Review

Als die Rasiermesser das Schlitzen lernten

„There's a hole in the world like a great black pit, and it's filled with people who are filled of shit, and the vermin of the world inhabit it, and it goes by the name of 'London.“ (Benjamin Barker)

Der Vorspann beginnt. Ein Gefühl von Vertrautheit senkt sich wie Londons dichter Nebel über das Publikum. Ein angenehmes Gefühl – fremd, aber doch zugleich bekannt. Neu und aufregend, jedoch mit einem starken Anflug von heimischen Assoziationen. Verursacher dieser kribbelnden Emotionen: Regisseur Tim Burton, dessen jüngste Nachtmar „Sweeney Todd – The Demon Barber of Fleet Street“ (2008) ein weiteres, perfekt geschliffenes Puzzlestück im Burton’schen Kosmos ist. Eine Vielzahl seiner Werke verknüpft ein gemeinsames Konzept, ein gedanklich-thematischer Überbau, in welchen sich auch dieser Film wunderbar einfügt. Burton will anscheinend unter Beweis stellen, dass Weiterentwicklung und erkennbare Kontinuität keine konkurrierenden Konzepte sein müssen.

Die Liebe wird dem rechtschaffenen Barbier Benjamin Barker zum Verhängnis, denn Richter Turpin hat es auf dessen Frau abgesehen und schickt ihn kurzerhand mittels eines getürkten Gerichtsprozesses in die Verbannung. Nach 15 Jahren des Exils kehrt Barker nach London zurück - anonym, als Sweeney Todd. Doch seit damals hat sich einiges geändert. Die Ehefrau vermeintlich tot, seine Tochter mittlerweile in den Fängen des verhassten Richters. Todds einziger Wunsch: blutige Rache.

„Edward mit den Scherenhänden“ (1990) markierte den Anfang für das Traumgespann Tim Burton/ Johnny Depp. Mittlerweile ist der Mime mit dem Faible für exzentrische Rollen so etwas wie Stamminventar in Burtons Werken geworden, ob nun in Persona („Ed Wood“) oder als animierter Doppelgänger („Corpse Bride“). Auch für „Sweeney Todd“ hätte die Wahl nicht weiser getroffen werden können. In bester Tradition gibt Depp den von der Gesellschaft – stellvertretend dafür: der nicht ganz so ehrenwerte Richter Turpin - ausgestoßenen Protagonisten und greift (Charakter-) Elemente des eingangs erwähnten „Edward mit den Scherenhänden“ auf. Diese stellt er in einen neuen Kontext und entwickelt den „Urcharakter“ weiter, indem er sich unterschiedlicher Facetten bedient. Das besonders Erfrischende an „Sweeney Todd“ findet sich deshalb auch im Umgang mit seiner Hauptfigur begründet. Ihr gegenüber lässt der Film ein äußerst ambivalentes Verhältnis entstehen. Dies rührt daher, dass Todd über weite Strecken nicht zum tragischen Helden stilisiert wird. Stattdessen bekommt der Zuschauer einen bitter-bösen Antihelden aufgetischt, der sein flammendes Schwert – hier durch todbringende Rasiermesser ersetzt, die förmlich zum Aderlass einladen – nicht nur in Richtung der Übeltäter führt. Sein Wirbelwind aus Rachegelüsten ergießt sich über die gesamte Menschheit, wie einst das Blut aus den Aufzugtüren des Overlook Hotels.

Genauso wie Burton dem Bild jedwede scheinenden Farben entzieht, es auf dunkle, schattige Töne reduziert - nur um so das saftige Leuchten des Blutes zu akzentuieren – verfährt mit den Emotionen der Welt – zumindest bis auf zwei: Liebe und Hass. Den Quintessenzen des Films. Emotionen, welche konträrer nicht sein könnten, halten die Welt des Sweeney Todd in Bewegung. Sie spiegeln sich sowohl in den Figuren von Johanna, Anthony Hope und Todd als auch in dem Gespann, welches er mit Mrs. Lovette bildet, wieder. Ihre Beziehung beruht auf einem makabren Verhältnis von „geben und nehmen“. Den überspitzten Höhepunkt bildet die praktizierte „Ressourcenverwertung“ von Todds Leichenbergen, die kurzerhand von Mrs. Lovette zu bekömmlichen Fleischpasteten weiterverarbeitet werden. Hier winkt „Sweeney Todd“ freilich ein wenig offensichtlich, aber keinesfalls aufdringlich mit dem Zaunpfahl in Richtung rabenschwarz-bissiger Gesellschaftskritik.

Neben skurillen Charakteren zeichnen sich Burtons Filme oftmals besonders durch ihre finstere, schwer definierbare Atmosphäre aus. Höhepunkt diesbezüglich ist sicherlich die kongeniale Gruselmär „Sleepy Hollow“, doch „Sweeney Todd“ steht ihm (beinahe) in nichts nach. Ein Konglomerat aus brillanter technischer Inszenierung –allem voran die wohl akzentuierte Lichtsetzung und Kameraarbeit -, dem viktorianischen Setting und nicht zuletzt Johnny Depp. Vielleicht bedarf seine Leistung aufgrund ihrer Konstanz schon keinerlei Kommentar mehr, doch dies wäre genauso wie der Ausgang der ’08er-Oscar-Auflage nur bedingt nachvollziehbar. Die Person Depp löst sich vor den Zuschaueraugen auf, wird konturlos und schemenhaft. Was übrig bleibt, ist ganz Sweeney, der eine glanzvolle, wunderbar durchnuancierte Ein-Mann-Show abliefert. Ruhige Passagen bündeln sich mit Energie geladenen Ausbrüchen zu einem homogenen Gesamtbild, welches noch durch die geschickt eingewobenen Musicalelemente unterstrichen wird. An diesem Punkt bleibt Kritik jedoch leider nicht aus. Die Musik ist gut, stellenweise sogar sehr gut- ohne Zweifel. Jedoch fehlt den einzelnen Stücken etwas Essentielles: Ohrwurmcharakter. Sie klammern sich nicht mit Widerhaken in den Gehörgängen fest, was nun mal Bedingung für ein hervorragendes Musical ist. Burtons „Sweeney Todd“ sei es verziehen, da er doch über diese Ebene hinaus noch einiges mehr zu bieten vermag.

One, two, Sweeney’s coming for you. Tim Burton mixt mit seinem neuesten Streich einen schmackhaften Cocktail. „Bloody Sweeney“ der Name. Die Ingredienzien: ein bestechender Hauptdarsteller, dichte Atmosphäre à la Burton, schwungvolle Melodien, rabenschwarzer Humor und rubinrotes Kunstblut in strömenden Bächen. Alles gut geschüttelt und eiskalt – wie Rache bekannterweise sein sollte - serviert. Das ist der Stoff aus dem (Alp-)Träume sind…(8,5/10 Punkten)

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