Es ist eine unaufhaltbare Flut - und doch wird sie trotz in der Regel eher mäßiger Kritiken so sehr begehrt. Slasher-Filme scheinen eine besondere Wirkung auf sein Publikum zu haben. Dabei ist es nicht entscheidend, narrativ oder darstellerisch zu überzeugen, sondern es geht um die handwerkliche Solidität, das Erreichen eines subjektiven Adrenalinschubs, das sich im Ersinnen neuer Sadismen wieder findet. Nun hat das französische Kino jedoch eine neue ganz persönliche Marke aufgestellt, die mit 'High Tension' und 'Inside' seinen brutalen Einstieg feierte. Xavier Gens Werk 'Frontier(s)' sollte nun an dessen Erfolge anknüpfen, vertraut Gens hier aber nicht auf das Spiel mit Atmosphäre und Handwerk, vielmehr spezialisiert er sich darauf, dem klassischen Neo-Folterfilm à la 'Hostel' Konkurrenz zu machen. Dadurch schwindet allmählich das französische Qualitätssiegel und Gens rutscht mehr und mehr in die amerikanisierte Erzählweise rein, wenngleich sein Personal nicht deren Sprache spricht.
Paris, die Stadt der Liebe, zeigt sich von seiner dreckigen (und anderen, realen) Seite; das Volk ist in Unruhen. Mittendrin eine Gruppe junger Erwachsener, die auf der Flucht zu sein scheinen und die Stadt verlassen müssen - doch bevor sie darüber spekulieren können, was sie mit dem Gestohlenen anstellen sollen, neigt sich der Tag dem Ende zu und die Gruppe muss sich eine Bleibe für eine Nacht suchen. Sie finden sich einem abgelegenen Hotel, das von einem Herr alter Schule geführt wird - von alter, nazistischer Schule. Nach der sehr intimen Begrüßung, wird dann aber auch schon abgerechnet - und der Erste wird im Schweinestall kopfüber aufgehängt.
Nach dem recht furiosen Einstieg in Paris, verläuft sich der Film immer mehr in einem Meer aus Unwahrscheinlichkeiten, lässt sich jedoch keine Zeit, Aufklärungen zu offenbaren. Weswegen die Familie um den alten Nazi-Vater seine Kundschaft regelrecht an den Pranger stellt und sie zum Abendmahl zwingt, bleibt im Unklaren, doch ersucht man in einem Horrorfilm eher weniger die Frage nach dem Wieso. Wer aber viele, nicht ganz uninteressante Themen aufwirft, es aber nicht für nötig hält, sie zu beleuchten, sondern sich viel mehr auf das Resultat konzentriert, wird die ein oder andere harte Kritik in Kauf nehmen müssen. Erfreulicherweise sind die Protagonisten trotz ihrer häufig dämlichen Handlungen keine 08/15-Abziehbildchen, sondern entwickeln sie eine ganz persönliche Beziehung zum Publikum, auch wenn sich der Fokus im Laufe des Films erheblich ändern wird - denn die Geschichte bekommt eine unerwartete, recht interessante Wendung. Im Hause des Nazi-Vaters lebt ein junges Mädchen, dass in deren Gefangenschaft ist. Einen direkten, ausschlaggebenden Kontakt zwischen den Besuchern und des Mädchens gibt es zwar nicht, dennoch schneiden sich die zwei Halb-Geschichte am Ende in einem Bleigewitter, bei dem nicht mit Dreck und Blut gegeizt wird. Der obligatorische Regen darf natürlich auch nicht fehlen.
Die Grundgeschichte ist stark an Tobe Hooper's 'The Texax Chainsaw Massacre' angelegt, doch erreicht Gens nie das damalige Terror-Feeling, selbst Michael Bay's gleichnahmige Neuverfilmung fährt hier einiges mehr an atmosphärischer Angst auf. Gens Stärke liegen nicht in der visuellen, auditiven und narrativen Inszenierung, sondern in den simplen, aber sehr effektiven Folterungen. Bis es endlich mal zur Sauerei kommt, vergeht leider die erste Hälfte des Films und man muss eine mehr oder wenige träge Geschichte ertragen, die man sehr viel kürzer hätte gestalten können und müssen. Denn dadurch verliert der Film das Interesse, da sich Gens etwas zu viel Zeit lässt, auch wenn er ab und an mit einer kleinen Überraschung das Tempo wieder leicht anzieht.
