Der von Wilhelmine von Hillern 1873 geschriebene Roman "Die Geier-Wally" entstand aus der Begeisterung über eine Frau, die eine gefährliche Männerarbeit übernommen hatte, und ist aus einem Zeitkontext heraus zu verstehen, als einem solchen Handeln noch etwas Sensationelles anhaftete. Gesehen hatte die Autorin die Szene, in der sich eine junge Frau zu einem Adlerhorst abgeseilt hatte, um weitere Angriffe auf die Schafherde ihres Dorfes zu unterbinden, auf einem Selbstporträt der Tiroler Malerin Anna Stainer-Knittel, bei der es sich tatsächlich um eine früh emanzipierte Frau handelte, die ihren Ehemann gegen den Willen ihres Elternhauses wählte und bis ins hohe Alter mit ihrer "Zeichen- und Malschule für Damen" in Innsbruck berufstätig blieb, aber die dramatischen Ereignisse, die sie um Walburga Fender ersann - wie sie sie in ihrem Roman nannte - entsprangen nur ihrer Fantasie.
Nicht weniger typisch für die Entstehungszeit ist die gleichzeitige Relativierung dieser selbstbewussten, körperlich starken und schönen weiblichen Figur, die sich, um als Frau geliebt zu werden, letztlich einem Mann hingeben muss. Mit dem "Bären-Joseph" - so genannt, weil der Jäger Joseph Brandleinen gefährlichen Bären erlegte - existiert auch das entsprechende Objekt ihrer Begierde, aber dieser verachtet Wally nicht zuletzt deshalb, weil sie sich so eigensinnig und unweiblich verhält. Besonders mit ihrem strengen Vater, der zwar stolz reagiert, als sie den jungen Geier aus dem Nest stiehlt, sie aber mit dem Bauern Vinzenz Gellner aus wirtschaftlichen Erwägungen verheiraten will, steht sie in einem ständigen Konflikt, weshalb sie von ihm auf die Hoch-Alm verbannt wird, um bei widrigen Bedingungen zur Vernunft zu kommen - eine Erziehungsmethode, die bei der "Geierwally" nicht funktioniert.
An dieser Story über weiblichen Widerstandsgeist ist besonders interessant, dass sie sich ihre Attraktivität bis heute bewahrt hat. 1892 hatte die Oper "La Wally" von Alfredo Catalani Premiere und 1920 erschien die erste filmische Version des Romans mit Henny Porten in der Rolle der "Geierwally". 2005 wurde der Stoff zuletzt für das deutsche Fernsehen adaptiert, nachdem Walter Bockmayer 1988 eine Parodie herausgebracht hatte, die sich als Satire auf den deutschen Heimatfilm verstand - ein aus heutiger Sicht verbreitetes Missverständnis, das jeden in wilden Bergwelten spielenden Stoff automatisch dem in den 50er Jahren populären Heimatfilm-Genre zurechnet. 1956 entstand auch eine zeitgemäß angepasste Variante mit Barbara Rütting in der Hauptrolle, aber die Romanvorlage verfolgte eine andere Intention. Der Hintergrund einer rauen, teilweise menschenfeindlichen Landschaft spitzte noch die in einem archaischen Umfeld entstehende Situation zu, mit der die Autorin die Ausweglosigkeit und damit die Widerstandskraft ihrer Protagonistin betonte. Daran lässt sich auch der Anlass für die von Hans Steinhoff in der Frühphase des 2.Weltkriegs umgesetzte Version erkennen, dessen "Geierwally" die Stärke der deutschen Frau symbolisieren und herausfordern sollte. Mit einer heilen Welt, wie sie in den 50er Jahren im Gegensatz zu den im Krieg zerstörten Städten hochstilisiert wurde, hatte das wenig zu tun.
