Chuck Lorre ist einer der wenigen Namen, welche eine gute Sitcom schon beinahe garantieren. Schon für „Roseanne“ schrieb Lorre einige hervorragende Drehbücher und konnte sein Talent schnell an eigenen Kreationen testen – dabei entstanden Kult-Sitcoms „Cybill“, „Dharma & Greg“ oder auch „Two an a Half Man“ und das neueste Projekt kann dieser Messlatte beinahe mühelos standhalten. Ergründete Lorre in „Cybill“ auf realsatirische Weise das Wesen des Starkultes und vergangenen Ruhm, so rückte er in „Dharma & Greg“ das wohl am originellsten modellierte Pärchen der Sitcom-Geschichte in ein schräg-analytischen Storykonstrukt um sich in „Two and a Half Man“ ganz dem Junggesellenleben zu widmen. Einen ähnlich kreativen Blickwinkel wählte Lorre nun für „The Big Bang Theory“ und bleibt seinen intelligenten Charakterzeichnungen treu. Der Fokus liegt auf den zwei hochintelligenten Jung-Physikern, die zusammen wohnen und in deren gegenüberliegende Wohnung eine attraktive junge Frau einzieht und ihr Gefühlsleben ordentlich durcheinander bringt.
Zunächst begeistert schon die optimale Besetzung mit einem wirklich fähigen, kleinen Ensemble. In den Hauptrollen brillieren ausschließlich versierte Darsteller. Angefangen bei Johnny Galecki, der mit einer wichtigen Nebenrolle in „Roseanne“ Bekanntheit erlangte und sich hier als gereifter, zurückhaltender Schauspieler zeigt. Zur Seite steht ihm der noch relativ unbekannte Jim Parsons, der Galecki sogar noch überragt. Seine pedantische, enervierend-authentische Darstellung des von Neurosen und Regelmäßigkeitszwängen erfüllten Sheldon. Selbst unter der vierköpfigen Genie-Clique der Hauptprotagonisten sticht Sheldon als Freak unter Freaks heraus. Damit kommen wir zum einzigen weiblichen Hauptcharakter, Penny. Eine zuckersüße Kaley Cuoco („Meine Wilden Töchter“), die unbestritten nicht nur über optische Qualitäten verfügt, erweist sich ebenfalls als Idealbesetzung für ein leicht dummes, wenn auch nicht gänzlich naives Mädchen von nebenan. Sie jobbt als Kellnerin und hat ein aufgeschlossenes Wesen, ganz im Gegensatz zu den verbohrten Genies Sheldon und Leonard (Johnny Galecki), verurteilt deren Eigenheiten aber nicht. Vielmehr wundert sich Penny regelmäßig über die Freizeitgestaltung der Gruppe oder die Kleinstdiskussionen über Superhelden, an denen sie keinerlei Interesse hat.
Wie für Chuck Lorre üblich begegnet uns diese Grundsituation von Beginn an mit geschliffenen Dialogen und originellen Charakteren, die keineswegs eine plumpe Verkörperung aller Nerd-Klischees darstellen. Natürlich wird mit den Eigenheiten der so genannten amerikanischen Nerdkultur munter gespielt, doch verurteilendes Schubladendenken findet sich auch nicht in den Witzen über die besten Freunde der beiden Hauptfiguren: Sowohl Simon Helberg als Jude Wolowitz und Kunal Nayyar als Inder Koothrappali spielen genüsslich mit ihrem eigenen kulturellen Hintergrund und verleihen damit den Randgruppenwitzen eine gewisse Tiefe. Außerdem bleibt stets klar, dass sich die vier Freunde intellektuell sehr weit oberhalb von Penny befinden – nur bleibt diese übermäßige Intelligenz keine Garantie für ein glücklicheres Leben. Penny ist zufrieden mit ihrer einfachen Existenz, unvermeidliche Anspielungen auf eine mögliche Liebesgeschichte mit Sheldon zeigen zusätzlich ihre Annäherung an die befremdliche Welt in der Wohnung gegenüber. Dagegen ist Leonard in seiner asexuellen Arroganz sehr nahe an der Persiflage seiner eigenen Figur, das versierte Spiel von Parsons bringt aber alles ins Gleichgewicht.
In punkto Wortwitz und schauspielerischem Elan kann „The Big Bang Theory“ also mithalten bei aktuellen Hochkarätern, doch während sich die meisten zeitgenössischen, 20minütigen Comedy-Serien immer weiter filmisch entwickeln, bleibt Chuck Lorre beim Konzept der klassischen Sitcom. Statt also den Vorbildern „Scrubs“, „Malcolm in the Middle“ oder auch „Aliens in America“ zu folgen verzichtet die Serie auf eine streng fortlaufende Geschichte und zeigt uns in der Pilotfolge eine kleine Veränderung (Penny zieht ein), um in den nächsten immer wieder beim gleichen Stand zu beginnen und aufzuhören. So kann jeder Zuschauer problemlos neu in die Serie einsteigen, auch ohne den Ursprung der Geschichte zu kennen. Weiterhin beschränken sich die Schauplätze auf die typischen Kulissen, die beinahe immer in der gleichen Perspektive gefilmt sind. Ein räumlicher Realismuseffekt bleibt also aus und die theaterhafte Schauspielführung mit sichtbarem Platz für Eigeninterpretationen rückt ganz und gar den Dialog in den Vordergrund. Für komplexere Storylines interessiert sich die Serie nicht einen Moment, doch auch andere Sitcoms entwickelten erst in späteren Staffeln eine einheitliche Geschichte.
„The Big Bang Theory“ umfasst im Moment acht Episoden, deren Ausstrahlung auf positive Resonanz stieß, sodass Chuck Lorre die erste Staffel zurzeit auf komplette 22 Episoden erweitert. Die ersten acht Folgen zeigen ein sprühend komisches Portrait zweier viel zu intelligenten Menschen. Leonard und Sheldon sind derartig in ihrer eigenen Interessenwelt versunken das sie für alltägliche Probleme wie Liebeskummer einfach keinerlei Verständnis aufbringen können. In dieser Hinsicht erzählt die Sitcom auf intelligente Art von der Unfähigkeit das Leben zu leben und erweist sich somit als gänzlich urbaner Stoff. Wenn die restlichen Episoden das Niveau halten können ist Chuck Lorre ein weiteres Sitcom-Highlight geglückt.
08 /10