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Polanskis "Ekel" ist kein wirklich unterhaltsamer Film, mehr ein auf Film gebannter Alptraum, der mehr erfahren als genossen werden kann. Er bebildert lediglich die Leidensgeschichte einer psychotischen jungen Frau, deren Leiden nicht erkannt wird und die deswegen sich in einem Strudel angsterfüllter Visionen verliert, was mörderische Folgen hat.

Dabei wird erst gar nicht versucht, Spannung oder Thrillerstimmung aufkommen zu lassen, sondern es wird schlicht und einfach der Verfallsprozeß geschildert. Die Art der Präsentation dürfte jedoch in den experimentellen 60ern einer Sensation gleichgekommen sein.

Ausgangspunkt ist die schwierige Situation, in der sich Protagonistin Carol befindet: sie ist sehr scheu, sehr schüchtern und völlig auf ihre Schwester fixiert, bei der sie wohnt und die auch nicht gerade der glücklichsten Oberschicht angehört. Diese hat nun einen neuen (noch verheirateten) Freund, dessen Eindringen in ihrer beider Privatsphäre Carol als störend und angsteinflößend empfindet. Ihre Arbeit in einem Schönheitssalon flößt ihr Abscheu ein (jede Menge widerlicher alter Damen) und ein junger Verehrer merkt gar nicht, daß ihr jede Fähigkeit zur menschlichen Kontaktaufnahme abhanden gekommen ist.
Die Situation verschärft sich, als Schwester und Galan zu einem Italienurlaub abreisen und die hilflose Carol in der großen, halbleeren Wohnung allein zurückbleibt. Ohne jeglichen menschlichen Ausgleich verfällt sie in langsam aber sicher in wahnhafte Visionen und Vergewaltigungsfantasien, die den Schluß zulassen, daß sie offenbar von ihrem Vater mißbraucht worden ist. Als sie auch von ihrer Arbeitsstelle suspendiert wird, ist die Katastrophe komplett, die bald darauf mörderische Züge annimmt.

Polanski bereitet die Situation gut vor. Zunächst passiert vergleichsweise wenig, wird der Zuschauer eingelullt, allenfalls wundert man sich über die (zugegeben) seltsam-blöde Carol, die eher zurückgeblieben wirkt. Gedreht in Schwarz-weiß und mit vielen verstörenden Kamerawinkeln, die den Menschen in der riesigen Wohnung noch verlorener erscheinen lassen, deutet er jedoch das Grauen, daß noch folgen wird, bereits an. Trotzdem scheint auch nach der Abreise alles noch in schlimmen, aber geordneten Bahnen zu verlaufen, obwohl sich Carol zu einfachsten Handlungen (die Miete bezahlen, das nicht verwendete küchenfertige und gehäutete Kaninchen im Kühlschrank entsorgen) nicht in der Lage sieht. Gerade jedoch, als man kurz vor dem Einschlafen ist, kommt die Regie mit dem Holzhammer, als die erste bedrohliche Vision (eine drohende Männergestalt im Spiegel) den Zuschauer aufspringen läßt. Der Rest ist der totale Zerfall, der mit zwei Morden gekrönt wird, die nicht hätten passieren müssen, wenn jemand sich bemüht hätte, hinter ihre psychotische Maske zu schauen.

Bis zum Schluß wartet der Zuschauer von nun an auf die nächsten bösen Überraschungen, die nach und nach folgen. Die Mauern der Wohnung bersten, Carol träumt von bösen Männern, die sich an ihr vergehen und Hände, die sich aus den Wänden formen, greifen nach ihr. Weitwinkeleinsatz verschärft das halluzinierende Bild, wie es aus Carols Position erscheinen muß. Polanski vermeidet dabei jeglichen Musikeinsatz, sondern plädiert für den totalen Realismus, ein endloser Schreckenstrip, der erst von dem Menschen aufgelöst wird, der den Ekel zu Beginn provoziert hat.

"Ekel" ist kein echter Horror, doch der Art der Darstellung halluzinatorischen Schreckens ist recht horrormäßig und wirkt auch noch lange nach. Dabei ist der Film stets Gesamtkunstwerk und läßt sich weder auf billige Effekthascherei, noch auf die Erwartungen des Publikums ein, sondern zieht seinen Stil durch, wobei Catherine Deneuve als weggetretenes Psychogirl sicherlich eine Traumleistung bringt, auch wenn sie kaum Mitgefühl oder Sympathien fördert.
Wer den Film heutzutage also schwer zugänglich findet, mag recht haben, doch an Wirkung hat er in 35 Jahren nichts verloren. (8,5/10)

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