Review

"Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt."
(Pippi Langstrumpf)

Frei nach dem Pippilotta-Prinzip zeigt Peter Joseph in seiner Dokumentation "Zeitgeist", wie die Welt von heute aus seiner Sicht funktioniert. In zwei Stunden und drei Teilen werden zunächst die christliche Jesusgeschichte als einfache Astrologiefabel entlarvt, anschließend die Anschläge vom 11.9.2001 den Amerikanern selbst in die Schuhe geschoben und letztendlich bekommt die USA dann noch einmal ihr Fett weg, denn das Federal-Reserve-Bankensystem der Vereinigten Staaten kontrolliert angeblich schon bald die Menschheit und entscheidet bereits jetzt über Krieg und Frieden. Zeit also, sich zu erheben: "Die Revolution ist jetzt" lautet der letzte Schriftzug.

Die Revolution muss aber wohl ohne mich stattfinden, denn überzeugen konnte mich Peter Joseph von vorne bis hinten nicht, wenn auch die Ansätze und manche Ideen lobenswert sind. So bahnbrechend neue Thesen werden allerdings gar nicht aufgestellt, denn dass z.B. die Jesusgeschichte größtenteils nicht stimmen kann, sollte sich der halbwegs denkende Mensch zusammenreimen können, wenn auch ein paar Fundamentalisten made in USA das vielleicht nicht wahrhaben wollen. Ebenso wenig überraschend die Erkenntnis, dass der Leitspruch "Money makes the world go round" mittlerweile vor allem für die Kriegsstrategie der Vereinigten Staaten gilt, die sich ihre Ziele wohlüberlegt mit Blick auf die Zukunft aussuchen. Dass die Anschläge auf das World Trade Center mit ein wenig mehr Voraussicht vielleicht verhindert werden können, steht ebenso außer Frage wie die uneingeschränkte Macht des Klerus über die Menschen im Mittelalter.

Womit zumindest ich ein Problem habe, ist die Art und Weise, wie Peter Joseph uns seine Theorien erklären will. Den Anspruch auf vollkommene Richtigkeit seiner Thesen scheint er im Voraus für sich gepachtet zu haben und schießt dementsprechend pausenlos mit irgendwo aufgeschnappten Halbwahrheiten um sich, die so unaufhörlich auf den Zuschauer darniederprasseln, dass der sie fast glauben muss, weil er ganz einfach kaum Zeit zum Hinterfragen hat. Wenn man sich mit den Themengebieten vorher kaum befasst hat, könnte man das tatsächlich alles für uneingeschränkt wahr halten. Schon im ersten Part wird einem auf eine "von-oben-herab"-Art eingetrichtert wird, was man vom Christenrum zu halten hat. Um Seriösität ist man nicht bemüht, vielmehr macht man den Glauben an die Bibel auf eine Art herunter, welche die Grenzen der Arroganz weit übersteigt. Anstatt vielleicht mal Gründe darzulegen, weshalb Menschen an eine höhere Macht glauben und dieses Phänomen näher zu erläutern, suggeriert "Zeitgeist" lediglich, wie naiv und dämlich alle Nicht-Atheisten sind, denn die Wahrheit kennen natürlich nur die Macher dieses Films. Ich würde mich trotz Taufe und Konfirmation nicht unbedingt als religiösen Menschen in dem Sinne sehen, der so glaubt, wie es die Bibel und die Kirche vorschreiben, aber ich würde Leute, die dies tun, jedenfalls nicht mit jener arroganter Wichtigtuerei auf einen anderen Weg bringen wollen, wie Peter Joseph das tut. Vor allem reichen dazu keine halbe Stunde und lediglich Verweise auf Astrologie und ein paar antike Schriftsteller aus.

