Review

Für Filmfans whoo-ho, für Buchpuristen eher oh-no - das ist die Bilanz von 152 Minuten Harry Potter auf Zelluloid. Vor den Augen eines zahlreichen Millionenpublikums spult sich ein Streifen ab, der mit seinen Pfunden aufgrund der überwuchernden Phantasie einer Joanne K.Rowling wuchern kann, effektgeladen und optisch ein Fest. Aber es wird auch zahlreiche Kritiker und Pfennigfuchser geben, die nicht zufriedengestellt sein werden - und die auch recht haben. Es ist zwiespältig, was Hollywood da produziert hat, aber es ist nicht mißlungen.

Zum einen ist es natürlich schier unmöglich, im Rahmen eines nicht allzu überlangen Films die ganzen Einzelheiten der Potter-Bücher einzufangen. Das wird die Aufgabe eines Director's Cuts sein, für den hoffentlich noch locker eine Stunde weiteres Filmmaterial zur Verfügung steht. Aber das Wesentliche und einiges mehr haben Chris Columbus und sein Team auf Film gebannt und das ist überhaupt das Wichtigste.

Denn die Traumfabrik strickt sich gern seine eigenen Legenden, doch da war Mrs.Rowling vor. Und so hangelt sich der Film storytechnisch recht eng am ersten Roman entlang und führt nacheinander alle Kernelemente der Handlung auf. Die wiederum werden flüssig und dankenswert nicht zu schnell erzählt. Gerade die Einführung Harrys Lebensumstände bei den Dursleys, seine Benachrichtigung, der Einkauf für die Schule bis zum verzauberten Bahnsteig nimmt relativ viel Zeit in Kauf, um vermutlich für Nicht-Buch-Kenner keinen überstürzten Einstieg zu wählen.
Das allerdings führt später zu einem inhaltlichen Problem, denn obwohl zweieinhalb Stunden lang sind, hätte eine zusätzliche halbe Stunde dem Film trotzdem gut getan. Denn befinden wir uns endlich in der Zauberschule Hogwarts, scheint jede Minute zu kurz zu sein.

Auch befindet sich Columbus hier schon in Zeitnot. Der Plot um die Verschwörung, den Stein der Weisen und Voldemort verkommt hier einerseits zum Kern des Interesses, alles weitere bleibt nur Beiwerk oder wird ausgespart. Sehr konzentriert handelt der Film in der letzten Stunde das Geheimnis um Voldemort ab und enthüllt eine der wirklichen Umsetzungsprobleme. Denn was der Dramatik um den dunklen Lord geopfert wird, fehlt andererseits auf der "normalen" Seite. Es gibt kein "Leben in Hogwarts", kein Einfühlen in den Alltag eines jugendlichen Zauberschülers, kein Einleben in eine ungewohnte Umgebung, keine neuen Freunde, keine Schülerprobleme. Notgedrungen reduziert der Film das bis auf ein, zwei lediglich der Charakterfindung dienende Unterrichtsszenen und eine (!) Erwähnung der bereits erfolgten Abschlußprüfungen. Auch die Anfreundung der drei zentralen Charaktere erfolgt sozusagen im Off, denn derlei Szenen muß man als selbstverständlich annehmen. Das stört zwar nicht den Fluß, wird aber Buchkenner als klassischer Atmo-Verlust auffallen.
Dabei hätte es eine Kurzcollage von Szenen der drei beim Lernen, Essen, Lesen, Spielen mit Musikuntermalung schon getan, doch stattdessen hangeln wir uns anhand von Außenansichten, die die Jahreszeiten verdeutlichen durch das Jahr und rucken so stoßweise durch das Jahr.
Wenn dann tatsächlich ein Extra zur Handlung in den Film integriert wird, wie das Quidditch-Spiel, dann ist das meistens Eye-Candy ohne Zusammenhang. Es findet offenbar nur ein Spiel statt und das ist nicht Teil einer hausinternen Meisterschaft. Dasselbe Schicksal erleidet der (auch im Buch relativ überflüssige) Drache Norbert, der seine Existenz im Film wohl nur seiner Popularität verdankt, weswegen er auch funktionslos gleich wieder verschwindet.

Vermisst werden somit viele kleine Eigen- und Besonderheiten, die die Bücher so reichhaltig machen, am meisten fehlt mir jedoch der ironische Ton, der magisch normale menschliche Eigenheiten karikiert. Dafür bleibt zumeist kein Platz, führt aber zu einem wesentlich strafferen Spannungsbogen, wenn die Story arg konventionell ein Gut-gegen-Böse-Schema vermittelt und das magische Universum, daß Rowling sich hat einfallen lassen leider fast ganz verschweigt, obwohl gerade die Besonderheiten der magischen Welt (Regierung, Gesetze, Zeitungen, Regeln im Umgang mit Muggeln) den besonderen Reiz der Bücher ausmachen.

Auffällig wird die Zeitnot beim Showdown, der ansatzlos aus dem Boden gestampft wird, um dann streng episodenhaft abgehandelt zu werden. Visuell beeindruckende Teile (wie das Schachspiel) werden leicht entwertet durch sonst vermiedene moralisch-freundschaftliche Klischeeaufmunterungen und Wahrheiten, die hier nötig werden, weil der Film vorher keine Zeit hatte, durch genügend Figurentiefe schiere Effekthascherei zu entwerten.
Leider etwas blass und schnell kommt der Showdown daher, der Kindern einen angenehmen Schrecken einjagen dürfte, wenn auch (und das ist sicher einer der erträglichen Tiefpunkte) vollkommen spannungslos und im Vergleich zum Restfilm visuell enttäuschend inszeniert wurde.

