In den 70er-Jahren, nach einem verloren Krieg (was selbstverständlich die Bürokraten zu verantworten hatten) und nach dem Watergate-Skandal, in einer Welt der Terroranschläge und der undurchschaubaren Zusammenhänge, die zunehmend unerklärbarer und kälter – um nicht zu sagen technokratischer - wurde, war dieses Sujet ein sehr beliebtes im US-amerikanischen (und teilweise auch im italienischen) Film: Der sogenannte tiefe Staat , der einen Staat im Staat beschreibt. Die demokratisch gewählte Regierung besteht aus Strohmännern, und andere, sinistere Männer im Hintergrund, ziehen die Fäden und bestimmen die Schicksale der Welt. Seit 2001 feiert dieses Thema bei den sogenannten „Verschwörungstheoretikern“ wieder fröhliche Urständ, und spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie kommt an diesem Begriff zumindest im rechtslastigen Teil der Medien niemand mehr vorbei.
Eine Organisation, die im Dunklen operiert. Die für oder gegen den Staat arbeitet. Die Aufträge ausführt, welche staatliche Organisationen nicht ausführen können oder wollen. Und die die wahre Macht geschickt verbirgt und jeden tötet, der ihr zu nahe kommt. Die aber auch, zwangsläufig, willige und gewissenlose Männer und Frauen rekrutiert. Und plötzlich ist man Zeuge einer Verschwörung und muss Dinge tun, die man eigentlich sein Leben lang abgelehnt hat.
Tucker geht es so. Er hat die Wahl zwischen Pest oder Cholera – Zwischen lebenslänglichem Gefängnis oder einem neuen Job als Auftragskiller. Roy Tucker hatte es in seinem Leben nicht einfach. Kindheit und Jugend im Slum, Scharfschütze in Vietnam, und wegen einer Mordanklage hockte er dann irgendwann im Knast. Lebenslänglich. Da bekommt er von einem Mann das Angebot, dass er sofort raus könne, wenn er bereit sei für ihn und seine Organisation zu arbeiten. Dass er verloren hat weiß er fast von Anfang an, und doch lässt er sich auf das Spiel ein. Die Belohnung folgt auf den Fuß, er kann mit seiner Frau Ellie, die er über alles liebt, eine wunderbare und friedliche Zeit verleben. Tucker und Ellie verbringen die zweiten Flitterwochen in einem wunderschönen Haus in Puntas Arenas. Doch es kommt der Zeitpunkt, wo er erfahren muss, dass die Organisation nicht gewillt ist, ihm einen Urlaub zu finanzieren, wenn er nicht für sie arbeitet. Die Schulden werden eingetrieben und er wird gezwungen ein Gewehr in die Hand zu nehmen und jemanden zu töten, den er nicht kennt. Er wird zur ausführenden Hand einer Organisation, die niemand kennt und die offensichtlich unglaublich mächtig ist. Tucker, also zumindest der Rest Mensch in ihm, wehrt sich. Mächtig böser Fehler, denn die Organisation hat ihre Leute tatsächlich überall. Und Tucker muss erfahren, dass er nicht erst seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis unter Beobachtung steht.
Eine Organisation, die uns alle beobachtet, und aus unserem Verhalten ihre Schlüsse zieht, ob wir als Instrumente, als verlängerte Hände für schmutzige Geschäfte, funktionieren könnten. Die mit schier unbegrenztem Menschenmaterial gegen Schwächlinge in ihren eigenen Reihen genauso rigide vorgeht wie gegen die Feinde der selbstgesteckten Ziele, wie immer die auch aussehen mögen. Der feuchte Traum eines jeden Verschwörungstheoretikers. Dementsprechend beginnt DAS DOMINO KOMPLOTT mit schnell geschnittenen Dokumentaraufnahmen von Attentaten und Unruhen weltweit, plakativ mit dem Wort Attentat in verschiedenen Sprachen geschmückt, und ein markiger Sprecher erklärt uns, dass es nicht unsere eigene und freie Entscheidung war, jetzt diesen Film anzuschauen.
Spannend, und ein starker und flüssiger Einstieg in ein Verschwörungsdrama, das schnell seinen Schwung verliert und sich leider in Nebenhandlungen erschöpft, die das große Ganze nicht so recht voranbringen, und vor allem das zweite Drittel ein klein wenig zäh gestalten. Die Information, dass Tucker in Montana gesucht, die nur im Hintergrund ganz leise zu hören ist (ist die schöne Frau am Tresen vielleicht nur dazu da, ihn und uns von den Nachrichten abzulenken?). Die kurze Handlung rund um den Anwalt. Der vorgesehene Trip nach Rio de Janeiro. Alles Dinge, die ihren Sinn in der Handlung sehr wohl haben, die aber nicht so zwingend zum Ziel führen wie es wahrscheinlich ursprünglich gedacht war, sondern die eher wie Verzierungen am Grundgerüst der Story wirken und im Ergebnis einfach nur hübsch ausschauen. Stanley Kramer lässt sich viel Zeit für den Aufbau seiner Geschichte, fast ein wenig zu viel Zeit, nur um dann im Abschluss keinen Knalleffekt zu präsentieren, sondern mit der gleichen stoischen Ruhe den Film zu beenden, mit der er ihn aufgebaut hat. Ausgenommen die ersten 3 Minuten. Ausgerechnet …
Alles was zum Beispiel rund um das Hotel, Tuckers erste Anlaufstation nach seiner "Entlassung“, passiert, ist mysteriös und spannend. Und endet genauso im Nichts wie der ganze Film im Nichts endet. Die Szenerie hat keinen greifbaren Schluss, sondern verschwindet einfach irgendwann im Nebel, ohne merkliche Konturen zu hinterlassen. Fast wie eine geheime Organisation. Ein Filmstil, der in dieser Zeit nicht ungewöhnlich war, der aber unserem heutigen und gewohnten Begriff von Spannungskino deutlich zuwider läuft.
DAS DOMINO KOMPLOTT hat gute und starke Momente, und auch wenn man sich über die Blauäugigkeit von Tucker öfters einmal wundert, so passen Musik, Cast und diese ominöse Stimmung ganz hervorragend zusammen. Nur so richtig überwältigend ist das halt alles leider nicht. Der Film ist ein Schauspielerfilm, der Stimmung und Spannung in erster Linie über die Dialoge aufbaut, dies aber nicht immer so ganz pointiert hinbekommt. Es schleicht sich einfach zu viel Leerlauf an Stellen ein, wo man gerne ein wenig mehr Zupackendes hätte. DAS DOMINO KOMPLOTT ist nicht unbequem und stellt auch keine unangenehmen Fragen, sondern er präsentiert einfach nur einen klandestinen Zustand, ohne mögliche Hintergründe zu beleuchten. Und da haben Filme wie der erwähnte ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG oder, einige Jahre später, ARLINGTON ROAD einfach die Nase vorn, weil sie ihre spannende Handlung besser verpacken. Und, obwohl sie ebensowenig Hintergrund liefern, das Gefühl der allgegenwärtigen Überwachung oder Bedrohung besser darstellen können, und nicht das Gefühl liefern, einem, ein klein wenig dahineiernden, B-Actioner mit großen Stars zuzuschauen.