Die Folterungen an sich mögen eingefleischte Gore-Fans nun zwar nicht beeindrucken, doch sind sie in ihrer Härte weitaus intensiver als gängige US-Vertreter und erstarren aufgrund der Identifikationsfiguren nie in nihilistischer Kälte. Auf der anderen Seite unterstreicht eine kühle Atmosphäre einen düsteren, dreckigen Film, was Xavier Gens Werk auch sein möchte - doch erkrankt er eben an jenem gut gemeinten Punkt, den man in vielen Filmen vermisst - die aufrechte Beziehung zu seinen Opfern, die einen mitleiden lässt. Auch bekommen die Peiniger ein Gesicht verpasst, zwar kein charakteristisches, aber ein warmes, das jegliche Kälte in den Augen schwinden lässt. Eindimensional, ja, aber auf paradoxer Ebene gleichwohl miss- und gelungen. Der Soundtrack von Jean-Pierre Taieb ist für diese Art von Film vielleicht einen Tick zu episch geraten, da er mit orchestralen, gar leicht choralen Stücken wartet, die dem Schrecken eine leicht lächerliche Statur verleihen; findet man sich damit ab, ist es zu akzeptieren, auch wenn hier ein simpler Score wünschenswerter gewesen wäre - oder gar keiner, wie bei den Vorbildern 'Inside' und 'High Tension', die lediglich mit Tönen arbeiteten.
Trotz vieler Defizite und den schwerwiegenden Fehler, US-Slasher zu europäisieren, weißt der Film keine Langeweile auf. Der Start ist furios, dann verläuft sich der Film mehrmals in Einbahnstraßen, doch findet er schnell wieder heraus und bietet ein handwerklich solides, blutiges Filmchen, das mit einem krassen Showdown aufwartet. Aller bedienter Klischees zum Trotz erreicht Xavier Gens Werk eine Intensität, wie man sie in US-Filmen selten zu Gesicht bekommt. Die französische Sprache verleiht dem Ganzen noch nettes Zeitkolorit und sobald das eine Mädchen immer mehr ins Zentrum gerückt wird, umso interessanter und spannender entwickelt sich das Ganze. Gemessen an 'High Tension' und 'Inside' ist dieser Film reiner Bull-Shit, muss man ganz klar sagen. Denn dieser Film schlägt eine komplett andere Richtung ein,die nicht nötig gewesen wäre - wäre es dann der Film gewesen? Immerhin war dieser Film Gens Ticket nach Hollywood - ein Fehler in meinen Augen, denn damit hat Europa einen wichtigen Regisseur verloren, der durchaus Potential hat, in 'Frontier(s)' dieses nur nicht völlig ausgeschöpft hatte. Alexandre Aja haben wir schon verloren.
Der Film sorgte bei seiner Premiere für viel Furore, die FSK fand ebenfalls kein Gefallen und vergab das SPIO-Siegel gar nur einer zensierten Fassung - dennoch ist der Film kein Meisterwerk. Die Aufmerksamkeit hat er durchaus verdient, eine Chance sollte man ihm geben; nimmt man Klischees und Bilder, die man schon hunderte Male gesehen hat in Kauf, wird man in der zweiten Hälfte mit einem rasanten Terrorfilmchen ohne echten Terror belohnt, der in einen schicken Showdown endet. Man kann diesen Film gar als einen femininen Vertreter der Slasherfilme sehen - denn hier bekommt das weibliche Geschlecht jene Rolle zugesagt, die stets den Männern zugesprochen wurde. Sie sind keine kreischende, blonde Figürchen, die nur mit sehr viel Glück das Massaker überleben; hier nehmen sie die Sache selbst in die Hand und setzen sich zur Wehr - wenn es sein muss auch mit einer Schrotflinte, denn das Finale ist ein Zickenkrieg auf ganz anderem Niveau - hier wird nicht gekratzt und gebissen, hier wird geschossen, bis die Ohren bluten - dass sich eine von ihnen in einem sehr theatralischen Shot in den Dreck kniet und aufschreit, darf da nicht fehlen. Diese Übertriebenheit ist durchaus zu akzeptieren, denn sie lässt den schwachen Anfang stark enden - in den Staaten ist es in der Regel andersrum. Bienvenue à la France!