Viel Mühe wurde sich mit den Figuren gegeben, die sich in großen Scharen in den Film gerettet haben, denen das Drehbuch aber erwartungsgemäß nicht gerecht werden kann. Harry, Hermine und Ron werden noch großartig bedient und auch von Hagrid, Dumbledore und McGonagall ist ausreichend zu sehen, gut getroffen allesamt. Ein wenig zu kurz kommen sicherlich Quirell und Snape, was schade ist, denn besonders Snape hat mit Alan Rickman als bedrohliches Potential einiges zu bieten. Die Dursleys am Anfang sind leider zu sehr Kasperletheater, als wirklich beeindrucken zu können und Familie Weasley kommt hier fast gar nicht vor, wenn man von Kurzauftritten von George und Fred absieht und das Sekundencameo der Mutter mitzählt.

Die Schauspieler geben samt und sonders ihr Bestes und hier gibt es hinten wie vorne keine wirkliche Fehlbesetzung, auch wenn einige Pedanten über nicht hundertprozentige Deckungstreue beim Aussehen nörgeln. Sicherlich wird Daniel Radcliffe, der Darsteller des Harry von seinen Freunden Ron und Hermine locker an die Wand gespielt, aber bei der Jugend der Darsteller gibt sich das hoffentlich noch in den folgenden Teilen. Außerdem sollte nicht vergessen werden, daß Harry auch in den Büchern eine eher passive Figur ist, aus deren Sicht die Geschichten zwar jeweils erzählt wird, die jedoch kaum superaktiver Handlungsträger ist, sondern oft von den Ereignissen selbst überrascht wird. Coltrane ist superb als Hagrid, ebenso wie Rickman hier wieder ein hervorragendes Betätigungsfeld als Ekel findet. Harris und Smith sind kongenial, während Cleese' Kurzauftritt höchstens ein nettes Extra bleibt. Leicht überzogen die Dursleys, wesentlich naturgetreuer die Weasleys.
Malfoy ist als Fiesling noch entwicklungsfähiger, bleibt hier relativ (buchgetreu) blaß. Schön der Auftritt John Hurts als Olivander.

An den Tricks gibt es alles und nichts zu bemängeln. Offensichtlich die hohe Beteiligung der Computertrickser, wobei die meisten F/X beachtlich sind. Etwas grob gezeichnet leider der Troll und auch das Schachspiel hätte man sich beweglicher gewünscht. Dafür sind Schloß und diverse Monstren recht gut getroffen, wobei dem Zentauren sicherlich die Dunkelheit zu Hilfe kommt. Kritikpunkt Nr.1 sicherlich ist das vielgerühmte Quidditch-Match, eine offensichtliche Herausforderung an das Pod-Racer-Rennen aus Episode 1. Rundherum superdramatisch gestylt, sieht der Flugraum und die Umgebung in diesen Szenen leider etwas zu künstlich aus und der spektakuläre Einsatz der Wischtechnik verstärkt für Freaks eher den Verdacht, daß hier Zeit eine gewaltige Rolle spielte. Wunderschön indes die Winkelgasse und ein kleiner Schatz der sprechende Hut.

In punkto Dramatik gibt es wenig zu bemängeln, denn der Film spult sich wie in einem Rutsch vor den Augen des Betrachters ab, ohne in Zeitraffer, Hektik oder Atemlosigkeit zu verfallen, dafür gibt es zuviel zu sehen. Das führt zu einer rundum zufriedenstellenden Optik, die oft vergessen läßt, daß an den Figuren noch gearbeitet hätte werden müssen, wenn der Film Eigenständigkeit gegenüber dem Buch hätte beweisen sollen. Aber das ist eine simple Buchverfilmung und in Anbetracht Columbus' früherer sirupsüßer, moralsaurer Verbrechen am Kinobesucher kann man hier nur zufrieden sein.

Es gibt also viel zu bemängeln und ebenso viel zu begrüßen in diesem ersten Abenteuer der Serie, daß für Sechs- bis Achtjährige eindeutig zu hoch angesetzt ist und in seiner Ganzheit wohl erst ab neun oder zehn erfaßt werden kann.
Erwachsene finden reichlich von allem, um nicht enttäuscht zu sein, wenn sie mit dem Sense of Wonder zufrieden sind und nicht den Geist jeder Zeile der Vorlage atmen wollen.

Bleibt zu hoffen, daß Hollywood die späteren und längeren Bücher nicht entscheidend verwässert, um sie in familienkompatiblen Filmen unterzubringen, sondern sich auch weiterhin auf Überlängen einläßt, damit alle einigermaßen zufrieden mit der filmischen Umsetzung sein können. Mrs.Rowling, bleiben sie dran.

Uns allen wünsche ich einen vergnüglichen Fantasy-Nachmittag oder Abend im Kino, wo man mit diesem Film (doch) für zweieinhalb Stunden die Realität mal vergessen kann, um sich beim Nachspann auf die nächste Runde zu freuen. Knappe 8/10.

Details
Ähnliche Filme