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„Wenn alles so sinnlos ist, wieso regst du dich dann verflucht noch mal darüber auf, du Vollidiot?!“ – „Weil ich mir fremd werde!“

„subUrbia“ ist ein hierzulande seltsamerweise anscheinend weitestgehend untergegangenes US-Jugend-/„Coming of age“-Drama aus dem Jahre 1996, entstanden unter der Regie Richard Linklaters („School of Rock“).

Alltag in der US-Kleinstadt Burnfield: Eine Gruppe junger Erwachsener hängt an der Tankstelle herum, betrinkt sich, macht Blödsinn und wälzt Probleme – zum Leidwesen des genervten pakistanischen Tankstellenpächters (Ajay Naidum „The Wrestler“). Unter ihnen befinden sich ein reichlich versoffener Ex-Soldat (Nicky Katt, „Death Proof“), ein in einem Fast-Food-Imbiss arbeitender Kindskopf (Steve Zahn, „E-m@il für Dich“), der nachdenkliche Jeff (Giovanni Ribisi, „The Fan – Schatten des Ruhms“) und seine Freundin Sooze (Amie Carey, „True Vinyl – Voll aufgelegt!“), die Pläne hegt, nach New York zu ziehen. Von dieser Idee ist Jeff nicht sonderlich angetan. Als dann auch noch der ehemalige Schulfreund Pony (Jayce Bartok, „Swing Kids“) zur Gruppe stößt, der mittlerweile erfolgreicher Rocksänger geworden ist, überstürzen sich die Ereignisse…

Linklaters Film porträtiert eine Generation weißer junger Erwachsener aus der Unter- bis Mittelschicht stellvertretend anhand dieser Gruppe Kleinstadt-Tankstellentrinker, die orientierungslos und unzufrieden mit ihren Perspektiven mit ihrem Leben hadert, das geprägt ist vom Alltag einer als immer enger werdend empfundenen Kleinstadt. Eine Generation, deren unzufriedene Protagonisten sich nicht Hals über Kopf dem Rock’n’Roll verschreibt, der seit 40 Jahren untrennbar mit den USA verbunden ist, die nicht auf Motorrädern Freiheit und Unabhängigkeit suchen, die bis zur nächsten Zapfsäule reicht, die nicht weltfremd und verlogen die Gewalt als Teil jedes Menschen leugnen, sich in lächerlichen Klamotten das Hirn wegdrogen und unablässig von Liebe faseln, die zu individuell und bodenständig sind, um eine verschworene Gang zu sein, die nicht oberflächlich genug sind, um Popper zu werden und sich Balzritualen in Discos hinzugeben und sich auch nicht vorbehaltlos in Punk oder eine ähnliche Subkultur stürzen, die ihre Kleinstadt ohnehin nicht zu bieten hat. Nein, diese Jugendlichen gehören der Generation der ‘90er an, einer Zeit, in der die beschriebenen Formen des Aufbegehrens allesamt irgendwie schon alte Hüte waren, aber irgendwie auch nicht, in der einem Teile davon als etwas Neues verkauft wurden, in der das Establishment schon sehr genau Bescheid wusste, wie Rebellion zu kanalisieren und auszuschlachten war, in der es also nicht unbedingt einfach war, eigene, unverbrauchte Wege zum Ausdruck des Gefühlschaos aus Frust, Orientierungs- und Perspektivlosigkeit, Verlustängsten und Drang zur Selbstverwirklichung zu finden. Eine diffuse Unzufriedenheit, wie sie sich nicht mit politischen Parolen ausdrücken lässt und wie sie gerade auch suburbanen Charakters ist, wenn die nächste Großstadt unendlich weit weg scheint und auch sie möglicherweise nur mit trügerischem Neonglanz lockt, sich letztlich aber als lebensfeindliches Haifischbecken entpuppt.

