Review

Scharfes Mundwerk, zerbrechliches Gemüt...

Paulie Bleeker: „Ich sollte gerade laufen.“
Juno MacGuff: „Also, rate mal!“
Paulie Bleeker: „Was, ich habe keine Ahnung.
Juno MacGuff: „Ich bin schwanger.“
Paulie Bleeker: „Was sollen wir tun?
Juno Mac Guff: „Ich denke, ich werde es im Keim ersticken, bevor es schlimmer wird [...] da aus
Schwangerschaften oftmals Kinder entstehen können.“

So in etwa lautet einer der ersten spritzig-trockenen Dialoge im Film Juno zwischen der Protagonistin Juno MacGuff (brillant gespielt von Ellen Page) und dem werdenden Vater Paulie Bleeker (dargestellt von Michael Cera), als sie ihn davon unterrichtet, dass sie schwanger von ihm ist. Als sich schließlich auch der vierte Schwangerschaftstest ebenfalls als als positiv herausstellt, muss die 16-jährige High-School Schülerin schließlich glauben, dass das unerwartete Ereignis eingetreten ist. Sofort unterrichtet sie ihre Freundin Leah (Olivia Thirlby), die ebenfall erst mit Ungläubigkeit reagiert und ihr dann, als sie realisiert hat, dass Juno es ernst meint, zu einer Abtreibung rät. Mit diesem Vorhaben im Kopf begibt sie sich eben zu Paulie Bleeker, um ihm davon zu erzählen. Mit einer Pfeife im Mund in einem alten Lehnsessel sitzend, wartet sie auf ihn im Vorgarten vor seinem Haus, bis er, gekleidet im feinsten Cheerleader-Outfit herauskommt. Er ist gerade auf dem Weg zum Cheerleader- Training („Ich sollte gerade laufen“), ist zwar ob ihres Auftretens zuerst verdutzt, zeigt aber danach keine weitere überraschte Reaktion, so als ob Juno ständig in dieser Pose vor seinem Haus auf ihn wartet. Die ganze Situation wirkt, wie viele andere etwas surreal. Verstärkt durch die erfrischend – trockenen Dialoge voller Wortwitz vor allem dank Juno entstehen aber allerhand ungewollt komische Situationen, die diesen Film absolut sehenswert machen z.B als Paulies Chearleeder-Gruppe (in Zeitlupe) vor seinem Haus vorbeiläuft und Juno sich denkt: „Immer wenn ich sie so rennen sehe mit ihren aufreizend wackelnden Dingen in ihren kurzen Hosen, stelle ich sie mir immer nackt vor, selbst wenn ich es gar nicht möchte...“

Zum einen ist der Film Juno eine wunderbare, herzerfrischende Komödie, zum anderen auch ein modernes Drama, welches auf seine eigene sympathische Art das Problem – der Umgang vieler jungen Mädchen mit einer ungewollten
Schwangerschaft – darstellt. Produziert wurde der Film unter anderem von keinem geringeren als von dem großen amerikanischen Schauspieler John Malkovich. Regie führte, wie auch bereits in der Satire „Thank you for smoking“, der junge Regiesseur Jason Reitman. Nach dem Drehbuch von Diablo Cody ist den Machern ein absolut authentischer Film gelungen, welcher eindrucksvoll den Spagat zwischen Humo und Ernsthaftigkeit meistert. Juno besticht durch ein stimmiges Zusammenspiel zwischen farbenfrohen Bildern, aussergewöhnlichen Schnitten und raffiniert eingestreute Effekte (Standbilder, Zeitlupen und Fotomontagen), einem bestens zusammen harmonisierenden Schauspielerensemble, dessen durchweg supberbe Leistungen unterstrichen werden von einem einfühlsamen Soundtrack, der in weiten Strecken des Films nach amerikanischem Folk nach Art von Bob Dylan klingt.

