Es zeugt von Selbstvertrauen, wenn man sich als Regiedebütant mit „Battle in Seattle" gleich an einen politischen Propagandafilm wagt. Die durch und durch idealistische Betrachtung der Proteste im Zuge des WTO-Gipfels 1999 in Seattle inszeniert Stuart Townsend zwar handwerklich solide, leider ist die Figurenzeichnung streckenweise arg klischeehaft geraten. Das ist insofern schade, da die Charaktere fast durchgängig von äußerst talentierten und prominenten Hollywoodstars verkörpert werden.
Seattle 1999: Verschiedene Gruppe bereiten sich auf den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in der Ostküstenmetropole vor. Bürgermeister Jim Tobin (Ray Liotta) setzt angesichts der angekündigten Demonstrationen auf Dialog und Deeskalation, was bei der Polizei (u.a. Woody Harrelson und Channing Tatum) zum Teil für Unverständnis sorgt. Als die Demonstrationen durch radikal anarchistische Gruppen zunehmend eskalieren, fokussiert sich die gesamte Berichterstattung der Medien, auch der Journalistin Jean (Connie Nielsen) auf die Ausschreitungen und Verwüstungen. Die Polizei ändert ihre Strategie und greift mit voller Härte durch, was auch, so dass auch die friedlichen Demonstranten rund um den charismatischen Anführer Jay (Martin Henderson) ins Visier der Staatsgewalt geraten.
Obwohl der Film optisch mitunter unter seinem offenkundig geringen Budget zu kämpfen hat, werden die Protestaktionen ansprechend umgesetzt und fügen sich harmonisch in das verwendete Originalmaterial ein. Schauspielerisch bewegt sich „Battle in Seattle" eindeutig in der Oberklasse. Die zahlreichen Hollywoodstars bekommen genug Freiraum, um ihre Charaktere mit Leben zu füllen. Hier macht sich der schauspielerische Backround des Regisseurs eindeutig bemerkbar.
Politische Propaganda in Spielfilmen ist stets eine Frage des persönlichen Geschmacks. Wie steht man als Deutscher generell zu Propagandafilmen? Stimmt die politische Stoßrichtung mit seiner eigen überein? Ist man bereit, sich von einem Spielfilm „belehren" zu lassen oder redet man sich ein, sich zu allem ein vollkommen unabhängiges Urteil bilden zu können? Und nicht zuletzt: Ist das Spielfilmformat überhaupt geeignet, um komplizierte politische Sachverhalte einigermaßen angemessen abzubilden, ohne dass die Geschichte unter dem ideologischen Ballast erdrückt wird?
Townsend beschränkt sich nicht allein auf die Perspektive der Demonstranten, sondern will das große Ganze beleuchten. Tatsächlich macht diese Storykonstruktion im Rahmen der idealistischen Grundhaltung des Regisseurs nicht nur Sinn, sondern ist geradezu zwingend. Form follows function und ist in der liberalen Grundüberzeugung von Stuart Townsend ist niemand von Grund auf böse, sondern stets ein Produkt seiner Umwelt, Alles hängt mit Allem zusammen. Aus diesem Grund werden neben Demonstranten, der Polizei, Presse und der Lokalpolitiker auch schlaglichtartig unbeteiligte Bürger Seattles (Charlize Theron), Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (Rade Serbedzija), Wirtschaftslobbyisten und internationale politische Vertreter der Entwicklungs- und Industrieländer (Isaach De Bankolé) skizziert. Was in ähnlich konzipierten TV-Serien wie z.B. „The Wire" über mehrere Folgen und Staffeln ein unglaubliches Maß an charakterlicher und inhaltlicher Tiefe erzeugen kann, muss in den knapp 90 Minuten „Battle in Seattle" zwangsläufig gehetzt und holzschnittartig wirken. Aufgrund der Fülle an unterschiedlichen Akteuren bleibt selten Zeit für ein differenziertes Portrait einzelner Charaktere. Gerade auf der Seite der Staatsmacht fallen Townsend kaum mehr als blasse Klischees und Plattitüden ein. Umso konstruierter fallen dann auch die Wandlungen aus, die im Verlauf der Ereignisse fast ausschließlich den vermeidlichen Antagonisten zufallen. So wird aus einem hohlen Polizeischlägern der besonnene Retter des Demonstranten, aus der zynischen Reporterin das heimliche Herz des Protestes und ein außer Kontrolle geratener Polizist entschuldigt sich höchstpersönlich bei seinem Prügelopfer. Solche Momente wirken nicht nur kitschig und nach dem Hollywoodbaukastenprinzip konstruiert, hier wirkt der Film sehr agitatorisch und belehrend. Seinen vermeidlichen Identifikationsfiguren gesteht Townsend hingegen kaum eine Entwicklung zu. Sie sind in ihren Motiven aufrecht und edel und bleiben bis zum Ende in ihren Motiven aufrecht und edel. Das ist genauso einfallslos wie langweilig. Einzig der Subplot um Jennifer Carpenter („Dexter", „Der Exorzismus der Emilie Rose"), die innerhalb der Protestler zu Beginn die Rolle der Zweiflerin bekleidet, ist restlos überzeugend, mitreißend und in Gänze gelungen.
Als Licht und Schatten entpuppt sich die enge Orientierung der Geschichte an den realen Ereignissen. Hier verschenkt Townsend die Möglichkeit gängige Storykonventionen zu umschiffen. Der Bürgermeister ist ausnahmsweise mal keine skrupellos machtgeile Sau, die nur auf seine Wiederwahl schielt, sondern ein mitfühlender Politiker, der von dem Ausmaß der Proteste erst überrascht und dann überfordert ist. Das ist glaubwürdig und frisch. Statt sich darauf zu verlassen, versucht Townsend den daraus entstehenden Mangel an Antagonismus durch den Rückgriff auf angestaubte Hollywoodklischees und letztendlich die böse Regierung für die Gewalteskalation verantwortlich zu machen. Auch sein Versuch, die WTO differenziert darzustellen, endet uninspiriert. Den Altruisten aus den Nichtregierungsorganisationen (NRO) und den edlen Wilden aus den Entwicklungsländern stehen selbstverständlich die machtgeilen Industriestaaten und Pharmalobbisten gegenüber. Und wenn Townsend gegen Ende das Scheitern des Gipfels den aufrechten der Initiative der Demonstranten zuschreibt, dann wirkt der Film reichlich naiv und toppt sich anschließenden selbst durch einen platten Demoaufruf unterlegt von -na klar- Reggeamusik.
Selbst eingefleischte Globalisierungskritiker wird dieses agitatorische Kampfpamphlet nicht restlos überzeugen. Zu klischeehaft und oberflächlich bleiben die einzelnen Episoden um die einzelnen Interessengruppen rund um den Battle in Seattle. Die gut überzeugenden Hollywoodstars können diesen Mangeln nur zu einem gewissen Teil kompensieren. Vielleicht hätte sich Townsend für sein Regiedebüt einen etwas kleineren Stoff aussuchen sollen.
Daran werde ich mich noch lange erinnern: Der ungenierte Einsatz von Tränengas direkt in die Gesichter der Demonstranten.