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Hart und gefaßt klingt sie, emotionslos, kalt und berechnend, die Stimme des Erzählers in „Tropa de Elite“, die Stimme von Capitao Nascimento, einem der Anführer der brasilianischen Polizeispezialtruppe BOPE.
Sie führt den Zuschauer ein in eine Welt aus Gewalt und Korruption, aus Armut und Klassengesellschaften, aus Anarchie, Chaos und dem Deckmäntelchen der Ordnung, dem ganz normalen Alltag in den Favelas, den Slums von Rio de Janeiro, wo Banden und Rauschgifthändler mit geballter Waffengewalt die Zügel in der Hand haben und wo sich die Polizei selbst nur hintraut, um Bestechungsgelder zu kassieren. Allein BOPE geht wissentlich in diesen Hexenkessel, denn seine Mitglieder sind hart, korrekt und in der Auslegung des Gesetzes ziemliche Hardliner – und die besseren Knarren haben sie auch.

Doch so effektiv die Stimme klingt, die Bilder führen dem Zuschauer vor, daß man es sich nicht so einfach machen kann, daß die Situation in Brasilien wesentlich komplexer und verworrener ist und daß es schwarz oder weiß gar nicht gibt, weil der allgemeine Zustand inzwischen so irrwitzig geworden ist, daß das Ausblenden jeglicher anderer Moral als das der Umsetzung der Gesetze mit der Waffe die einzige Alternative zu sein scheint.

„Tropa de Elite“ ist mit Sicherheit ein sehr kontroverser Film, er ist aber auf keinen Fall die Gefahr, die einige Kritiker in ihm gesehen haben, bevor oder nachdem er 2008 auf den Filmfestspielen in Berlin den „Goldenen Bären“ gewann. Die Kritik fokussierte hauptsächlich auf faschistoiden Tendenzen, die bei Anlage, Aufbau, Vorgehensweise und Credo der BOPE durchscheinen – die harte Elitetruppe, deren einer Anführer einen Nachfolger sucht, den er nur dadurch zu finden glaubt, indem er den möglichen Kandidaten die Menschlichkeit austreibt und den Gehorsam und die Gefühlskälte im Kampf gegen das Verbrechen beibringt.
Tatsächlich kann man in den Trainingsszenen derlei Parallelen entdecken, doch die Bilder strafen die Proteste Hohn, der Capitao selbst ist psychisch inzwischen mehr als angeknackst, seine Ehe geht vor die Hunde, Angstattacken machen sich breit, während sein Voice Over immer noch beherrscht und kühl bleibt.

Doch die Wirkung der Truppe bleibt über den Film verteilt aus – aus Gewalt erwächst nur neue Gewalt und während die BOPE-Polizisten keinen anderen Weg sehen, wirken sie doch nur wie ein Kapitulationssignal vor den Zuständen, die eigentlich nur noch durch höhere Gewalt (ein Meteoriteneinschlag etwa) ein Ende finden könnte.

Zu bizarr wirkt die Szenerie, die Jose Padilha vor dem Publikum ausbreitet, eine durch und durch korrupte, angsterfüllte Polizei, die sich die Schutzgelder gegenseitig streitig macht und im Zweifelsfall die Eliteeinheit zur Hilfe ruft; soziale Einrichtungen in den Slums, die von naiven Oberklassenstudenten geführt werden, die jedoch selbst die besten Kunden der Drogenhändler sind, die sie nur aus diesem Grund gewähren lassen; der Grad der Korruption, der auch den letzten Glauben an die Justiz im Volk hat ersticken lassen.

Er wählt dazu semidokumentarische Bilder für seine Dreiecksgeschichte und beleuchtet drei individuelle Positionen, indem er Nascimento als „Hand“, Neto als „Herz“ und Matias als „Kopf“ agieren läßt, doch nie geht es darum, diese Elemente zu vereinen, stattdessen ist man bemüht, die jeweils anderen zu eleminieren, um dem Wahnsinn überhaupt gegenüber treten zu können.

Padilha hat seine Darsteller die Dialoge größtenteils improvisieren lassen, so daß ein Effekt der Spontaneität entsteht, doch er vermeidet damit bewußt, daß man eine wirkliche persönliche Bindung zu einer Figur aufbauen können, die sich treu bleiben wollen und sich doch immer wieder untreu bleiben.
Dabei wurde lediglich das Voice Over synchronisiert, die restlichen Dialoge blieben wohl aus Authentizitätsgründen auf portugisisch, was aber einen hektischen Film mit Handkameraaufnahmen zu einer abenteuerlichen Veranstaltung macht, da man weder sonderlich sorgfältig, noch sehr geschickt die Texte als Untertitel ins Geschehen schickt – reden mehr als zwei Personen, fällt der Zuschauer der Verwirrung anheim.

Doch im Wesentlichen ist Padilha wohl das Spiel mit den Perspektiven wichtig, die so komplex angeordnet sind, daß sie den Zuschauer an sich schon überfordern, wenn der nicht höchste Aufmerksamkeit bereit hält.
Erfahrungsgemäß bindet man sich nämlich stets an den Erzähler, der hier jedoch ein Unmensch zu sein scheint; die Einsätze steigern sich in fiebrigem Gewackel zu Gewaltexzessen, die man jedoch keinesfalls genießen kann, die so faschistisch wie im Zusammenhang notwendig sind, unweigerlich befindet man sich stetig in einem Zwiespalt, bei dem man nie sicher sein kann, für wen man sein soll.
So gibt es keine richtigen Seiten, nur stete Verschärfungen der bestehenden Um- und Zustände und ein zunehmender Verlust der Menschlichkeit.

Damit ist auch eigentlich egal, ob der Film jetzt, vor einem oder vor zwei Jahren heraus gekommen wäre oder ist, denn die Zustände bleiben die selben, „Tropa de Elite“ ist eine Zustandsbeschreibung oder Alternative, eine giftige und kontroverse Lösung ohne Antidot und so uneben und ungemütlich wie man es einem Publikum nur zumuten kann, der natürlich nach Unterhaltungselementen lechzt oder zumindest nach identifizierbaren Stilmitteln des bekannten Kinos.
Dabei soll der Film wohl eher zur Diskussion anregen, man soll ihn weder bejubeln noch brüsk ablehnen, sondern eher die Komplexität verstehen, bei dem richtig und falsch als Begriffe regelrecht negiert wurden. Frustration und Hilflosigkeit sind die fertigen Produkte des Films, was ihn nicht zu einem zugänglichen Geschenk macht.
Daß sich in Zeiten politischem Desinteresses in den Multiplexen zu wenig Interesse findet, ist dabei schon selbstverständlich und ob die wenigen Arthäuser mit ihrem sehr auf liberal erkennbaren Strukturen fixierten Publikum die Kontroverse mittragen muß bezweifelt werden. (8/10)

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