Review

80 Minuten in einem ganzen Leben sind auf die Länge der durchschnittlich zu erwartenden Lebensdauer recht wenig. 80 Minuten sind aber gerade lang genug, um sie mit dem einen, oder anderen Filmprodukt zu füllen. Und da wir alle wissen, dass Filme durchaus Auswirkung und Effekt auf unser Leben, mal mehr, mal weniger, haben können, wählen wir die zu goutierenden Filme für die 80 Minuten Lebenszeit meist sorgsam aus. "Subconscious Cruelty" passt in das 80-minütige Format perfekt hinein, jedoch schaut man sich das Werk des Kanadiers Karim Hussain nicht an, um unterhalten zu werden, oder um die vergangenen 80 Minuten nach Ansicht des Films wohlwollend zu vergessen. Man sieht sich den Film an, um etwas mitzunehmen. Um etwas "Neues" zu sehen, Dinge von denen man nicht geträumt hätte. Um etwas "Neues" zu erfahren, um geschockt zu werden, und vielleicht sogar um geistig stimuliert zu werden.

Karim Hussain sah sich Anfang der Neunziger Jahre frustriert angesichts der modisch-platten Kinoblockbuster, die seine Liebe, das Medium Film an sich, zu zerstören drohten. Voller Wut auf Kultur, Gesellschaft, Religion, beschloss er, einen Film zu kreieren, der zwar kaum auf ein breites Publikum trifft, aber demjenigen, dem er sich offenbart, eine neue Welt offenbart. Eine Emotion voller Wut sollte mit dem Film freigesetzt werden. "Subconscious Cruelty" sollte ein provokativer Hammerschlag sein; so kräftig, um alle noch bestehenden Tabus und Unschönheiten zu zerbärsten. Ein gewalttätiger Kraftakt, ein künstlerischer Versuch, das Medium Film aus der nichts sagenden Boulevard-Ecke herauszuboxen, zurück in den poetischeren Bereich.

Hussain verzichtet auf eine klare Narration und reiht übergangslos mehrere episodische Filmfragmente aneinander, die kaum einen Bezug zueinander haben, teilweise durch ganz andere Stilarten geprägt sind. Es ist volle Absicht, dass hier nichts Durchgängiges erzählt wird, sondern dass mehrere kleine Geschichten versuchen, ein Ganzes zu ergeben. Es fängt somit mit einem Prolog an, in dem wir auf das Folgende unsanft vorbereitet werden. Zu körnigen Bildern eines Industrieviertels erzählt eine kalte Frauenstimme von der Gefährlichkeit des Zelluloids, von der Tatsache, dass manche Filme gewisse Grenzen überschreiten, und das sich auch der folgende Film anschickt, nicht in den uns durch den Mainstream bekannten Gefilden zu verweilen. Danach geht’s los.

"Das menschliche Hirn ist zerteilt in 2 Hemisphären", heißt es. "Die rechte Hälfte kontrolliert alle intuitiven, leidenschaftlichen und kreativen Gedanken, während die linke alles Logische und Rationale dominiert. Das rechte Gehirn ist die purste Droge, die ungehemmte Gefühle heraufbeschwört." Der Film ruft dazu auf, sein eigenes linkes Gehirn zu zerstören, und nur noch dem rechten Gehirn zu trauen. Nach dieser metaphysischen Belehrung, findet man sich auch sofort in der ersten Episode "Ovarian Eyeball" wieder. Nur wenige Minuten dauert die eigenartige Szenerie, bei der fremde Frauenhände den nackten Körper einer weiteren Frau umschmeicheln, um ihr am Ende eine tiefe Wunde am Unterleib zuzuführen, und dort einen Augapfel zum Vorschein zu bringen.

Der zweite Abschnitt heißt "Human Larvae", ist der längste, und der einzige mit permanenter Sprache. Kommen die anderen Episoden komplett ohne gesprochenes Wort aus, ist es hier wenigstens der innere Monolog des Protagonisten, der sich auf eine äußerst kranke Weise zu seiner profanen Schwester hingezogen fühlt. Der jungfräuliche Mann beobachtet seine Blutsverwandte beim Sex, masturbiert dazu, und spinnert sich erschreckende Fantasien zusammen, die sich um die Kontrolle seiner Schwester und ihres ungeborenen Kindes drehen. Als er seine schwangere Schwester schließlich liebevoll umsorgt, ist es nur eine Maske seinerseits. Er ist ein perverser Wolf im Schafspelz, der am Ende in einen ekelerregenden Wahn aus Perversität und Unlogik, total abseits jeglichen menschlichen Gefühls verfällt.

