Der Poliziottesco ist ein italienisches Film-Subgenre, zu dem jene Filme gezählt werden, bei denen die Polizeiarbeit, mafiöse Verstrickungen oder der allgemeine Gangsterbezug in Verbindung zueinander im Kontext der Handlung stehen. Bei dem klassischen Poliziottesco handelt sich um eine Unterart des Kriminalfilms, dessen Beiträge hauptsächlich zwischen 1968 und 1982 gedreht wurden. Nach dieser Hochzeit gab es kaum noch Produktionen, die zum Genre gezählt werden können. Als Erstlingswerk wird häufig der Film "Das Syndikat" von Stefano Vanzina alias Steno genannt. Hier wird die Problematik eines Polizisten behandelt, der im Alleingang gegen die Kriminalität ankämpft. Typisch für das Genre ist die Hilflosigkeit und das Desinteresse der staatlichen Organe, die die Protagonisten zu eigenmächtigen Handlungen zwingen. Dieses Leitmotiv zieht sich durch sämtliche Poliziotteschi dieser Dekade. Der Regisseur Enzo G. Castellari ("Ein Haufen verwegener Hunde") konnte durch seine technisch anspruchsvolle Kameraführung in Filmen wie "Tote Zeugen singen nicht" (den wir in Ausgabe 3 der Retro-Zin vorgestellt hatten) überzeugen. Darsteller wie Maurizio Merli, Franco Nero, Tomás Milián oder Fabio Testi wurden zu Aushängeschildern des Genres. Beiträge wie "Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert", "Der Teufel führt Regie", "Der Berserker", "Racket" oder "Der Vernichter" zählen zu den wichtigsten Werken.
Heute werfen wir einen genaueren Blick auf Marino Girolamis Film "Verdammte, heilige Stadt", der auch unter dem Titel "Gewalt rast durch die Stadt" bekannt ist und mit namhaften Gesichtern des Genres besetzt ist: Maurizio Merli spielt einmal mehr den Polizisten, der an der fragwürdigen Struktur des Justizapparates scheitert, der den Verbrechern mehr Schutz zubilligt als den hilflosen Bürgern der Stadt, die sich einer Welle der Gewalt und des Verbrechens ausgesetzt sehen. Als seine fragwürdigen Methoden bei seinen Vorgesetzten auf wenig Verständnis stoßen und auf die Gewalt mit Gegengewalt geantwortet wird, scheidet er aus dem Polizeidienst aus und schließt sich einer privaten Bürgerwehr an.
In weiteren Rollen spielen Italo-Beau Ray Lovelock, der sich als Polizist Undercover in die Banden einschleust, John Steiner als skrupelloser Bankräuber und Richard Conte als Rechtsanwalt und Vorstand der Bürgerwehr, dessen Tochter Opfer einer brutalen Vergewaltigung wurde.
Gleich zu Beginn wird Girolamis erzreaktionäre Handschrift und der Charakter des Films mehr als deutlich, als der Überfall auf einen Linienbus ein jugendliches Opfer fordert, und die aufgebrachten Bürger nach mehr Härte bei der Strafverfolgung und der Todesstrafe fordern. Hier und in unzähligen weiteren Momenten wird in Dialogen und Szenen mehrfach die Kritik an ein lasches Justizsystem deutlich, das den Verbrechern noch zu viele Rechte zubilligt und den Ermittlungsbehörden praktisch Steine in den Weg legt. In keinem anderen Film ging das dargestellte Versagen von Exekutive und Judikative so weit, dass ein ermittelnder Polizeibeamter sich einer Gruppe von Vigilanten anschließt, um in den Straßen Recht und Ordnung wiederherzustellen. In Gestalt von Ray Lovelock, der in seiner Rolle als Polizist bei einem Einsatz rücksichtslos angeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt wird, äußert sich aber auch Kritik an der Vorgehensweise seines Kollegen, da die Antwort auf Gewalt immer wieder Gegengewalt sein wird.
Und so skizziert "Verdammte, heilige Stadt" einen Teufelskreis, aus dem es nur ein Entrinnen zu geben scheint: eine komplette Sanierung des Justizapparates, die den ermittelnden Beamten mehr Freiheiten im Rahmen der legalen Strafverfolgung einräumt, und die Lücken des Gesetzes schließt, aus denen die Verbrecher mit Hilfe gewiefter Winkeladvokaten schlüpfen können.
Doch dass dieser Aufschrei nach einer grundlegenden Gesetzesänderung ungehört blieb, beweisen die politischen Zustände eines Landes, in dem mafiöse Strukturen noch immer regieren und Korruption und Beamtenfilz bis in die höchsten Ebenen reichen.
Sieht man von dem "ehrenwerten Unterfangen" einmal ab, dass nur Mittel zum Zweck für eine reißerische und brutale Inszenierung ist, bleibt unterm Strich ein sauber inszenierter, streckenweise sehr harter Vertreter seines Genre, der im Laufe der Handlung immer mehr an Fahrt zunimmt. Vor allem die unzähligen, minutenlangen Autoverfolgungsjagden sind es, die zu den Höhepunkten dieses Films zählen und von einem rasanten Soundtrack der de Angelis-Brüder begleitet werden.
Insgesamt ein unterhaltsamer Beitrag, der besser ist, als der Ruf des Regisseurs, der einige Jahre später mit "Zombies unter Kannibalen" eine brutale Vermischung von Zombie- und Kannibalenfilm inszeniert hatte, von dessen Geschmacklosigkeiten "Verdammte, heilige Stadt" trotz seines selbstzweckhaften Charakters weit entfernt ist.
Die Fassung, auf der dieses Review basiert, bezieht sich auf ein namentlich nicht näher benanntes Bootleg, dass unter dem Logo des früheren VHS-Labels "Arcade" den Film in eher bescheidener Qualität herausgebracht hat. Bild- und Tonqualität sind schwankend und gehen nicht über VHS-Niveau hinaus. Dafür ist der Film komplett ungeschnitten. Das Bootleg ist mittlerweile seltener geworden, erfüllt aber trotz der durchwachsenen Qualität seinen Zweck, dem Fan diese Genreperle zugänglich zu machen.
6,5/10