Substance over form ist ein Prinzip der Rechnungslegung das besagt, Realsachverhalte nach ihrem (wirtschaftlichen) Gehalt und nicht nach ihrer (rechtlichen) Form zu bilanzieren. Das italienische Genrekino der 70er und 80er folgte demgegenüber – vornehmlich im Bereich des Horror - häufig eher der Maxime "form over substance". Filme in denen die Handlung unwichtig oder egal war, die eingefangenen Bilder dafür umso stärker. Man denke nur an Werke wie "Ein schwarzer Tag für den Widder" oder eben gerade auch „Inferno“ und „Suspiria“. Zwei Filme, die Argento zu Weltruhm gelangen ließen, die seinen Ruf als Visualisten begründeten und auch noch heute nichts von ihrer Wirkung eingebüßt haben.
La Terza Madre kommt nun als Abschluss dieser "Triologie" daher. Obgleich Argento in seinen jüngeren Werken seine Fans zu enttäuschen vermochte, werden in diesem Werk sogar nicht vorhandene Erwartungen enttäuscht. Ich spare mir hier mal Ausführungen zur Story oder zu seiner Tochter, die zwar schön aber zugleich auch ziemlich talentfrei ist. Wieso muss Argento sie in seinen Filmen eigentlich immer als weinendes nervliches Wrack darstellen? Auch Daria Nicolodi wirkt völlig fehlplatziert, mehr noch: sie nervt geradezu fabulös. Immer dann, wenn Asia (Tochter) nicht "aus dem Quark" kommt erscheint ihr Geist und gibt „wertvolle“ Hinweise.
Nun gut, die Story ist langweilig und aussagelos, was aber zu erwarten war. Visuell genügt der Film den Standards einer TV-Produktion, aber auch dies hat der Argento-Seher bereits vorher antizipiert. Was also ärgert besonders an diesem Werk? Es sind ganz klar die Selbstzitate und die Verballhornung vorangegangener Werke. Sowohl Suspiria als auch Inferno lebten von der unheimlichen Atmosphäre, dem gesichtslosen Killer, den zwar übernatürlichen aber fast greifbaren Ereignissen und den Protagonisten, die unaufhörlich auf die Lösung eines Geheimnisses zusteuerten. All dies fehlt natürlich in La Terza Madre, darüber hinaus werden die anderen beiden Filme jedoch völlig falsch eingearbeitet. War in Inferno noch Mater Tenebrarum die grausamste der drei Mütter ist es nun auf einmal Mater Lacrymarum. War das Buch "The Three Mothers" in Inferno ein altes, kleines gebundenes Buch in Latein taucht in Terza Madre auf einmal ein DinA4 Schinken mit modernster Computerschrift in englischer Sprache auf. Warum? Die Mütter waren immer bemüht dieses Buch verschwinden zu lassen, aber nun eine Druckversion? Es wurde nicht einmal versucht diese auf alt zu trimmen.
Schließlich: Was soll diese blöde Erklärung, dass Mater Suspiriorum nur deshalb so alt und krank war, weil eine weiße Hexe sie bekämpft hat? Ich erinnere mich zu gerne an Fandiskussionen, ob Susy Banion selbst eine Hexe ist, da sie es schaffte Mater Suspiriorum zu töten. Nun ging es aber doch nur, weil Daria Nicolodi vorher eingriff. Noch schlimmer: Niemals hätte ich gedacht, das Mater Tenebrarum am Ende von Inferno verstorben ist. Wieso auch? Selbst Darios Bruder Claudio spricht in einer Dokumentation davon, dass ihre Geste die eines Sieges ist. Sie sagt ja auch "Jetzt wird es alles niederbrennen, so wie es schon einmal war". Ein Höllenfeuer das für Vernichtung und zugleich Erneuerung steht. Ihr Schrei klingt nicht wie der einer sterbenden, sondern vielmehr verärgert, da ihr Mark entkommen ist. In Terza Madre wird sie hingegen einfach als tot dargestellt. Aber nicht nur das, zum Schluss bemüht Argento noch einmal seine berühmte "Leichenwasserszene" aus Phenomena, grade so, als wenn er selber seine Werke ins lächerliche ziehen möchte.
Zusammengefasst: La Terza Madre ist mehr als nur eine Enttäuschung, der Film ist für Argento Fans ein einziges Ärgernis. Argento schafft es Eindrücke seiner guten Filme nachhaltig zu schädigen. Wann geht er endlich in Rente?