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Der deutsche Autorenfilmer Werner Herzog („Nosferatu – Phantom der Nacht“) erzählt in der 1999, also acht Jahre nach Kinskis bedauerlichem frühem Tod, entstandenen Dokumentarfilmproduktion von seiner Zusammenarbeit mit Klaus Kinski, die insgesamt fünf Spielfilme lang hielt. Dafür reist er zurück nach Peru, wo Filme wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“ entstanden und berichtet von der Hassliebe zweier Männer, eines manischen Exzentrikers und eines besonnenen, aber nicht weniger von seiner Arbeit besessenen Regisseurs, die eine ganz eigenartige gegenseitige Faszination füreinander und fruchtbare Inspiration miteinander verband.

Wie kaum ein Zweiter hatte Herzog Kinski gefordert und ihm anspruchsvolle Hauptrollen zugeteilt, die wenig mit Kinskis Engagements in europäischen, häufig italienischen Genrefilmen gemein hatten. Herzogs historische Dramen forderten alles von Kinski und dieser war gern bereit, genau dies zu geben – steigerte sich jedoch gleichzeitig, vielleicht gerade deshalb, immer wieder in wahnwitzige Wut- und Gewaltausbrüche und cholerische Anfälle, die die ohnehin schwierigen Produktionsbedingungen weiter verschärften und die Projekte bisweilen ernsthaft gefährdeten. Offensichtlich war es die Professionalität aller Beteiligten, die persönliche Befindlichkeiten den großen Zielen, der Fertigstellung der Filme, unterordneten und unnachgiebig an den Erfolg glaubten, die vorzeitigen Abbrüche der Dreharbeiten verhinderten.

Nun war Kinski ja auch schon vor Herzogs Film als Enfant terrible bekannt und berüchtigt, Gerüchte von (Beinahe-)Mord und (Beinahe-)Totschlag während der Dreharbeiten machten die Runde und ließen den Boulevardblätterwald rauschen. Kinskis Autobiographien lassen kein gutes Haar an Herzog und beschimpfen ihn aufs Übelste. Herzog greift diese Themen mit einigen Jahren Abstand auf und erzählt auf spannende Weise seine Sicht der Dinge, holt sich bisweilen „Schützenhilfe“ von Zeitzeugen, die ihn bestätigen, lässt aber auch die Schauspielerinnen und Drehpartnerinnen Kinskis Eva Mattes und Claudia Cardinale zu Wort kommen, die ausschließlich Positives über Kinski zu berichten wissen. Wähnt man sich zunächst noch in einer moralisch fragwürdigen, späten Abrechnung eines in seiner Würde gekränkten Kinski-Opfers mit einem sich nicht mehr wehren könnenden Verstorbenen, entsteht so mit der Zeit ein differenziertes Bild, das sich bei aller Emotionalität immer wieder um Sachlichkeit und vor allem Fairness bemüht.

Werner Herzog zeigt Originalaufnahmen von Filmproduktionen, die er aus dem Off kommentiert, besucht alte Weggefährten und steht selbst vor der Kamera, im Hintergrund die beeindruckende Kulisse der peruanischen Berglandschaft. In ruhigem, unaufgeregten Tonfall geht er detailliert auf Kinskis Persönlichkeit ein, betont bei allen negativen Merkmalen aber auch Kinskis Talent und erwähnt die vielen schönen und positiven Momente ihrer Zusammenarbeit. Jedoch räumt er unmissverständlich auf mit jeglichem Mythos eines aufbrausenden und harschen, aber letztlich gerechten, autoritätsfeindlichen sozialen Revoluzzers Kinski. Er beschreibt, wie Kinski auch auf harmlose Statisten losging und diese schwer verletzte, wie Kinski in seiner Eitelkeit sich als naturverbundener Mensch in den Regenwäldern für die Öffentlichkeit ablichten ließ, nur im sich im nächsten Moment über Ungeziefer zu beschweren und wie er stets versuchte, im Mittelpunkt zu stehen und dabei jegliches Fingerspitzengefühl vermissen ließ, wenn er beleidigt war, weil ausnahmsweise einmal nicht alle Aufmerksamkeit ihm galt, sondern einem Produktionshelfer, der sich mit einer Kettensäge nach einem Schlangenbiss seines Armes entledigen musste – woraufhin sich Kinski divenhaft über lauwarmen Kaffee beschwerte. Welche Dimensionen speziell die Konflikte zwischen einem besserwisserischen, selbstverliebten Kinski und einem zwangsläufig Pragmatismus und Diplomatie verpflichteten Regisseur zeitweilig einnahmen, beweisen erschreckende Vorkommen von gegenseitigen Todesdrohungen und sowohl angedachten, als auch angebotenen Mordkomplotten – was es fast wie ein Wunder wirken lässt, dass sich die beiden komplexen Charaktere nicht gegenseitig zerfleischt haben. Die kontrastreichen Facetten von Kinskis Persönlichkeit unterstreichen dann auf der anderen Seite Aufnahmen seines liebevollen und vollkommen entspannten Spiels mit einem erstaunlich zahmen Schmetterling, um nur das extremste Beispiel zu nennen.

Ernüchternd ist das von Herzog nachgezeichnete Bild Kinskis für all diejenigen, die den Schauspieler idealisiert und glorifiziert haben. Hochinteressant ist „Mein liebster Feind“ aber für alle, die an einem Blick hinter die Fassade, die Kinski der Öffentlichkeit bot, interessiert sind und einen authentischen Eindruck davon vermittelt bekommen möchten, wie nah Genie und Wahnsinn beieinander liegen können und wie unterschiedlich ausgeprägt die menschliche Psyche sein kann – gerade auch in Extremsituationen, die kollegiale Zusammenarbeit beim Streben nach einem gemeinsamen Ziel erfordern. Ich habe nicht den Eindruck, dass Herzog seinen Dokumentarfilm inszenierte, um schmutzige Wäsche zu waschen oder sich auf dem Rücken Kinskis wieder ins Gespräch zu bringen, wenngleich er sein Licht auch nie unter den Scheffel stellt und sich nicht ohne Stolz als Kinski-Bändiger und aufopferungsvoller Filmemacher präsentiert. Nun kann ich den Wahrheitsgehalt natürlich nicht verifizieren und bin ich auch mit Herzogs Schaffen bisher reichlich wenig vertraut, da ich zugegebenermaßen als sensationslüsterner Krawalltourist zuerst zu genau diesem Film aus der Herzog/Kinski-Box griff. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass mir a) Herzog mit seinem Film Kinski nicht vorgeführt, sondern als extremen Charakterkopf differenziert näher gebracht hat, mich b) für seine Filme interessiert hat und mich c) erstklassig unterhalten hat, denn mitunter ist „Mein liebster Feind“ der reinste Psycho-Thriller.

Und während „Mein liebster Feind“ mit krawalligen Ausschnitten aus Kinskis „Jesus Christus Erlöser“-Tournee begann, endet er mit Ausschnitten aus dessen Herzensprojekt „Paganini“, mit dem er sich kurz vor seinem Tod seinen Lebenstraum erfüllte. Ein versöhnlicher Ausklang.

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