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Rocky bekam vor kurzem seinen ehrwürdigen Abgang, da erscheint es nur folgerichtig, dass Sylvester Stallone nun auch seine zweite große Kinofigur in den verdienten Ruhestand schickt. Im heutigen Action-Kino bestimmen Computer-Effekte und MTV-Ästhetik das allgemeine Bild, doch „John Rambo“ schließt sich der Retro-Welle an, folgt, wie schon „Stirb Langsam 4.0“ oder „Shooter den Traditionen der 80er Jahre und macht dabei einen äußerst soliden Eindruck. Nach Jahren blasser Rollen von der Stange ist Stallone wieder sichtlich motiviert in seinem Element, übernahm neben der Hauptrolle auch die Regie, das Drehbuch und war maßgeblich an der Produktion beteiligt. Dies ist Stallones Film und er macht keine Gefangenen. In nie gekannter Drastik entfacht er ein brutales Gewitter der Zerstörung und einen auf perverse Art höchst unterhaltsamen und gelungenen Film.

Das aufgeblasene Pathos des dritten Teils wirft Stallone gänzlich über Bord und orientiert sich an den Tugenden der ersten beiden Vertreter der Reihe. Ebenso wie im Originalfilm „First Blood“ ist John Rambo ein Ausgestoßener, verbittert und als alternder Mann ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Seine bösen Erinnerungen quälen ihn immer noch, doch die behäbige Dramaturgie des ersten Teils wird ersetzt durch brutalste Action ohne Tempodrosselung. Schon die „First Blood“ gerne angedichtete kritische Tiefenwirkung verpufft bei genauerer Betrachtung während der von James Cameron mitgeschriebene Nachfolger wegen offen zelebrierten Patriotismus aneckte. Tatsächlich steht „John Rambo“ viel mehr in der Tradition des zweiten Teils, Kriegsaction allerhöchsten technischen Niveaus und ohne einen pseudomoralischen Deckmantel.

Kompromisslos brutal ist schon der Beginn wenn uns kurze Clips in Form von Nachrichtenmaterial einen groben Einblick bieten in den wahnsinnigen Schrecken des Genozids in Myanmar. Dass sich der verbitterte Einzelkämpfer verhältnismäßig leicht überreden lässt zu einem halsbrecherischen Ausflug in die Hölle dieses Völkermordes, macht einen zu simpel gestrickten Eindruck um emotionale jene Glaubwürdigkeit zu entwickeln, wie es die ersten beiden Filme noch schafften. Damit ist schon das Hauptproblem des Films angerissen, der Umgang mit seiner fast schon mystisch-übermenschlich dargestellten Titelfigur. Mit weniger als neunzig Filmminuten und permanentem Dauerfeuer kommt zwar garantiert keine Langeweile auf, viel Platz für eine angemessene Vertiefung des Charakters John Rambo bleibt aber logischerweise nicht. Betrachtet man im Vergleich die Rocky-Reihe, so fällt eindeutig auf, dass Rambo nicht mehr als eine stilisierte Schablonenfigur ist und die Chance, ihm mehr Facetten abzugewinnen scheitert angesichts der vollen Konzentration auf einen brachial gedopten Plot, dessen ausführliche Inhaltsangabe locker auf einen Bierdeckel passt. So liest sich auch der Schluss kaum als versöhnliches Ende für die Filmreihe sondern könnte ebenso gut weitergeführt werden, auch wenn diese Option höchst unwahrscheinlich ist. Gerade weil die weiteren Figuren nur nötige Staffage ausmachen, wäre hier sicherlich mehr drin gewesen.

Stallone zelebriert ein Massaker nach dem anderen und liefert den vielleicht brutalsten amerikanischen Kriegsactioner aller Zeiten ab. Da werden im Minutentakt Gliedmaßen abgetrennt, Kleinkinder ins Feuer geworfen, blutig erstochen, getreten und entführt, Frauen vergewaltigt und ganze Dorfgemeinschaften hingemetzelt. Natürlich ist Rambos Antwort unerbittliche Gegengewalt, da werden Kehlköpfe heraus gerissen und zahllose gesichtslos-böse Schurken mit gigantischen Kalibern in Fetzen geschossen. Dies alles geschieht in einer so selbstverständlichen Direktheit und befördert den Zuschauer in einen energetischen Gewaltrausch. Zur gezeigten Gewalt wird dabei aber keinerlei Distanz gewahrt, jedes graphische Detail dient der puren Kurzweiligkeit. Völkermord als Massenunterhaltung.

