„Wir brauchen mehr Sex!“
1975, zu Beginn seiner Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Sexfilm-Pionier Erwin C. Dietrich, lieh der spanische Viel-, Billig- und Erotik-Filmer Jess Franco („Down Town – Die nackten Puppen der Unterwelt“) ihm seine Muse und Partnerin, die Exhibitionistin Lina Romay („Entfesselte Begierde“), für eine weitere Regiearbeit Dietrichs aus. Das Ergebnis ist der bzw. das sich am Scheidepunkt zwischen Softsex und Hardcore bewegende „Rolls-Royce Baby“.
„Ich bin Lisa Romay, Fotomodell und Darstellerin in vielen erotischen Filmen... Ich bin das Rolls-Royce-Baby - und dies ist meine Story..."
Erotiksternchen Lisa Romay (wer hätte es gedacht: Lina Romay) scheint ihre traumatisierende Erfahrung, beim Fahren per Anhalter nach dem Sex mit zwei Lkw-Fahrern nackt und mittellos auf der Straße zurückgelassen worden zu sein, dadurch zu verarbeiten zu versuchen, dass sie sich von ihrem Chauffeur (Eric Falk, „Mad Foxes – Feuer auf Räder“) im Rolls-Royce durch die Landschaft kutschieren lässt und sich mit allem vergnügt, was sie gerade an der Straße aufliest…
So in etwa könnte man die „Handlung“ zumindest interpretieren, denn wirklich ausgesprochen oder problematisiert wird das nicht. Zu Beginn wetzt Romay ihr Rasiermesser für die (damals noch ungewöhnliche) Intimrasur, die sie lustvoll in Großaufnahme durchführt. Aus dem Off spricht sie ihr Publikum direkt an, stellt sich auf dem Sofa liegend und masturbierend als Lisa Romay vor und gibt an, nun ihre Geschichte zu Protokoll geben zu wollen. Diese zeigt sie zunächst bei Nacktfotoaufnahmen in einem Studio. Während sie sich vor einer Strandkulisse räkelt, kommt der – kurioserweise ebenfalls nackte – Fotograf (Kurt Meinicke, „Auch Fummeln will gelernt sein“) hinzu und lässt Sand über ihre Muschi rieseln, was die Kamera in Großaufnahme einfängt. Gelegentlich kommentiert Romay weiter aus dem Off.
„Mit deinem Talent machst du noch ganz große Karriere!“
Die nächste Szene schneidet Bilder der in einer Badewanne liegenden Lisa gegen einen unfreiwillig komisch erst nackt, dann mit Hose, dann wieder nackt Kampfsportübungen durchführenden Eric Falk, mit dem Lisa frühstückt, ihm nackte Yoga-Übungen vorführt und sich schließlich von ihm lecken lässt. Ihm erzählt sie sodann auch von ihren schlimmen Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit, die in einer Rückblende visualisiert werden. Das geschieht grundsätzlich mittels Softsexszenen, Gefummel und Fellatio jedoch sind real.
„Jetzt machen wir erst mal ‘n bisschen Nahverkehr!“
Sie stellt Eric als Chauffeur ein, und nach einem Fotoshooting auf einem Motorrad und einer erneuten Masturbationsszene auf dem Sofa geht’s mit dem Rolls-Royce auf die Landstraßen, wo sie es mit diversen Anhaltern treibt. Und wenn sie gerade keinen findet, masturbiert sie eben im Rolls-Royce, wobei die Kamera diesmal ausnahmsweise ihr Gesicht in Nahaufnahme einfängt. Mit dem nächsten Anhalter geht sie nackt spazieren und vögelt mit ihm in der Natur, was durch den Zoom auf ihren Oberkörper fast wie eine Point-of-View-Szene anmutet. Nach einem Intermezzo in der Badewanne geht’s mit dem nächsten Tramper weiter, bis sie sich zur Abwechslung auch mal eine Anhalterin gönnt. Diese Szene jedoch wird abrupt abgebrochen; im Anschluss werden beide Damen in Lisas Anwesen gezeigt, ein gleichgeschlechtlicher Akt entwickelt sich zum Dreier mit Eric.
Eine echte Handlung gibt es also tatsächlich nicht, lediglich eine Aneinanderreihung von (überwiegend) Softsex-Szenen, wenn auch mit ausgeprägtem Kamerainteresse für Romays Geschlechtsorgane. Nicht nur aufgrund ihrer Intimrasur macht (und hat) die Romay hier eine ausgesprochen gute Figur und scheint mit ebenso viel Leidenschaft wie Zeigefreudigkeit bei der Sache zu sein. Was „Rolls-Royce Baby“ dennoch von rein zur Triebabfuhr produzierten Filmen unterscheidet, ist der Look des Films mit seinen sonnigen, luftigen Bildern, seinem edlen Interieur und chromblitzenden Gefährt in Kombination mit seiner Entschleunigung, die Dietrichs Arbeit zumindest ansatzweise zu so etwas wie einer sinnlichen Erfahrung statt einem Schnellwichsrödelvideo machen. „Rolls-Royce Baby“ verfolgt einen ästhetischen Anspruch, als dessen alleinige Herrscherin Romay inszeniert wird, die aus ihren Bekanntschaften Spiel- und Werkzeuge macht. Sie hat die Macht über ihren Körper zurückerlangt, nutzt die Macht ihres Körpers über alle anderen und macht sich ihre Welt, wie sie ihr gefällt, während Walter Baumgartner seinen Easy-Listening-Soundtrack dazu spielt. Das ist Sex. Zumindest im Kino und vor der Flimmerkiste.