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„Es war doch nicht deine Schuld!“

„Fright Night“- und „Chucky – Die Mörderpuppe“-Regisseur Tom Holland verfilmte im Jahre 1990, also zwei Jahre nach Erschaffung der puppenförmigen Genre-Ikone, mit dem harten Psycho-Thriller „Stranger – Rückkehr aus der Vergangenheit“ ein Drehbuch John Pielmeiers fürs US-amerikanische Fernsehen. Ein Jahr später wurde der Film hierzulande als Videokassette veröffentlicht:

Die junge Mutter Mare Blackburn (Kate Jackson, „Agentin mit Herz“) wird in einem unachtsamen Moment beim Einkaufen im Supermarkt das Opfer einer Kindesentführerin: Eine unbekannte Frau stiehlt ihr ihren dreijährigen Sohn Luke (Ross Swanson). Nach 16 Jahren steht plötzlich ein junger Mann (Ricky Schroder, „Out on the Edge“) in ihrer Haustür und behauptet, ihr Sohn zu sein. Er sei bei alten Leuten auf einer Ranch in Emerald City, Idaho, aufgewachsen, die jetzt beide verstorben seien. Dort habe man ihn Mark getauft und er habe eine glückliche Kindheit verlebt. Mares Freund Dan (Chris Sarandon, „Hexensabbat“), mit dem sie zusammenlebt, steht Mark alias Luke sehr skeptisch gegenüber und zweifelt den Wahrheitsgehalt an, während Mare relativ schnell zu glauben bereit ist, sie habe ihren verschollenen Sohn zurück…

„Du begreifst doch erst, wie beschissen es dir geht, wenn du dich erinnerst, wie gut es dir mal ging!“

Es ist ein Trugschluss, dass TV-Genre-Produktionen grundsätzlich von minderer Qualität sein müssen, wie Tom Hollands perfider Thriller durchaus eindrucksvoll beweist. Dieser beginnt mit einer getragenen Klaviermelodie mit Frauengesang, was die melancholische Gefühlswelt Mares auszudrücken scheint, die Opfer eines der schlimmsten Verbrechen wurde, die man einer liebenden Mutter antun kann. Der Prolog zeigt die Entführung, ohne dass man als Zuschauer mehr Informationen bekommen würde als die alleinerziehende Mare, die bereits ihren Mann in Vietnam verloren hat. Nach dem Zeitsprung von 16 Jahren und dem Auftauchen Marks – er besteht darauf, so und nicht etwa Luke genannt zu werden – beginnt dann die eigentliche Handlung, Mark bleibt für ein paar Tage bei der im zweiten Monat schwangeren Mare und ihrem Lebensgefährten Dan.

„Mach mir ’ne heiße Schokolade!“

So freundlich und adrett Mark auf den ersten Blick auch wirkt, schon nach kurzer Zeit zeigen sich Verhaltensauffälligkeiten: Er scheint Gefahren zu suchen. Unabhängig davon ist Mare sehr glücklich, doch als Zuschauer fürchtet man, dass die Idylle bald wieder zerplatzt wie eine Seifenblase, bangt mit Mare und hat Verständnis für Dans Skepsis. Letzterer instrumentalisiert die Polizei und findet heraus, dass es gar kein Emerald City in Idaho gibt… In einer Verkettung höchst unglücklicher Situationen retten sich Marc und Dan jedoch gegenseitig das Leben, was das Eis zwischen beiden zunächst bricht. Marc gibt zu, seine glückliche Kindheit nur erfunden zu haben. Eigenartigerweise interessiert sich niemand für die Wahrheit, was ein deutlicher Hinweis auf die Verdrängungsprozesse ist, denen insbesondere Mare unterliegt. Ohne dass der Film sich in hobbypsychologischen Erklärungsversuchen ergehen würde, zeigt er die subtilen negativen Folgen von Marks Einflussnahme: So entwickelt Mare den Wunsch, abzutreiben, da sie sich zu alt fühle und will auch Dan nicht heiraten. Dan verliert an Einfluss auf und Kontakt zu Mare, den Mark wiederum gewinnt. Im Gegensatz zu üblichen TV-Dramen o.ä. spielt Holland seine Kniffe als Genre-Regisseur aus treibt die zwischenzeitlich leisere Entwicklung brutal auf die Spitze, indem er die Gewalt eskalieren lässt und unbedarften Zuschauern damit gut vor den Kopf stoßen dürfte Nach einem Streit mit Dan beim Eisfischen bringt Mark seinen Stiefvater wider Willen um, was in virtuos gefilmten, deftigen Szenen des Tods unter der Eisdecke kulminiert. Und damit es wie ein Unfall aussieht, fährt Marc statt zur Polizei das Auto einen Straßengraben hinunter.