Thema abgehakt, weiter geht's mit der 9/11-Verschwörung: Eigentlich fast schon ein alter Hut, wo doch mittlerweile alle Argumente von Verschwörungstheoretikern widerlegt wurden, aber "Zeitgeist" wärmt die alten Kamellen noch einmal auf. Amerika hat's selbst getan, soweit die Theorie. Dass den USA die Anschläge in die Karten spielten, um eigene Interessen im Nahen Osten durchzusetzen, ist ja durchaus nachzuvollziehen und dürfte von kaum jemanden bestritten werden. Aber wie dann wieder Verbindungen von Bush zu bin Laden aufgestellt werden, ist fast eine Beleidigung für den mitdenkenden Zuschauer. Bush soll mit bin Ladens Bruder am Morgen der Anschläge gefrühstückt haben (sic!) und überhaupt ganz dicke mit in die Anschläge involivert gewesen sein. Der argumentative Bodensatz ist aber erst erreicht, als ein Foto eines Flugzeugsabsturzes aus Nigeria als Beweismittel dafür hergenommen wird, dass es Flug UA 93 gar nicht gegeben haben soll.
Dieser zweite Teil spielt wieder einmal mit der Sehnsucht des Zuschauers, für Ereignisse, die man eigentlich nicht begreifen kann, eine logische Erklärung zu finden. Siehe Kennedy-Mord. Siehe Mondlandung. Und wie immer ist es leichter, einfach Behauptungen für auf den ersten Blick nicht ganz logische Abläufe in den Raum zu werfen, als mühsam nach Gegenargumenten zu suchen. Peter Joseph macht sich dieses Phänomen prima zunutze; so wie die Menschen im Altertum Gottheiten und Religionen erfanden, um nicht rational erklärbare Dinge zu verstehen, bastelt sich Joseph eine ordentliche Verschwörungstheorie zusammen, die man ohne Aufsuchen von Gegenbeweisen sofort glauben kann.

Der dritte und letzte Teil schließt immerhin mit einem Thema, das wirklich Brisanz und enorme Wichtigkeit besitzt, nämlich die zunehmende Speicherung von Daten und Überwachung der Menschen. Wie schlecht es mitterlweile mit dem Datenschutz bestellt ist und wie wenig es manche Leute schert, kann man ja täglich den Nachrichten entnehmen. Leider muss "Zeitgeist" auch hier wieder eine groß angelegte Verschörungstheorie um Freimaurer, mächtige Bankiers und ein paar einflussreiche Regierungsköpfe herzaubern. Dann gibt es noch den obligatorischen Bush-Hitler-Vergleich, der mit ein paar Zahlen und Fakten untermauert wird. Die Beweislage ist allerdings dünn wie die Bildzeitung und die Behauptung ebenso populistischer Schwachsinn wie jenes Blatt. Wenn man bei dieser Art von Argumentation bleiben will, kann man auch die These heranziehen, dass "Zeitgeist" Angst vor einer Weltregierung von wenigen mächtigen Bankiers jüdischen Ursprungs (z.B. den Rothschilds) schürt und somit antisemitische Tendenzen aufweist. Aber muss man Peter Joseph deshalb gleich mit Hitler vergleichen? Der Regisseur selbst würde es als Außenstehender wohl tun.

Joseph selbst macht es sich bei seiner Argumentation leider viel zu leicht. Michael Moore ist dagegen noch ein seriöser Filmemacher,obwohl natürlich auch streitbar. Aber der bleibt in seinen Dokus zumindest zwei Stunden konsequent bei einem Thema, polemisiert ungemein, ohne den Zuschauer zu verärgern, und findet häufig die genau richtige Mischung zwischen Ernsthaftigkeit und beissendem Humor. Und: Man darf sich bei ihm wie ein denkender Zuschauer fühlen, nicht wie ein Gehirnwäschekandidat.
Die Wichtigkeit, die "Zeitgeist" in vielen Reviews zugesprochen wird, stützt sich in Wahrheit auf einige angerissene Probleme, wie den christlichen Fundamentalismus oder die Vorratsdatenspeicherung. Das Gesamtbild dieser Dokumentation wird allerdings durch unglaubwürdige Quellen und willkürlich in den Raum geworfene Halbwahrheiten bestimmt. Wichtiger, als "Zeitgeist" zu sehen, wäre es, ab und zu mal die "Tagesschau" oder das "Heute-Journal" zu gucken, oder weniger "Bild" zu lesen. Und diejenigen aufzuklären, die in ihrer Welt zwischen "Youtube", "Myspace" und "World of Warcraft" in den Weiten des Internets zufällig auf diese Paranoia-Dokumentation gestoßen sind und alles glauben, was ihnen vor den Kopf geworfen wird.

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