Es ist oftmals schwierig, älteren Generationen, die bereits vermeintlich oder tatsächlich als härter/entbehrungsreicher empfundene Zeiten hinter sich haben, auf ernstzunehmende Weise begreiflich zu machen, womit die Angehörigen der jüngeren Generation hadern. Schnell werden da Vorwürfe von verweichlichten Wohlstandskindern laut, wird in Kurzsichtigkeit und Arroganz eine gewisse materielle Grundsicherung als Garant für Sorglosigkeit missverstanden bzw. überinterpretiert. Auf der anderen Seite flüchten sich von ihren Eltern verhätschelte und unzureichend aufs Leben vorbereitete Jugendliche und Adoleszente nur allzu gern in trotziges Selbstmitleid, den eigenen Stellenwert maßlos überbewertend und nicht selten gar die Legende einer ach so schweren Kindheit strickend, um die sie strenggenommen Millionen beneiden. „subUrbia“ gelingt es nun, einen zu Verständnis- und Unterhaltungszwecken innerhalb eines Spielfilms naturgemäß abstrahierten, dabei jedoch nicht realitätsfernen Tonfall zu treffen – der es erlaubt, die gezeigten Charaktere sowohl wissend zu belächeln, als auch sie in den entscheidenden Dingen ernstzunehmen, zumindest aber zu verstehen. Diese replizieren eine recht breite Palette menschlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften, angefangen beim mit rassistischen Ressentiments um sich werfenden und sich in den Alkohol flüchtenden ehemaligen Soldaten, der dadurch seinen Frust zu kompensieren versucht und sich aufgrund mangelnden Selbstwertgefühls mit einer großen, vermeintlich homogenen Masse derjenigen identifiziert, die seine Nationalität teilen, über denjenigen, der sich mit zahlreichen Kaspereien, Provokationen und erfundenen Geschichten den Alltag bunter gestaltet und Bestätigung erlangt, wenn seine Freunde über ihn lachen und sich andere auf den Schlips getreten fühlen, bis hin zum über ein gewisses Maß an politischem Bewusstsein verfügenden, mehr kopf- als bauchfixierten Typen, der über die Ungerechtigkeiten in der Welt Bescheid weiß, aber auch darüber, dass er selbst Teil der westlichen Industriegesellschaft und auf sich allein gestellt kaum in der Lage ist, etwas zu ändern und der auch gar nicht wüsste, wie, in seinem tiefsten Inneren jedoch ein von Verlustängsten geplagter, tendenziell konservativer (im positiven, nicht im politischen Sinne) Mensch ist, der sich schnell einsam fühlt und eigentlich ein ruhiges Leben mit seiner Freundin führen möchte – welche wiederum in unsensibler, egoistischer Weise ohne ihren Freund ihre Zukunft, eine kreative Karriere, plant und wenig Probleme damit hat, Umfeld und Beziehung zurück zu lassen, um sich einem kreativen Chaos ohne viel Absicherung hinzugeben. Das Auftauchen des im Musikgeschäft bereits beachtliche Anfangserfolge erzielt habenden Ponys wirkt dann wie eine Art Katalysator auf das Gruppengefüge. Er wird zur Reflektionsfläche für so unterschiedliche Emotionen wie Bewunderung, Argwohn, Neid und Verachtung, die die Unterschiede der Charaktere sich deutlich herauskristallisieren und schon lange brodelnde Konflikte zum Ausbruch kommen lassen. Das macht die eine Nacht, in der „subUrbia“ vornehmlich spielt, zu einer ganz besonders schicksalhaften, die die Freundschaft der Clique auf eine harte Probe stellt.

Dass die Clique sich regelmäßig trifft und sich betrinkt, ist dabei mit Ausnahme des Ex-Soldaten noch kein Hinweis auf eine Suchtkrankheit, sondern Mittel zum Zweck, um sich der Zwänge und Hemmungen der sozialisierenden Gesellschaft zu entledigen und Zugang zu finden zu ehrlicher Emotionalität und Spontanität. Es ist eine Art Ritual, um miteinander ins Gespräch zu kommen, das durchaus kreatives Potential besitzt – sei es für Unfug und nicht ungefährliche Streiche/Provokationen, sei es für angeregte Diskussionen und das Herausarbeiten von Sichtweisen und Standpunkten auf der Suche nach einer eigenen Identität. Treffen wie diese finden zuhauf an irgendwelchen Ecken, nie zu weit entfernt vom nächsten Bierverkäufer, in unzähligen Kleinstädten statt, oftmals in Ermangelung von Alternativen: Mit dem örtlichen Jugendzentrum hat man es sich verscherzt oder es gibt erst gar keines, die Kneipe ist zu teuer und auch dort ist man nicht gern gesehen, die Freizeitmöglichkeiten sind eingeschränkt. Diese Stimmung ist es, die „subUrbia“ aufgreift und plastisch macht. Dabei fehlt der Handlung ein bestimmter Punkt, auf den alles zuläuft, der Spannung nach klassischen Vorstellungen erzeugen würde – was jedoch gut zur Orientierungslosigkeit seiner Protagonisten passt, deren Wege sich in jener Nacht vorübergehend trennen, sie unterschiedliche Abenteuer erleben und Erfahrungen machen lässt – und Jeff an die Grenzen seiner Kräfte bringt, der nicht nur auf freundschaftlicher Ebene schwer enttäuscht wird und seine Loyalität und sein Mitgefühl ausgenutzt und bestraft sieht. Die Situation eskaliert am nächsten Morgen in vielerlei Hinsicht; das „Finale“ wurde wendungsreich gestaltet, jedoch zeitweilig dann doch etwas unglaubwürdig bis sogar ein bisschen albern, bis es ganz am Ende noch einmal so richtig dramatisch wird.

Nichtsdestotrotz ist Linklater ein angenehm feinfühliges, dabei niemals allzu sentimentales und schon gar nicht jammeriges Porträt einer Generation bzw. eines bestimmten Teils selbiger gelungen, das dank seines zwar mitunter plakativen, jedoch nicht unrealistischen Stils und seines wachen Blicks viele Facetten der Jugend und Adoleszenz abdeckt, von tragisch bis komisch und zurück. Irgendwo zwischen „Breakfast Club“ und „Clerks“ angesiedelt, machen alle Jungmimen einen prima Job und wurden charakteristisch genug ausgewählt, um die Gesichter lange im Gedächtnis zu behalten. Der Soundtrack setzt sich zu einem großen Teil zusammen aus „Alternative“- und Punk-Acts der ‘90er wie Sonic Youth, Meat Puppets und Pennywise, die auch tatsächlich den Soundtrack zum damaligen Lebensgefühl spielten. Ein unbedingt sehenswerter Film, der hilft, die '90er abseits des Mainstreams wiederzuentdecken, sich an sie zu erinnern, sie zu verstehen.

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