Als zwei Brüder namens Wachowski Ende des 20. Jahrhunderts einen Film namens "The Matrix" drehten, konvertierten sie schier eine ganze Generation von jungen Kinogängern zu ihren devoten Fans. Das Actionkino sei neu erfunden, so hörte man allerorts. Sowohl in den Feuilletons, als auch aus den langen Schlangen vor den einschlägigen Multiplexen. Bei so viel Zuspruch ist es klar, dass die obligatorischen Fortsetzungen und Nachahmer nicht lange auf sich warten ließen. Ebenso absehbar war der kritische Gegenpol, dessen Meinung sich frei machte von jenem Aufsehen erregenden Medienrummel um "The Matrix", der heutzutage neologistisch als "Hype" klassifiziert wird. Da viele den neuen "Kult" kategorisch nicht gut finden wollten, waren alsbald die gängigen Makel an der sonst so reinen Science-Fiction-Kluft der Wachowskis gefunden. Insbesondere die viel zu sehr als cool und nachahmenswert stilisierte Gewalt prangerten die Kritiker den beiden Regisseuren an.
Einer der Nachahmer im Zuge des "Matrix"-Erfolges war Kurt Wimmers "Equilibrium" – Eine ähnliche Utopie eines totalitären Staats, in dem ebenfalls nur ein einziger Mann mit faszinierend feinmotorischer Kampftechnik für das Recht auf persönliche Freiheit und Individualismus in den Krieg zieht. Und wie beim großen Blockbuster-Vorbild zieht der Held aus "Equilibrium" mit bestimmten Martial-Arts-Fähigkeiten ins Feld. Da der Begriff Martial-Arts, übersetzt Kampfkunst, bereits eine bestimmte Ästhetik synchron zum Menschenverdreschen impliziert, steht "Equilibrium" bereits in der Gefahr auch alsbald von cineastischen Weltverbesserern wegen seiner menschenverachtenden Natur torpediert zu werden (Es sei angemerkt, dass nicht erst "The Matrix" mit dem Problem umgehen musste, "coole Gewalt" darzustellen: Martial-Arts kommt im asiatischen Film seit ewigen Zeiten vor und dürfte nur eine logische Konsequenz der Fusion des Filmgenres Action mit dem Unterhaltungsauftrag des Mediums darstellen, so fragwürdig sie auch erscheinen mag). Doch Regisseur Wimmer lässt sich auf so etwas gar nicht ein: Natürlich ist sein Hauptdarsteller Christian Bale eine cooler Kämpfer und gut aussehender Mörder – doch der Zweck und die Wirkung der Gewalt wird hier in einen anderen, viel sarkastischeren Kontext gerückt. Und genau darin liegt die Stärke von "Equilibrium".
In "Equilibrium" betäubt die ganze Menschheit ihre Gefühle mit einer Droge, deren Name ein Mischmasch aus Prozac und Valium ist: Prozium. Nach dem Dritten Weltkrieg dient nun die Elimination aller Emotionen zur Friedenserhaltung. Wenn kein Mensch jemals Wut oder Hass empfinden kann, wird er auch nie zur Waffe greifen wollen. Doch mit den negativen Empfindungen musste die Menschheit auch auf alle anderen Gefühlswelten verzichten. Es ist ihnen nicht mehr vergönnt einen anderen Menschen zu lieben oder sich an Kunstwerken zu berauschen. Einhergehend werden alle Kunstgegenstände oder nostalgische Erinnerungen an Zeiten der emotionalen Verbundenheit untereinander – zusammen mit den Mitgliedern des Widerstands – verbrannt. Diese eklektische Utopie über Individualitätsverlust und Kunstverbot mag sich wie ein wildes Konglomerat aus gängigen Verschwörungsstereotypen anhören, funktioniert aber überraschend gut. Vermutlich weil auch das Drehbuch unter der Vorgabe des "Equilibriums", das lateinisch für Gleichgewicht ist, entstand. Die vielen Einflüsse sind recht gekonnt mit den eigenen Ideen balanciert worden, so dass die Vorbilder zwar erkennbar werden, aber nie in einen Wettbewerb mit "Equilibrium" treten, da dieser dann doch zu Eigen bleibt.
Der Protagonist John Preston, gespielt von Christian Bale, ist ein Kleriker – und somit Staatswaffe gegen die Emotionen zulassenden Widerständigen. Doch als sein Partner die Seite wechselt und dadurch von ihm im Kampf eine tödliche Niederlage hinnimmt, beginnt auch Preston sich für ein Leben ohne jeglicher Exklusiven zu interessieren. Er setzt schließlich die Droge ab und kämpft nun selber gegen das System, dessen Teil er immer noch vorgibt zu sein.
Am Ende ist Preston natürlich der Siegende. Der Diktator ist gestürzt, die Welt ist befreit. Doch das Ende hat einen fabelhaft-sarkastischen Nachgeschmack: Am Ende wird Preston nicht als "Auserwählter" oder Befreier gefeiert – er ist nur ein weiterer Teil in einem großflächigen Chaos, das nun entsteht. Ja, am Ende von "Equilibrium" versinkt die Welt im Chaos – ob endgültig, dass verrät uns Wimmer leider nicht. Als die Welt von den Fesseln der Gefühllosigkeit befreit ist, reagiert sie nicht in schöngeistiger Besinnung auf die positive Natur der Emotionen. Es ist nicht so, dass sie sich kollektiv niedersetzen und gemeinsam die Wonnen der neunten Sinfonie Beethovens genießen oder sich der Freundschaft oder der Liebe hingeben. Die Gefahr, vor der die Antagonisten in "Equilibrium" ständig über Lautsprecherbeschallung warnten, nämlich die der unkontrollierten Wut und ihrem Resultat in Krieg und Zerstörung wird Wirklichkeit: Am Ende heißt es: Macht Krieg, keine Liebe. Diese finale Umkehrung dessen, für was Preston heroisch kämpfte, mordete, ist der brillante Schachzug Kurt Wimmers und macht aus "Equilibrium" mehr als nur einen Co-Reiter auf der Erfolgswelle der "Matrix".
Postmodern verweist "Equilibrium" besonders in seinen Kampf- und Gewaltszenen auf die halsbrecherischen Aktionen aus "The Matrix". Doch bedienten die Wachowskis in ihren Kampfszenen nur das alte Paradoxon, dass der Frieden durch den Krieg erschaffen wird, geht Wimmer hier eindeutiger und linearer vor: Als die Gefühle freigesetzt werden führen diese zwangsläufig zu Krieg. Das Aufbäumen Prestons gegen seinen Diktator führt nicht zu einem sofortigen Stillstand aller Kampfhandlungen, sondern mündet erst recht in einem explosionsartigen Tumult: Bomben werden gezündet, Feuer werden gelegt, das Chaos regiert nun. Und auch seinen Erzfeind bringt Preston nicht aus heroischen Gründen um, sondern lediglich aufgrund persönlicher Rachegelüste. Die zweifelhafte, andere und somit dunkle Seite der Individualisierung wird hier wunderbar überkarikiert. Liebe führt hier völlig zielstrebig zu Mord und Totschlag, Individualismus zu Krieg und Leid.
In der finalen Einstellung ist John Preston ein von persönlichem Hass motivierter Antiheld. Und sicher keine schillernde Erlöserfigur wie Keanu Reeves' Neo in "The Matrix". Und genau jene Umkehrung des Gewalteffekts in einen viel düsteren und kritischeren Kontext macht "Equilibrium" zu einem starken Film, der allerdings ohne jene faszinierende Intertextualität eindeutig an Qualität verlieren würde.