Es gibt ganz unterschiedliche Zugangspunkte für den Animefilm SWORD OF THE STRANGER. Die einen schätzen ihn wegen der gelungenen Zeichnungen, die anderen wegen der Action und wieder andere fühlen sich emotional berührt von der so oberflächlich wirkenden, aber doch durch viele kleine Gesten definierten Freundschaft. Letzteres ist dann auch, was die Samuraigeschichte aus dem Sengoku für mich abrundet, welche sich nur langsam entfaltet, nachdem der auf sich gestellte Kotarou mit seinem treuen Hund Tobimaru ausgesetzt wird.
Verfolgt von einer chinesischen Miliz trifft der Junge in seinem gewählten Nachtlager auf einen schwerttragenden Vaganten. Sein freches Mundwerk und eine gesunde Skepsis bestimmen die Begegnung, doch als sich Kotarou zurückzieht, um sich und seinem vierbeinigen Begleiter das Essen zuzubereiten, übernimmt der Hund von einem Instinkt getrieben die Initiative. Er übergibt dem namenlosen Ronin seinen Anteil am Abendbrot. Schließlich heuert der Junge den bewaffneten Fremden an, ihn zum Schutze zu seinem Ziel zu begleiten.
In seinen Mechanismen gleicht SWORD OF THE STRANGER hier einem Buddy-Movie, der zwei schrullig wirkende und eigentlich einander abzulehnen scheinende Charaktere mit der Zeit zusammen führt. In einer beiläufigen Szene beobachtet Kotarou etwa den Namenlosen, als er aus einem Albtraum erwacht und scheint plötzlich Verständnis für den Krieger mit der ungewissen Herkunft zu empfinden. Sich in Tobimaru wühlend erklärt der Junge, wie er solche Situationen bewältigt.
Andererseits beschwert sich der vorlaute Bengel dann auch, daß der Fremde ihn im Reiten unterrichtet habe, während er mit dem Kämpfen doch besser bedient sei, da er sich auf ein Schwert immer verlassen könne. Dieser Dialog wird später fortgeführt, als eben das Reiten doch zu einer entscheidenden Ressource wird. SWORD OF THE STRANGER bedient sich dieses Prinzips von Ursache und Wirkung zum Beispiel auch in Bezug auf das Objekt, mit welchem Kotarou seinen Beschützer entlohnt. Auch das Kochfeuer zu Beginn hat als weiteres eine Entdeckung durch die Feinde zur Folge.
Warum Kotarou überhaupt entführt werden soll und welche Geschichte von Verrat und Intrige sich darüber bis hin zu einem epischen Endkampf in einer gigantischen Festung entfaltet, erschliesst sich erst im Verlaufe des Films. Diese stete Ungewissheit versieht SWORD OF THE STRANGER mit einer mystischen Spannung, die vom gelungenen orchestralen Soundtrack noch gestützt wird. Dabei stehen die teils folklorisch beeinflussten Stücke weniger im Vordergrund, als daß sie mit den Bildern und Soundeffekten zu einer darbieterischen Einheit verschmelzen.
Irgendwo dazwischen kippte dann meine anfängliche Skepsis an SWORD OF THE STRANGER auch zur Begeisterung. Ähnlich wie Nando Rohner es in seinem kurzen Begleittext des Mediabooks von i-ON New Media beschreibt, war meine ursprüngliche Euphorie für die Sparte Anime nämlich von anfänglichem Genuß von japanischen Trickserien in kindlicher Unkenntnis zu einem jugendlichen Overkill vieler bestehender Klassiker und dann einer leichten Ernüchterung geworden, als ich zur Stangenware durchdrang und zeitgleich quitschende Kinderstimmen unter dem Banner des RTL2-Programms und zunehmend auch Fachzeitschriften wie der ANIMANIA unter dem Begriff Anime etwas kommerziell und jugendfrei zelebrierten, was für uns eine unangepasste und so gar nicht kindliche Untergrundkultur gewesen war.
Meine Versuche am Ball zu bleiben waren ebenfalls oftmals getrübt von zunehmend aus dem Computer stammenden Animationen. Nicht nur die Erzählweisen schienen sich mit den Jahren zu ändern, sondern auch die Optik, der Artstyle, unter den verführerischen neuen Möglichkeiten. Zu selten, die APPLESEED Neuverfilmung von 2004 war so eine Ausnahme, konnte mich so ein Werk vor allem über die inhalliche Ebene so überzeugen, daß der Look zumindest kein so großes Kriterium mehr darstellte.
Nun macht SWORD OF THE STRANGER keinen Hehl aus seiner digitalen Bearbeitung, sieht aber eben doch eher aus wie ein klassisch gezeichneter Anime, der durch den Computer nur einige Vorteile erfährt, also so ähnlich wie es bei den ersten, teuren Einsätzen dieser Technik, etwa GHOST IN THE SHELL, auch noch gewesen war. Jetzt ist die Sengoku-Zeit per se auch kein Ort für technische Sci-Fi Spielereien, doch werden spürbar Kamerafahrten eingesetzt, die sich nur durch eine digitale Berechnung realisieren lassen. Während etwa die Bewegung von Flüssigkeit in einem Gefäß wenig Auswirkung auf den Gesamteindruck hat, sind es doch die nur scheinbar für die virtuelle Kamera manchmal zu schnellen Kampfszenen, die sich bis hin zu der Spitze eines enormen Turmes empor schrauben und durch die Interaktion mit der luftigen Umgebung gelegentlich an atemberaubende Wuxia-Fights erinnern, welche durch die digitale Produktion deutlich profitieren.
Ohne diese erruptiven Actionszenen wäre die Freude an SWORD OF THE STRANGER ebenso getrübt, wie der Film ohne die Wertigkeit einer Freundschaft in Zeiten des Verrats und finsterer Machenschaften nicht diese emotionale Wirkung entfalten könnte. Es ist das Zusammenspiel mehrerer wohldosierter Komponenten, die den Film zu einer wirklich sehenswerten, modernen Spielart des Samurai-Sujets macht, welche in der deutschen Synchro durchaus funktioniert, im Originalton mit dem gelegentlichen Wechsel zwischen Japanisch und Mandarin atmosphärisch aber noch mal punkten kann.
Dabei kommt es trotz einem harten Realismus des Schwertkampfes weder zu einer Orgie aus Blut und Gedärmen, noch werden andere Klischees wie übertriebener Kindlichkeit, Sexualisierung, Monster oder eine unüberschaubare Figurenflut erfüllt. SWORD OF THE STRANGER ist eine durchaus ernste und erwachsene Umsetzung einer relativ einfachen Geschichte, deren Ausdruckskraft in der balancierten Komposition seiner gestalterischen Elemente liegt, so daß der Film nicht nur ein Exot für Otakus bleibt, sondern dem durchschnittlichen Zuschauer zugänglich wird. Auch wer mit dem Japankino bisher gar keine Berührungspunkte hatte, darf hier gern mal einen Blick wagen.