganzen nicht mal böse sein. (5/10)