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Leicht unausgegorener Wechsel von Unausgesprochenem und Ausgesprochenem. Einerseits hat er sehr schöne Szenen wie die zwischen Walter und der Klavierlehrerin. Oder die, in der Walter Zainab von seiner Professur erzählt und man als Zuschauer merkt: der Mann ist burned-out und gibt nur vor zu arbeiten. Warum muss dieser Umstand keine zehn Minuten später noch explizit in einem Dialog ausformuliert werden? Oder warum muss in einer anderen Szene die evidente Ignoranz einer reichen New Yorker Kundin auf dem Straßenbasar noch ausformuliert werden?"The Visitor" schwankt immer ein bisschen zwischen Subtilität, leisen Tönen und Plakativität. Nichtsdestotrotz stellt McCarthys neue Regiearbeit einen schöneren, cleveren und anrührenderen Film dar als seinerzeit der allseits überschätzte, alarmistische "Station Agent".

Das Beste an "Visitor" ist zweifelsohne die erste Filmhälfte, also bevor das Werk Sujets wie die Demontage des American Dream, New Yorker Post-9/11-Paranoia und Schicksal von illegalen Immigranten thematisiert. In der ersten Hälfte geht es um einen Witwer Walter (hervorragend gespielt von Richard Jenkins), der keine Kraft und Lebenslust hat, keine Ziele verfolgt (zumindest keine, von denen er überzeugt ist) uns sozial isoliert ist. Als er nach längerer Abstinenz in seine New Yorker Wohnung kommt, findet er dort ein junges muslimisches Paar bestehend aus einem Araber und einer Afrikanerin vor, das Walters Wohnung von einem Kriminellen gemietet hat, unwissend über den wahren Besitzer. Nach kurzem hin und her erlaubt Walter den Beiden bei ihm zu wohnen, bis sie etwas Neues finden. Während die Frau reserviert bleibt, kommen sich Walter und der Straßenmusiker Tarek (sehr charismatisch: Haaz Sleiman) näher: Tarek lehrt den Witwer die afrikanische Trommel, und dieser scheint darin nach Jahren etwas gefunden zu haben, das ihn erfüllt.

In der ersten Hälfte ist "Visitor" zugleich Porträt eines ausgebrannten, orientierungslosen Mannes als auch ein schöner Film über kulturelle Annäherung, über die Menschen-verbindende (und für Walter wohl auch therapeutische Kraft der Musik), über die Entdeckung eines neuen Lebensgefühls im belebenden Rhythmus der Trommelschläge. Das alles erzählt der Film durchaus feinfühlig und unaufgeregt. Später, nach Tareks Inhaftierung in einem "Abschiebe-Gefängnis" verliert McCarthys Werk freilich etwas, weil es anfängt, auf sozial-politischen Pfaden zu wandeln (s.o.), dabei sehr einseitig und unterkomplex anmutet und vom Zuschauer erwartet, dass dieser seine Aussagen brav abknickt. Und die Figur Tarek ist hinter Gittern nicht mehr so bereichernd wie in Freiheit.

Dafür entschädigt "The Visitor" aber mit zweierlei. Zum einen mit dem Auftauchen von Tareks Mutter (sehr anmutig: Hiam Abbass), zwischen der und Walter sich ganz dezent eine Freundschaft, sogar amouröse Gefühle entwickeln. Zum anderen ist die Schlussszene des Films sehr stark. Nachdem Walter sich seiner Ohnmacht gegenüber dem amerikanischen Justizsystem bewusst wird und er sowohl Tarek als auch dessen Mutter für immer verliert, begibt er sich in eine U-Bahn-Station und trommelt sich seine ganze Wut und seinen Frust vom Leibe. Sehr beindruckende und emotionale Szene; einer der besten Abschlüsse eines Films in letzter Zeit.



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