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Eine Schauspielerin verliert bei einem Autounfall ihr Gedächtnis. Sie kommt bei einer hoffnungsvollen Nachwuchsschauspielerin unter, mit der sie gemeinsam auf die Suche nach ihrer Vergangenheit geht - und dabei über bedrohliche Verfolger, mysteriöse Erinnerungsbruchstücke und eine Leiche stolpert. Währenddessen bekommt es ein Regisseur mit der Mafia und allerhand skurrilen Typen zu tun. Dass diese beiden Handlungsstränge - zusammen mit einigen kleinen am Rande - nur bedingt logisch zueinander finden, dessen darf man sich bei einem Film von David Lynch gewiss sein.

Mit der ihm eigenen stilistischen Versiertheit inszeniert Hollywoods Meister des Surrealen auch mit seinem mittlerweile zum Kult avancierten „Mulholland Drive" einen finsteren Albtraum aus den Tiefen des menschlichen Unterbewusstseins. In dunklen, lethargischen Bildern, mit einer ruhigen Kamera, deren Bildfolgen langsam und elegant einen immer bedrohlicheren Reigen entfesseln, und einem wunderbaren Soundtrack seines Haus- und Hofkomponisten Angelo Badalamenti, der zwischen skurrilem Mickey Mousing, subtil bedrohlicher Spannungsmusik und tief melancholischen Klängen mäandert, entwickelt sich nach und nach eine mit jeder Filmminute intensiver werdende Atmosphäre, die den Zuschauer spätestens zur zweiten Filmhälfte atemlos gebannt dem so verwirrenden wie beängstigenden Geschehen folgen lässt.

Verwirrend wird das Ganze freilich erst gegen Ende, wenn sich herauskristallisiert, dass sich die verschiedenen Handlungsstränge - Schauspielerin mit dubioser Vergangenheit, Regisseur mit Mafia-Problemen und Auftragsmörder aus dem White Trash-Milieu - zwar zusammen finden, allerdings ganz anders, als man auf den ersten Blick meinen möchte (und die eine oder andere Nebenfigur, etwa des „Cowboys" oder eines Mannes, der hinter einem Restaurant seinen Gestalt gewordenen Albtraum erlebt, bleibt komplett undurchsichtig). Wie in Lynchs besten Filmen „Blue Velvet" und „Lost Highway" entwickelt sich die Story hier mehr nach der impulsiven Logik eines Albtraums als nach unserer Realität. Da verschmelzen Gesichter und Charaktere, wechseln Namen und Identitäten, werden Zeitsprünge oder Rückblenden nur durch kleine Details angedeutet. Die bedrückende, absolut fesselnde Geschichte entpuppt sich als im besten Sinne kafkaesk: Es werden gleich mehrere mögliche Interpretationsräume angeboten - die sich aber gegenseitig widersprechen und von denen keiner jede einzelne Szene erklären könnte. So entwickelt sich ein fesselndes Vexierspiel zwischen Albtraum, Realität und Wahnsinn, das dem Zuschauer sehr viel Platz für eigene Assoziationen bietet.

Getragen wird das neben den für Lynch typischen skurrilen Nebenfiguren durch die beiden grandiosen Hauptdarstellerinnen: Naomi Watts in einer bizarren Doppelrolle (lässt hier vielleicht „Fight Club" grüßen?) und Laura Elena Harring als verwirrte, aber vielleicht nicht ganz so nette Schauspielerin, wie man zunächst denken mag, entwickeln im gegenseitigen Spiel eine emotionale Intensität, die ihresgleichen sucht und die viel dazu beiträgt, den Zuschauer so hoffnungslos in diese seltsame, bedrohliche Welt zu ziehen. Zwischen Naivität, emotionaler Verrohung und so überraschenden wie erotischen Liebesszenen entfalten sie ihr ganzes schauspielerisches Können.

Dieses Gesamtpaket aus starken Darstellern, großartiger Inszenierung inklusive sich wiederholender Szenen mit anderen Figuren, paralleler Montagen, die womöglich gar nicht parallel stattfinden, und verwirrenden Bildschnitten, und langsamer, aber in jedem Moment bewusster Erzählweise macht „Mulholland Drive" zu einem von Lynchs großen Meisterwerken. Und wie etwa auch bei „Twin Peaks - Der Film" steckt hier hinter dem Horror, der in den scheinbar gewöhnlichen Alltag sickert, auch eine tiefenpsychologische, enorm tragische Interpretationsmöglichkeit - wenn man diese denn hineinlesen will. Als visuell so brillantes wie verstörendes Werk kann der Film also jeden begeistern, der sich auf offene Erklärungsräume einlassen will. Ein Höhepunkt in Lynchs filmischem Schaffen.

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