Nach dieser karg ausgeleuchteten, dunklen Episode, schwenkt Hussain in gleißendes Tageslicht um. Mehrere nackte Menschen liegen in einem unberührten Flecken Natur, und scheinen Sex mit ihrer Umwelt zu haben. "Rebirth" ist weniger bedrückend als die restlichen Abschnitte in "Subconscious Cruelty", aber dennoch fremdartig, verstörend, und nur aufgrund der Absurdität des Gezeigten, leicht komisch.

Doch das aufkeimende Schmunzeln wird einem schon vergehen: In "Right Brain/Martyrdom" onaniert ein Geschäftsmann zu einem Porno im Fernsehen, ejakuliert auf den Fernseher und wird in eine fremdartige Traumwelt irgendwo zwischen Fernsehabbild, Alptraum und Wahnvorstellung gezogen. Weibliche Dämonen foltern den Jesus-Christus-gleichen Doppelgänger des Geschäftsmannes auf die unbeschreiblichste Art, die ein Film in den Neunzigern zeigen konnte.

Ja, "Subconscious Cruelty" schockt und stößt ab. Und das nicht zu wenig. Er ist direkt, ungeschönt und ekelig. Nach 80 Minuten weiß man genau: Man hat keine dieser Minuten wirklich genossen, aber dennoch, wie eingangs erwähnt hat man etwas mitgenommen. Schlimmstenfalls haben die Zartbesaiteten unter uns Alpträume, bestenfalls sehen wir die Erfahrung "Subconscious Cruelty" als etwas Bewusstseinserweiterndes an. Vieles weiß man zwar schon vorher, gesehen hat man es nur nie. Versteht man den Film als künstlerische Rebellion gegen willkürlich Alles, kann man den harschen Bildern und der extremen Gewalt schon etwas abgewinnen.

Sollte man aber einen derart extremen Film moralisch verurteilen? Nun, zwar sind Szenen, in denen ein Mann ein Neugeborenes den Hals aufschlitzt, und das Blut auf dessen Mutter herauspresst, mehr als furchtbar, kaum erträglich, und im höchsten Maße fragwürdig. Sich aber von dem Gezeigten abzuwenden und das unsittliche Treiben auf der Leinwand als dumm, ist hier der eindeutig falsche Weg. Regisseur Hussain drückt sich dafür viel zu gekonnt künstlerisch aus. So sind alle seine Bilder, wenn sie nicht gerade die Schwelle zum Abartigen und Extremen überschreiten oft irgendwo zwischen aufregend-bizarr und überraschend schön. Dazu kommt ein schier perfektes, oft in der Stimmung und Lautstärke umschwingendes Sounddesign, das in seiner Art an die des David Lynch-Films "Eraserhead" erinnert. Oben drauf sitzt dann noch ein zurückhaltender Score des Japaners Teruhiko Suzuki, der zwischen harten Gitarrenriffs und leisen Pianotönen hin und her pendelt.

"Subconscious Cruelty" wird eh nur in die Hände derer gelangen, die grob wissen, was sie erwartet. Der Film, so extrem er ist - bezüglich gerade, weil er so extrem ist -, wird nicht Mainstreamskandale auslösen oder Protestaktionen vor den Kinos hervorrufen. "Subconscious Cruelty" richtet sich an jene Menschen, die ähnlich wie Karim Hussain und sein Produzent Mitch Davis angeekelt vom amerikanischen Blockbusterkino sind, jene Menschen und Künstler, die ihre Nische im hartgesottennen, surrealen Independentkino gefunden haben. Wenn sich jemand aus Hussains Zielpublikum dazu entscheidet, "Subconscious Cruelty" zu sehen, dann nicht, weil derjenige unterhalten werden will. Der Zuschauer wird Zeuge von 80 Minuten energetischem Filmemachens. Formal nicht erkennbar unter welchen haarsträubenden Umständen der Film gedreht wurde (die Produktionszeit beläuft sich auf nicht weniger als sechseinhalb Jahre!), und optisch oft brillant, ist der Film rein objektiv als durchaus gut bis sehr gut einzuordnen. Subjektiv und emotional mag man abgestoßen von dem sein, was man sieht. Doch jene Reaktion, jene extreme Emotion, die dieses Stück Zelluloid durch gespiegelten Extremismus hervorruft, ist genau das, was Hussain und Davis mit den 80 Minuten Film haben wollten. Ja, es geht hier nur darum, wieder etwas nach einem Film zu spüren. Noch einmal aufgerüttelt zu werden, und aufgrund der Kompromisslosigkeit des Gezeigten dazu gezwungen werden, über den Film nachzudenken, und zu urteilen. Egal, ob man "Subconscious Cruelty" deswegen liebt oder verachtet, eine heftige Reaktion wird er auslösen. Und diese wird ehrlicher und dem Medium Film gegenüber loyaler sein, als jegliche emotionale Regung bei den verlogenen US-Hits im Multiplexkino. Ob man für eine solche Erfahrung 80 Minuten seines Lebens opfert - es sei jedem selbst überlassen.

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