Die Handlung des Films spielt im ländlichen Minnesota. Die 16-jährige Schülerin stammt aus einem familiären Verhältniss, welches man in der heutigen Zeit vermutlich als vollkommen normal bezeichnen würde. Junos Vater Mac MacGuff (absolut authentisch dargestellt von dem amerikanischen Schauspieler J.K. Simmons: „The Mexican“, „Spider-Man 3“, „Thank you for smoking“, „Spider-Man 4 "(2010)) war lange Zeit seines Lebens bei der US Armee, jetzt allerdings fühlt er sich – recht bodenständig – als der geborene Heizungs- und Klimaanlaganinstallateur. Junos Mutter ließ sich von ihm scheiden, als die Tochter fünf Jahre alt war, um fortan in dem Nirwana Arizonas mit drei Ersatzkinder (erneut ein humorvoll eingeschobener Bildereffekt) ihr Glück zu finden. Junos Stiefmutter ist nun an Mac MacDuffs Seite die erzkonservative Ben MacDuff (gespielt von Allison Janney: „Hairspray“, „10 Dinge, die ich an dir hasse“, „The Hours“): „Ich hätte gehofft, sie (Juno) wäre mit Drogen erwischt worden, oder von der Schule geschmissen worden; alles andere nur nicht das...“ Als Juno den beiden ihre unliebsame Situation beichtet, geben sie sich, nachdem der erste Schock verklungen ist, zumindest Juno gegenüber verständnisvoll. Junos Stiefmutter bewundert sogar ihre Stärke, Vernunft und Umsicht, als sich der Teenager doch dazu durchgerungen hat, das Baby nicht abzutreiben, sondern auf eigene Faust zusammen mit der besten Freundin Leah in Anzeigen in einer Zeitschrift nach potenziellen Adoptiveltern zu suchen und sie den Eltern gesteht: „Ich bin noch nicht bereit, Mutter zu sein. So entsteht das Idyll einer typisch amerikanischen Kleinstadtfamilie, auf welches man im prüden Amerika vermutlich sehr häufig treffen wird, und das durch Junos unwillkommene Nachricht in ihren Grundfesten erschüttert wird.

Da sich Mac MacGuff die Schuld an dieser Misere gibt, erklärt er sich bereit, zusammen mit seiner Tochter, die bereits in der zwölften Woche schwanger ist, das auserwählte Adoptivpaar zu besuchen, um die Formalitäten der geplanten Adoption zu regeln. Auch in dieser Sequent entstehen trotz der Ernsthaftigkeit der Situation, vor allem dank Junos scharfer, unverblümter Zuge und jugendlich-frischem Wortwitz allerlei komische Szenen und Dialoge, die durch die großartige schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller noch unterstrichen werden. Für die wohlhabenden Vanessa (brillant gespielt von Jennifer Garner: „Alias“, „Operation Kingom“, „Daredevil“) und Mark Loring (Jason Bateman steht seiner Filmpartnerin in nichts nach: „Smokin´Aces“; „Operation Kingdom“) gibt es nicht größeres als ein Kind zu adoptieren. Als Mark Loring Juno fragt, wie die Sache letztendlich vollzogen werden solle, sie sinngemäß trocken entgegnet:„Ich denke, ich werde es (das Baby) haben, drücke es kurz und übergebe es.“ Das Angebot einer „offenen Adoption“ des Paares, bei der Juno jährlich Fotos und Bereichte über das Befinden des Kindes erhalten würde, lehnt sie rigoros ab. Sie möchte die Angelegheit lieber auf die „gute, alte Art“ regeln, als „die Sache noch schmutzig und schnell erledigt“ war. Auch das Angebot einer „finanziellen“ Entschädigung für die Mühen und Umstände schlägt sie sinngemäß mit den Worten aus: „Ich möchte nur, dass das Baby bei Menschen ist, die es lieben und gute Eltern sein werden. Sie verstehen, ich bin in der High-School – ich bin schlecht ausgerüstet.“

Gerade diese Momente, in denen die sonst so coole, alles im Griff habende, wortgewandte Juno emotional wird und ihr natürliches, für ein Mädchen ihres Alters normales Wesen zeigt, diese Momente, in denen Lustiges und Ernstes so nahe beieinander liegen, machen den Film so wertvoll und sehenswert. Eine weitere Szene dieser Kategorie entsteht, als Juno mit entblöstem Bauch zusammen mit ihrer Stiefmutter und besten Freundin Leah von der Ärztin mit dem Ultraschall untersucht wird und eine rege Diskussion entsteht, ob es gut war, dass Juno, stellvertretend für alle Teenager das Baby zu Adoptiveltern gibt oder nicht.

