Auf Grund der Tatsache, dass die beiden Teile der "47 Samurai" inzwischen fälschlicherweise als ein gemeinsamer Film angesehen werden, möchte ich etwas detaillierter auf Mizogushis Inszenierung eingehen.
Teil 1 endete damit, dass Oishi (Chojuro Kawarazaki) von seiner Frau verlassen wurde, nachdem dem ehemaligen Anführer der Samurai nach dem Tod seines Herrn, Fürst Asano, sein Leben entglitten schien und er nur noch für Trinkgelage im Kreise von Prostituierten bekannt war. Die erste Szene in Teil 2, in der ein früherer Samurai des Fürsten Asano alleine ein Attentat auf Fürst Kira versucht, baut zwar auf diesen Informationen auf, kann aber ohne diese Vorkenntnis verstanden werden.
Mizogushi inszenierte die gesamte Geschichte in mehreren Szenen, die mit wenigen Schnitten auskommen und jeweils einen bestimmten Aspekt betreffen, der inhaltlich vollständig behandelt wird. Diese Abgeschlossenheit verdeutlicht Mizogushi, indem er diese Szenen mit einer kurzen Ausblendung optisch voneinander trennt. Jede dieser Szenen kann für sich betrachtet werden und sie wirken wie Kurzfilme, die sich einer großen Sache unterordnen. Die Filmteile sind die jeweilige Klammer, die in Teil 1 die Szenen mit dem auslösenden Ereignis und dem folgenden Niedergang umfasst und in Teil 2 die Gegenreaktion und ihre Folgen zeigt. Die Trennung der beiden Filme genau an der oben beschriebenen Stelle, ist thematisch kein Zufall und ließe sich auch nicht sinnvoll an eine andere Stelle versetzen. Der Wille, diese Geschichte in zwei Teilen zu zeigen, die einen völlig unterschiedlichen Charakter haben, ist inszenatorisch von Bedeutung und sollte - trotz des thematisch aufeinander aufbauenden Inhalts - in Zukunft respektiert werden.
Schon die erste Szene des zweiten Teils, die etwa 20 Minuten andauert, genügt, um wieder völlig fasziniert in das Geschehen hineingezogen zu werden. Die Kamera erfasst einen prächtigen Palast, wirft einen Blick auf eine Bühne, auf der Musiker auftreten, zeigt das große Auditorium und führt uns ohne Schnitt in einen hinteren Winkel der großzügigen Anlage, wo der Hausherr, Fürst Tsunatoyo, etwas abseits vom Geschehen sitzt. Diese Kamerafahrt, die man sich am liebsten mehrfach hintereinander ansehen möchte, gibt auch dem eher unwissenden Betrachter einen genauesten Einblick in die innere Ordnung eines solchen Festes.
Doch Fürst Tsunatoyo wird gestört, da sich ein Besucher angekündigt hat. Eine junge Hofdame stellt ihn als ihren Bruder vor, aber Tsunatoyo erkennt in dem Samurai Sukeyemon einen ehmaligen Vasall des Fürsten Asano. Auch hier ist wieder gut zu erkennen, dass Sukeyemon als Rangniederer die Etikette einhält, aber mit direkten Worten Tsunatoyo angeht und ihn fragt, warum er sich nicht für Fürst Asano eingesetzt hätte. Deshalb fordert er von ihm, Fürst Kira ,der zu dem Fest geladen ist, angreifen und töten zu dürfen. Obwohl Tsunatoyo selbst Kira für eine Ratte hält, verweigert er dem Samurai den Wunsch, da diese Art Rache unehrenhaft wäre.
Doch Sukeyemon lässt sich nicht beirren und greift Tsunatoyo auf dessen Weg auf die Bühne an. Da er diesen für einen "Bücherwurm" hielt, schien der Weg so frei zu werden für sein Attentat auf Kira, aber Tsunatoyo pariert den Angriff. Während er ihn fest hält, erklärt er Sukeyemon nochmals, dass nur eine große Tat die Rache ehrenhaft werden lässt und das Oishis scheinbar unverständliches Verhalten dieser Sache dient. Sukeyemon begreift endlich und Tsunatoyo geht weiter zu seinem Auftritt, wo er seine Tanzschritte vor den Augen des Fürsten Kira vorführt...
Mizogushi behandelt in dieser Sequenz die gesamten inneren Abläufe, die von dem Stillhalten und Warten auf Rache zur dann folgenden Tat führen, obwohl hier nicht einmal die wesentlichsten Protagonisten auftreten (sieht man einmal von Kiras stummem Erscheinen im Publikum ab). Sämtliche Regeln, notwendigen Voraussetzungen und auch das vorherige Verhalten Oishis werden darin erklärt und zu einem schlüssigen Ganzen geführt, so dass dem Betrachter klar wird, dass die Tat kurz bevor stehen muss.
Ebenso konsequent und in ihrer meisterlichen Geschlossenheit großartig ist dann auch die folgende Szene, in der Oishi der Witwe des Fürsten Asano seine Aufwartung macht. Obwohl Oishi ,dank seines schlechten Rufes ,zuerst nicht vorgelassen werden soll, kommt Yosemin sofort freudig zu ihm, auch wenn sie einen gewissen Abstand wahrt. Alle in ihrem Haus hoffen, dass Oishi und seine Samurai endlich Kira töten, aber Oishi wirkt merkwürdig passiv, obwohl doch allgemein bekannt ist, dass Kira kurz davor ist, Edo zu verlassen ,um zu seinem Sohn, einem mächtigen Fürsten, zu flüchten, wo er nicht mehr angegriffen werden kann.
Oishi kann sie nicht beruhigen und so scheidet man aufgebracht. Bevor Oishi das Haus wieder verlässt, kann er der Hausdame noch eine Rolle mit einem Gedicht übergeben und sie bitten, diese Yasemin vorzulegen. Diese zögert, aber in der folgenden schlaflosen Nacht, in der die Aufregung immer noch nicht gewichen ist, geht sie zur Schlafkammer ihrer Herrin und legt ihr das verpackte Schriftstück vor. Sie öffnet es und liest es vor - es handelt sich um die genaue Beschreibung, wie die Samurai Kira töteten und seinen Kopf als Beute mitnahmen.
Fazit : Trotz seiner - allerdings faszinierenden - Schwarz-Weiß-Bilder und der historischen Handlung ist "Die 47 Samurai" in seiner Inszenierung äußerst modern und kann den Betrachter in eine genaueste Studie menschlichen Verhaltens einbeziehen.
Konsequent verzichtet Mizogushi auf jegliche offensichtlichen Handlungen und konzentriert sich auf die inneren Abläufe und psychischen Verhaltensweisen seiner Protagonisten. Selbst in den nach dem erfolgreichen Attentat folgenden Sequenzen, die die Samurai in ihrer Vorbereitung auf den selbstgewählten Tod zeigen, gleitet der Film nie in eine blinde Heroisierung ab, sondern wirkt wie über die gesamte Laufzeit ,trotz aller Regeln und Etikette ,menschlich nachvollziehbar.
So werden die beiden Teile von "Die 47 Samurai" zu einem beeindruckenden und gerade auf Grund seiner Länge tiefgreifenden Erlebnis, das ich jedem Filmliebhaber ans Herz legen möchte (10/10)