Lässt man das überaus flache Drehbuch außer Acht, macht Stallone nahezu alles richtig mit seiner straffen Inszenierung. Feinfühligkeit in Bezug auf das Innenleben seiner Charaktere ist zwar nicht vorhanden (Rambos Kampf mit den Dämonen der Vergangenheit wird abgetan in einer hektisch geschnittenen Bildfolge inklusive einiger Impressionen der ersten drei Teile), dafür begeistert die stark atmosphärische Kameraführung, welche die exotischen Schauplätze aufregend und authentisch einfängt. Die mit Zurückhaltung verwendeten digitalen Effekte und schnellen Schnittfolgen kombiniert Stallone mit den Tugenden des glorreichen Actionfilms der 80er, dem Jahrzehnt, in dem das Genre seine Glanztage feierte. Auffällig ist die sparsame Verwendung zynischer Oneliner, die dem Dargebotenen eine gewisse Coolness verleihen. Auch wenn das erschütternde reale Grundgerüst, an dessen Schrecken sich die Story entlang hangelt, eine seriöse filmische Auseinandersetzung verdient haben und in dieser Weise eher lächerlich gemacht werden, sind diese Elemente untrennbar mit dem Genre verbunden. Effektvolle, spannende Action lässt sich nur schwer verbinden mit einer ambitionierten Aussage – Edward Zwick ist diese Gratwanderung in „Blood Diamond“ geglückt, in den Händen Stallones wäre der Ansatz wohl sogleich zum Scheitern verurteilt.

Sich hundertprozentig auf Dynamik, Tempo und Schauwerte zu verlassen wirkt sich in dieser Hinsicht positiv aus, auch wenn andererseits die Konzentration auf die Hauptfigur dürftig ausfällt. Für den Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion bedeuten die Herausforderungen seiner beiden liebsten Rollen auch persönliche Aufgaben, mit „Rocky Balboa“ stieg er ein letztes Mal in den Ring, mit „John Rambo“ zieht er erneut in den Dschungelkrieg. Nicht nur die sichtbare körperliche Topform, auch die druckvolle Inszenierung zeigt, dass man Stallone nicht abschreiben sollte und er dem Nachwuchs aus der Werbebranche noch einiges an Lehrstunden zu erteilen hat. Auch wenn sicher nie ein differenziert geschriebenes Drehbuch ohne schwarz-weiß Malerei aus Stallones Feder fließen wird. Deutlich wird das an Nebenfiguren wie zum Beispiel die von Julie Benz („Dexter“) gespielte Sarah. Benz kann nur einen Bruchteil ihres sensiblen schauspielerischen Könnens an den Tag legen, ihre Figur ist austauschbar und ohne jede erkennbare Glaubwürdigkeit. Da wirkt ihre Tapferkeit in manchen Situationen schon fast peinlich wenn sie ansonsten blass und unscheinbar bleibt.

Komponist Brian Tyler zitiert erkennbar respektvoll Auszüge des bekannten Rambo-Scores des mittlerweile leider verstorbenen Jerry Goldsmith. An dessen intensiven heroischen Tönen reicht Tylers Musik zwar nicht heran, kann aber mit ansprechend arrangierten Untermalungen größtenteils überzeugen, auch wenn sie keine neuen Akzente setzt. So spektakulär blutrünstig die Bilderflut über den Zuschauer her fällt, so energiegeladen pumpt der Score aus den Boxen. Keine Frage, audiovisuell ist „John Rambo“ ein Hochgenuss, einer der raren Höhepunkte des aktuellen Genrefilms und hinterlässt doch besonders aufgrund seiner grimmigen Bösartigkeit einen sauren Beigeschmack. Warum sich der Film so penetrant auf einen politischen Hintergrund beruft, eine Erklärung hierfür bleibt aus. Was im ersten und zweiten Teil durchaus Sinn machte und im dritten zur absoluten Farce geriet, kann hier keiner Bedeutung zugeführt werden. Das der Schauplatz dabei nicht anonym gehalten wird sondern sensationalistisch und mit aufgesetzter Betroffenheit in aller Deutlichkeit ausgeschlachtet wird, bleibt ein ärgerlicher Störfaktor in einem formell astreinen Unterhaltungsfilm. Dem Film jegliche ernst zu nehmende Botschaft, besonders in pazifistischer Hinsicht, unterzuschieben erscheint angesichts dieser Umstände vermessen, besonders wenn Stallone selbst in Interviews den Realitätsanspruch betont. Auch wenn die tumbe Macho-Schiene einer weitaus düstereren Verpackung gewichen ist, Rambo bleibt Rambo und entwickelt sich nicht mehr zu einer wahrhaft tiefen Figur. Fans wird es gefallen.

Fazit: Mehr Mühe in Bezug auf die Verabschiedung seiner Kunstfigur John Rambo hätte sich Stallone zweifelsfrei geben müssen um einen wirklich denkwürdigen Schlusspunkt zu setzen. Stattdessen bleiben vor allem die bestialischen Gewalttaten und die hervorragende Action in Erinnerung. Eine vergleichbar perverse Ausstellung menschlichen Leids hatte der klassische Genrefilm der 80er aber nicht nötig um testosterondampfende Unterhaltung vom Feinsten zu bieten.

6,5 / 10

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