„Du und dein kleiner Bastard!“

Damit beginnt der Psycho-Terror erst so richtig, und zwar nach allen Regeln der Kunst (Achtung, Spoiler!): Marc kappt die Stromleitung und beginnt, Mare Schuld einzureden. Er verwickelt sich in Widersprüche, erzählt von einer unglücklichen Kindheit – und dass er seine Scheineltern umgebracht habe. Endlich kommt die Polizei ins Spiel, die Mark abzuwimmeln versucht. Doch der Polizist forscht nach und findet Dans Leiche – bevor er von Mark niedergeschlagen wird. Dieser macht Mare nun massivste Vorwürfe, sie sei eine Rabenmutter. Mark führt einen regelrechten Stepptanz auf den zarten Banden Mares Muttergefühle auf, demütigt und manipuliert sie. Sie verbarrikadiert sich, doch er findet und schubst sie, geht nun also auch körperlich gegen sie vor. Nachdem sie seine Zeitungsartikelsammlung, die Marc wie jeder etwas auf sich haltende Film-Psychopath besitzt, und seine morbiden Zeichnungen entdeckt hat, fesselt er sie. Doch schließlich gelingt es ihr, ihn zu überwältigen. Es kommt zum Showdown im Keller, wo Mark Leichen vergraben will. Als Mare dort kurzzeitig ohnmächtig liegt, träumt sie von glücklichen Babytagen mit ihrem Luke. Dumm allerdings von Mark, sie die Polizeipistole kriegen zu lassen, als sie wieder erwacht...

„Wer bist du?“ – „Ich weiß es nicht...“

Die spannende Frage, ob Mark nun wirklich Mares Sohn ist, wird tatsächlich abschließend geklärt, jedoch nicht, was in seinem Leben wirklich los war, was Lügen sind und was nicht. Fast scheint es, als sei er ein derart derangierter Psychopath, dass er es selbst nicht weiß. Damit entmystifiziert man den Antagonisten nicht gänzlich, was zur erschreckenden Wirkung des Films positiv beiträgt. Auch wird offen gelassen, was wirklich mit Luke geschehen ist, was die Bitterkeit Mares Schicksals unterstreicht und dem Zuschauer eine vollständige Erlösung vorenthält. „Stranger – Rückkehr aus der Vergangenheit“ ist ein böser kleiner Psycho-Thriller, der sich gleich mehrfach an der heiligen Institution der Mutter vergreift, aber auch eine Abhandlung über Muttergefühle und was sie auszulösen imstande sind, wie sie ausgenutzt und fehlgeleitet werden können – und was passieren kann, was man ganz fest an etwas glauben will. Diese desillusionierende Negativität macht Hollands Film aller Zugeständnisse an Genre-Konventionen und der einen oder anderen Ungereimtheit zum Trotz zu einem ganz schönen Brocken von TV-Film, der erst einmal verdaut werden will und schwangeren Frauen vermutlich tatsächlich nicht empfohlen werden kann. Mit seiner einschmeichelnden, doch zurückhaltenden melancholischen Musikuntermalung und Ricky Schroder als erwachsenem Arschlochkind der Sorte neunmalkluger, egozentrischer, verdächtig aalglatter Streber weiß der Film ebenso zu verstören wie mit einer wesentlich jünger als Anfang 40 aussehenden, sehr attraktiven „Agentin mit Herz“ Kate Jackson zu begeistern. Unterm Strich bleiben rund eineinhalb Stunden Suspense, Thrill und Psycho-Terror der unnachgiebigen Sorte, eine von Holland überwiegend souverän und stellenweise kongenial, aber fast immer genregerecht gnadenlos dick aufgetragene inszenierte Spirale des Wahnsinns auf der Klaviatur von Urängsten. Meines Erachtens durchaus ein kleiner Geheimtipp, fast eine Art invertierter „Stepfather III – Vatertag“ (der zwei Jahre später entstanden, aber ungleich populärer ist).

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