An Afra, einer wichtigen Nebenfigur, lässt sich diese unterschiedliche, sich nach dem Krieg verändernde Sichtweise an einem scheinbar unwesentlichen Detail verdeutlichen. In Wilhelmine von Hillerns Roman handelt es sich bei Afra um die uneheliche Halbschwester des "Bären-Joseph", in Steinhoffs Film um dessen uneheliche Tochter. In beiden Fällen führt die Verheimlichung ihres Status, um sie vor einer Ausgrenzung zu schützen, zu dem Missverständnis, dass Afra für Josephs Geliebte gehalten wird, was die Situation zwischen ihm und Wally eskalieren lässt. Auch im Heimatfilm von 1956 kommt es zu dieser Verwechslung, aber Afra ist hier die Nichte von Joseph, was diesen von persönlicher moralischer Schuld freispricht, dessen hartnäckiges Verschweigen ihres Verwandtschaftsgrads aber unglaubwürdiger wirken lässt. Diese Abschwächung innerer Konflikte zugunsten einer geglätteten Moralvorstellung ist in vielen Remakes der 50er Jahre zu beobachten - etwa in den zwei Versionen nach Ebner-Eschenbachs Roman "Krambambuli" (1940) und "Heimatland" (1955) - und signifikant für das Heimatfilm-Genre.
An Glätte war Regisseur und Drehbuchautor Hans Steinhoff auch nicht gelegen, sondern an einer dramatischen Hochstilisierung, wie schon die offensichtlich an Richard Wagners Musik orientierten Orchesterklänge vermitteln, mit denen der Film beginnt. Brutal schlägt der Vater (Eduard Köck) mit einem Knüppel auf seine Tochter Wally (Heidemarie Hatheyer) ein, greift sie in das Gesicht von Joseph (Sepp Rist), als er sie mit Gewalt küssen will, und schlägt Wally den niederträchtigen Bauer Vinzenz Gellner (Leopold Esterle) von Hinten nieder, als dieser auf eine alte Magd einschlägt. Wutverzerrt begegnen sich die Gesichter und schreien sich hasserfüllt an - in "Die Geierwally" gibt es nur Emotionen pur, folgt ein dramatisches Ereignis dem nächsten. Obwohl sich Regisseur Hans Steinhoff, über den Zeitgenossen wie Billy Wilder oder Hans Albers, die mit ihm zusammen gearbeitet hatten, sehr negativ urteilten, schon vor 1933 der nationalsozialistischen Ideologie zuwandte, von der NSDAP entsprechend gefördert wurde und mit "Hitlerjunge Quex: Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend" (1933) einen der ersten Propagandafilme fertigte, der heute nur noch unter Vorbehalt zu sehen ist - mit "Ohm Krüger" (1941) ließ er "Der Geierwally" einen weiteren heute nur beschränkt zugänglichen Propagandafilm folgen – hielt er sich größtenteils an die Romanvorlage und verzichtete auf ideologisch geprägte Veränderungen.
Sicherlich kam die Story einer starken, kämpferischen Frau, die nicht aufgeben wollte, der Zielsetzung des Propagandaministerium zu Beginn des Krieges entgegen, welche von Steinhoff auch entsprechend herausgearbeitet wurde, aber die Konsequenz, mit der Heidemarie Hatheyer hier spielt, ihr Mut, auch hässlich, ungerecht und egoistisch zu wirken, und die Kompromisslosigkeit, mit der die Auseinandersetzungen geführt werden, kann heute noch faszinieren, ebenso wie eine Bergwelt, die felsig, hart und kalt wirkt und ohne die für die 50er Jahre typische Touristenwerbung auskam. Angesichts des sehr kurz gehaltenen Happy-Ends, dass anders als der Roman und die 1956er Verfilmung auf die abschließende dramatische Rettung des von Gewehrkugeln getroffenen Josephs aus einer Felsspalte verzichtete, entsteht am Ende nicht der Eindruck einer Unterordnung, sondern bleibt das Bild einer durchsetzungsfähigen, selbstständigen Frau bestehen. (6,5/10)