Nachdem die vertraglichen Angelegheiten geregelt sind, entwickelt sich der Film Juno in ein amüsantes Beziehungsdrama. Die gleichnamige Hauptdarstellerstellerin besucht oft das Ehepaar Loring um auch die immer deutlich werdenden Ultraschallbilder zu zeigen. Dadurch wird allderdings auch die anfänglich distanzierte Beziehung zwischen Marc Loring und Juno nach einigen Wochen immer freundschaftlicher. Dies kommt nicht zuletzt daher, da sich beide für die selben Themen bezüglich Musik, Film und Popkultur interessieren und Juno in ihm - einem Komponisten für Werbemusik, der eigentlich lieber mit einer Rockband umher gezogen wäre, als sich aus Liebe zu Vanessa und deren Kinderwunsch häuslich niederzulassen - seine eigenen unerfüllten Hoffnungen und Erwartungen vom Leben ans Licht fürht. Das Ende für Vanessa und Marc kommt, wie es kommen muss.... Die Zeit vergeht und auch der ursprüngliche Vater des Kindes, der schüchterne und zuückhaltende Paulie Beeker, zeigt sein wahres Gesicht, indem er Juno seine immer währende Zuneigung zu ihr gesteht. Und auch sie beginnt ihre Situation und ihre Gefühle - unter unfreiwilliger Mithilfe ihres Vaters - zu überdenken. Das Ende des Films möchte ich natürlich noch nicht verraten, aber gerade in den letzten Minuten zeigt der Film Juno sowohl erneut seine ernste und dramatische Seite, zum Beispiel als Juno im Krankenhaus unter kaum vorstellbaren Schmerzen dem Baby das Leben schenkt und sie selbst so zerbrechlich wirkt: „Und dann, mitten aus dem Nichts war es da, war er da.“, aber auch seine hoffnungsvolle und zuversichtliche Seite.

FAZIT:

Der Film Juno lebt vor allem von der jugendlichen Frische Junos und ihrem scharfen, trockenem Wortwitz. Das Schauspielerensemble um Ellen Page ist perfekt ausgewählt und harmoniert hervorragend zusammen. Herausragend ist aber dennoch Ellen Page, weshalb sie zurecht für den Academy Award nomminiert wurde. Der Film zeigt keine Längen und obwohl er sehr lustig ist und zahlreiche humorvolle Situationen und Dialoge enthält, wodurch auch keine Längen entstehen, ist er jedoch auch schonungslos gesellschaftskritisch. Juno spricht, verpackt in eindrucksvolle Bilder und Effekte, gepaart mit einem einfühlsamen Soundtrack eine zeitlos aktuelle Thematik an, die in jeder Gesellschaft dieser Welt hätte statt finden können. Dieses zeitlos aktuelle Thema – die ungewollte Schwangerschaft von Minderjährigen und deren Umgang damit, aus Sicht der Betroffenen selbst und deren Eltern und Freunde – die Tatsache, dass Freud und Leid, Humor und Ernsthaftigkeit oft sehr nahe beeinander liegen, wurde in Juno von den Machern perfekt, eindringlich und einfühlsam, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben inszeniert. Juno richtet sich nicht an eine betsimmte Zielgruppe. Der Film ist sowohl für Betroffene, sprich Jugendliche, aber auch für ältere Semester (Eltern) und alle, die ein sehr unterhaltsamen Film mit einer ernsten Thematik sehen wollen.
(9,5 / 10 Punkten)

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