Es ist eine Schande, dass sich für eine deutsche Version von „Pariah“ noch kein Label erwärmen konnte. Ich würde diesen Film als Pflichtprogramm in den entsprechenden Kreisen verordnen. Denn ich kenne keinen Film, der sich mit dem Neonaziunwesen besser und vor allem internationaler auseinander setzt als eben dieser leider viel zu wenig bekannte Film.
„Pariah“ setzt sich nicht mit dem organisierten, ebenfalls zu recht gefürchteten Neonaziwesen auseinander, bei dem aus der Melange alter, uneinsichtiger Menschen und junger Dummköpfe eine Herausforderung für die modernen Demokratien entstehen kann. Es geht um die Skinhead-Szene, bei der jugendliche Vertreter des „White trash“ den Nationalsozialismus als Jugendkultur pflegen, ohne in irgendeiner Art inhaltlich mit der Materie vertraut zu sein. Es geht nur darum, eine Gemeinschaft von Verlierern zu sein, die sich in der Gruppe als mehr wert empfinden und durch das Bekämpfen anderen Randgruppen (Farbige, Schwule, usw.) den bis dahin nicht empfundenen Rausch der Elite zu spüren. Eine solche Bande gescheiterter Jugendlicher ist Gegenstand des Films. Sie überfällt ein Pärchen, schlägt den weißen Mann zusammen und vergewaltigt mehrfach seine schwarze Freundin. Diese kann die Situation nicht verkraften und nimmt sich ein wenig später das Leben. Ihr Freund Steve beschließt, sich zum Skinhead herzurichten und diese Gruppe zu infiltrieren. Seine Motivation ist Hass und Rache. Wie er sie umsetzte will, weiß er zu Beginn noch nicht. Wer nun einen klassischen Rächerfilm erwartet schaut in die Röhre. Steve hat ausreichend Schwierigkeiten, in die Gruppe aufgenommen zu werden. Erst nach einigen Schlägereien mit Farbigen und einem Messerangriff auf eine Tunte als Treuebeweis wird er ansatzweise akzeptiert. Doch bevor er sich an seine Rachepläne machen kann, beginnt die Gewaltspirale sich zu drehen. Die Gruppe steuert auf eine Katastrophe zu und reißt ihre Umwelt mit.
Dieser Film verliert Steve und seine Rachepläne sehr oft aus den Augen. Dafür nimmt sich der Regisseur viel Zeit, ein Soziogramm der Skins zu zeichnen, dass sie schon als Unberührbare der Gesellschaft darstellt, aber auch ihre Chancenlosigkeit verdeutlicht. Es gibt keinen Platz für Beziehungen, seien es nun Verhältnisse oder Freundschaften. Es gibt nur Saufen, Prügeln und Sex hart an der Vergewaltigung. Die Gruppe ist innerlich so, wie sie nach außen ihre Gewalt vermittelt. Analog werden die Farbigen einer gegnerischen Gang dargestellt. So wird dem Zuschauer keine Chance gegeben, sich eventuell doch zu entscheiden, wer nun mehr oder weniger Schuld trägt.
Faszinierend sind die Dialoge (die sicher ein Problem bei dem Eindeutschen sein werden), denn es wird eigentlich gar nicht geredet, sondern nur über Four letter words rudimentär kommuniziert. “F*** you. No, f*** you. You’re a d***. And you’re a c***!” Nur Steve scheint noch ernsthaft reden zu können. Aber wenn er es tut, versteht keiner die harten Aussagen, die er trifft. Die Gruppe ist intellektuell schon zu weit hinterher.
Toll sind auch die Bewegungen der Schauspieler. Jeder Schritt ist reine Kraftmeierei. Und wenn dann mal eine Katastrophe passiert, reagieren alle wie eine Primatengruppe unter Stress. Es wird nur gesprungen, gestikuliert und gedroht. Keiner kann mehr rational auf den Einbruch einer Störung in die eigene Welt reagieren. Der Tot eines Gruppenmitglieds und die finale Aktion von Steve bringen keine Erkenntnis, sondern nur das nächste Level der Gegengewalt. Zuerst waren es nur Schlägereien. Dann sind es Schießereien. Der Weg zum Terrorismus ist, bar jeden ideologischen Unterbaus, geebnet.
Die Schauspieler agieren phantastisch. Sie mimen das ausgestoßen sein unglaublich realistisch, da man ihnen glaubt, dass sie in den richtigen Momenten die Einbindung in ein anderes soziales Gefüge als ihre Gang gerne hätten. Ihre Darbietung wird von einem unglaublich guten Soundtrack begleitet, der die Aggression als Lebensgefühl unterstreicht (o.k., ich bin aber auch ein Fan dieser Musik).
„Pariah“ ist ein harter, klar gezeichneter Film, der einen glaubwürdigen Einblick in das Skinheadleben gewährt. Dabei klagt er nicht nur an, sondern zeigt auf, wie aus der sozialen Verelendung Gewalt und daraus wieder Gegengewalt entsteht. Auch wenn es subjektiv Schuldige gibt, wird die objektive Frage nach der Verantwortung ausgeklammert. Es wird Zeit, dass der Film in Deutschland besser verfügbar wird, da hier gutes, amerikanisches Anschauungsmaterial ohne das Problem der eigenen, nationalen Situation den pädagogischen Anspruch des Films voll rüberbringen könnte. Von mir klare 10 Punkte.