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Eine der inzwischen zahlreichen Kooperationen von Regisseur Tim Burton und Johnny Depp ist immer das Ansehen wert, die düsteren und oftmals unterhaltsamen Phantasien tragen zumeist die merkwürdigsten Früchte und das ist im modernen Kino stets einen Blick wert.

Eine Filmfassung eines relativ blutrünstigen Musicals von Stephen Sondheim zu konstruieren, ist jedoch ein wesentlich ernsteres Unternehmen und sollte mit gebührendem Abstand genossen werden.
Die tragische Geschichte des Bob Barker, der unschuldig von einem bösartigen Richter ins Gefängnis geschickt wurde, weil dieser dessen Frau und Tochter begehrte, ist sicherlich nicht der lustige, familienfreundliche oder romantische Stoff, aus dem man massentaugliche Ware macht.
Depp versinkt in der Rolle der zerrütteten Helden, der nach seiner Rückkehr und dem Schlüpfen in die Rolle des Barbiers Sweeney Todd zum gnadenlosen Rächer wird, dessen Rasiermesser eine breite Schneise durch seinen Kundenstamm zieht, wobei die Leichen dann Teil eines kannibalistisches Verwertungsprozesses werden, indem Todds Verbündete, Mrs. Lovett, aus den Teilen wohlschmeckende Pasteten für die gierige Kundschaft mit wachsendem Erfolg zaubert.

Ganz nebenbei entspinnt sich noch eine zarte Liebesgeschichte zwischen Barkers inzwischen herangewachsener Tochter und einem jungen Mann, der mit Barker in loser Verbindung steht, doch in erster Linie wird hier tiefschwarzen Rachegefühlen gehuldigt, die mit bitterböser Ironie serviert werden.

„Sweeney Todd“ konnte kein sonderlich beachtlicher Kassenschlager werden, denn schon das Thema allein schreckt einen gewissen Kundenstamm ab, aber den Reiz, ausgerechnet so eine untypische Geschichte zu verfilmen, kann man sicherlich nachvollziehen.

Doch auch ohne diese Basis, ist „Sweeney Todd“ ein Brocken, der schwer zu verdauen ist, denn verschiedene Umstände arbeiten in diesem Fall gegen Burtons sonstige Gothicliebhaberei. Da wäre zunächst einmal die Vorlage, die so grimmig daherkommt und durch Libretto und Musik so festgeschrieben ist, daß eine eigene Burtonsche Handschrift nur bedingt möglich ist.

Natürlich wurde ein gewisser Humor in dem bizarren und abstoßenden Treiben verankert, aber der Zuschauer hat Probleme, sich in dieser Geschichte irgendwo in seiner Position zu verankern. Sicher, die Handlungen des Richters waren und sind Unrecht und er ist ein rechter Fiesling (was Darsteller Alan Rickman ja nie schwer fällt), aber die Rücksichtslosigkeit, mit der die Hauptfigur zur Sache geht, um sich zu rächen, macht sie zunehmend unzugänglich. Noch dazu scheint der Mann in seiner halbverrückten Manie keine moralischen Grenzen zu kennen, sondern wird im Verlauf der Handlung zunehmend zu einem soziopathischen Massenmörder, der zwischen seinen Opfern keinerlei Unterschiede mehr macht.
Wo Justiz und Polizei böse und korrupt sind, bietet auch die schmierige, verkommene Handlangerin (Helena Bonham Carter kultiviert erneut ihre Schlampenrolle aus „Fight Club“) keinen Anker und die zarten Liebesbande der jungen Leute sind im Skript einfach zu nebensächlich, um von wirklichem Interesse zu sein.
Sicher, das ist alles skuril bis abartig, aber der Zuschauer stumpft ob der endlosen Rachetiraden langsam aber sicher ab.

Erst ganz zum Schluß, wenn die Tragödie auf die zentralen Figuren übergreift und wirklich alles in literweise Blut und Schmerz ersäuft wird, fügen sich die Fäden ein wenig zusammen, doch dann ist es eigentlich schon zu spät, wobei den Figuren nicht mal eine Form der Erlösung oder Katharsis gegönnt wird.

Auch die Musik ist zwiespältiger Natur. Burton ließ seine Darsteller selbst singen, anstatt sie mit nachgestellten und später überdeckenden Singstimmen zu versehen, was dazu führt, daß einige Figuren (allen voran Depp) ihren Part mit pointierten, aber wenig melodiösen Sprechgesängen einübten, was zwar interessant ist, aber viel zu selten ins Ohr geht, wie überhaupt die Texte der Lieder wichtiger als die Melodien schienen, ein zentrales Ohrwurmthema wird leider von Sondheim nicht mitgeliefert.

Stilsicher wie immer die finstere, verfallene Optik, eine trüb-graues Szenarie irgendwo zwischen Schmutz und Verfall, wo in Kellerlöchern und Hinterhöfen vor schmutzigen blinden Fenster absonderliche und schreckliche Dinge geschehen, wenn niemand hinsieht – hier ist Burton auf vertrautem Terrain.

Alles in allem sollen diese Kritikpunkte den Film nicht schlecht, nichts spricht gegen eine abgrundtiefe Tragödie, in der für Genrefans auch noch der rote Lebenssaft gleich hektoliterweise aus Kehlenschnitten spritzt, aber irgendwie kann die Kombination Sondheim/Burton nicht befriedigen – alles wirkt, als hätte eben ein Dritter für ein bewährtes Filmduo eine Vorlage fabriziert, die Burton leicht experimentell, aber nicht sonderlich kreativ abgefilmt hätte.
Dennoch ist „Sweeney Todd“ ein Ausnahmefilm, herb und finster und sicher einer der Aha-Momente, die das Kino des Visuellen im Zeitalter der Greenscreens dringend braucht – jedoch nicht das bahnbrechende Etwas, daß sich viele davon versprochen haben, eher ein Bastard aus dem Kuriositätenkabinett, den man auch guten Freunden mal zum Halloweentee vorführen kann – jedoch ohne den zu erwartenden Spaßfaktor.
Für spezielle Gemüter, ganz eindeutig. (8/10)

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