Es wurde viel gelacht im Kino.
Es war kein Lachen, das demjenigen in den Sälen von “Shoot ‘em Up” oder “Crank” geglichen hätte. In durch und durch ernsten Actionthrillern lacht man nicht auf diese Weise. Vielmehr war es ein Lachen, das Überraschung und Genugtuung ausdrückte, ein “Ich glaub grad nicht, was der da abzieht”-Lachen.
Eine solche Reaktion verrät viel über sein Publikum und den Film, den es reflektiert. Wenn man überdeutlich signalisiert bekommt, dass man einer politisch absolut unkorrekten Angelegenheit beiwohnt, aber nicht umhin kann, diese Unkorrektheit insgeheim zu bewundern, so sieht man sich jener Selbstüberrumpelung ausgeliefert, die sich durch das ungläubige Lachen ausdrückt. Willkommen in der mechanischen Welt des Rachefilms.
Aus diesem inneren Zwiespalt entwuchsen im Kritikerlager bislang zwei Strömungen, die jeweils dem Gefühl nachgaben, das bei ihnen am stärksten nachhallte. Die einen feiern den intensivsten und emotional mitreißendesten Actionfilm der letzten Jahre - zu Recht. Die anderen beklagen sich über den stupidesten, protektionistischsten, antieuropäischsten Actionfilm der letzten Jahre - zu Recht.
Was “96 Hours” in der Anklage der letzteren Strömung jedoch mildernde Umstände bereitet, ist die Tatsache, dass er nie einen Hehl daraus macht, sich solch niederer Beweggründe zu bedienen, um an die Urinstinkte des Publikums zu appellieren. Die Charaktereinführung, insbesondere was Famke Janssens Rolle betrifft, grenzt in ihrer Schwarzmalerei fast schon an Parodie und damit bekommt man in den Wortgefechten der Geschiedenen schon mal eine Generalprobe für die nun folgende Aufräumaktion in Frankreich geliefert. Der Held der Geschichte nämlich, ein prinzipientreuer, aber von der Familienkonstellation unterdrückter Mann, kriegt einen Rüffel nach dem anderen an den Kopf geworfen und jedes Wort im Munde umgedreht (“Dass du unsichtbar sein kannst, hast du in den letzten Jahren ja genug bewiesen”), und wenn es sich dann ergibt, dass der von seiner Ex-Frau als Versager abgestempelte Mann endlich mal kontert (Janssen: “Wäre es nicht einfacher gewesen, du hättest sofort unterschrieben?” Neeson: “Wäre es nicht einfacher gewesen, du hättest vorher mit mir mal darüber geredet?”), erlebt man ein herzerwärmendes Gefühl der Genugtuung; jenes, das sich mit jeder fortan verschossenen Kugel und jedem in den Brustkorb gerammten Messer minutiös wiederholen wird. Ein Mechanismus, so simpel wie effektiv.
Wodurch sich “96 Hours” nun von ähnlich mechanisch funktionierenden Filmen wie “Death Sentence” abhebt, ist der fehlende Subtext: Man hat nicht das dumpfe Gefühl, unterschwellig manipuliert zu werden, weil es schlichtweg nichts gibt, was über die Gewalt vermittelt werden möchte. Die Gleichung “Frankreich = schlecht” aufzustellen, ist sicher nicht Intention, sondern schlicht und einfach der “empty space”, in den sich die Aggression entladen soll. Dass der europäische Grund dabei so schlecht weg kommt, ist, wenn man so will, bloß Kollateralschaden, den man im Sinne der künstlerischen Freiheit aber als vollkommen legitim bezeichnen kann. Der größte Trumpf des Filmes ist es, im Grunde ein besseres B-Movie zu sein, er zeigt, was die Ostblockproduktionen Steven Seagals und Wesley Snipes’ sein könnten, stünde jemand mit Kompetenz dahinter. Gerade diese Einfachheit ist es, die jeden Verdacht davon ablenkt, man könne es ernst meinen mit dem “bösen Europa”. Dazu ist der ganze Ablauf zu schematisch, insbesondere gen Ende, als sich der verzweifelte Vater bis in die Gemächer eines hedonistischen, fetten Bonzen hochmetzelt, der sich in seinen Seidenpyjamas karikaturistischer kaum auf dem Bett räkeln könnte.
Man ist also ganz alleine mit seinen verletzten Vatergefühlen (ganz gleich, ob man selbst Vater ist oder nicht) und erlebt eine Simulation der Aggression - Pierre Morels zweite Regiearbeit nach dem ebenfalls schon auf die zwielichtigen Viertel in Frankreichs Straßen fokussierten “Ghettogangz” dient als Sandsack mit möglicherweise therapeutischer Wirkung, Frust abbauen zu können, den man im wahren Leben aufgrund von sozialen Normen nicht abbauen kann.
In dieser Funktion ist “96 Hours” eine höchst effiziente Bombe. Die Gleichmäßigkeit, mit der sich da Unrechtes durch Gerechtigkeit ausbügelt, ist ebenso nah an der Schablone eines beliebigen Standard-Actionfilms wie es weit von der Realität entfernt ist, und doch oder gerade deswegen eine Abfolge von orgiastischen Höhepunkten wert, für die man sich nicht schämen muss - weil die Tatsache, dass all dies regelrechter Nonsens ist, über die volle Dauer omnipräsent bleibt.
Ohne Liam Neeson wäre das alles nicht denkbar. Malte man sich einen typischen aktuellen Actionhelden in der Titelrolle aus - einen Vin Diesel, einen Jason Statham - es hätte längst nicht die gleiche Wirkung. Dass es ausgerechnet Neeson, ein anerkannter Charakterdarsteller ist, der die Selbstjustiz in vollen Zügen auskostet, macht die Magazinsalven in Gegnergesichtern, die Kugeln in den Schulterblättern völlig Unschuldiger umso bedrückender, wofür nicht einmal Blutfontänen in Heroic Bloodshed-Manier erforderlich sind. Es ist nicht so, dass der Film in seiner Stupidität Neesons Ansehen schädigen würde (in etwa so, wie “BloodRayne” oder “A Sound of Thunder” das Ansehen Ben Kingsleys geschädigt haben), sondern umgekehrt bereichert er den Film. Einfach aus dem Grund, weil der Hauptdarsteller derjenige ist, der der Produktion seinen Stempel aufdrückt, sie mit seiner aufrichtigen Art aufwertet. Ohne ihn oder einen Mann seines Kalibers wäre der ganze Rachefeldzug allenfalls die Hälfte wert.
“Ein Film, der bloß unterhalten will” - diese Floskel lässt sich angesichts von “96 Hours” umformulieren in “Ein Film, der bloß der emotionalen Entladung dienlich sein will”. Er verkörpert damit eines der ursprünglichsten Ziele des Kinos jenseits der Geschichtenerzählung und ist somit “Unterhaltungskino” in seiner pursten Form. Dass auf dem Weg dorthin Frankreichs Image und damit stellvertretend dasjenige Europas über Sandstein geschliffen wird, ist Nebenprodukt der bewussten und unverhüllten Schwarzweißmalerei. Frankreich und mit ihm ganz Europa wird es verkraften.