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"La terza madre" ist Dario Argentos Versuch, seine Beschäftigung mit den Drei Müttern, die auf die Phantasien des Schriftstellers Thomas de Quincey aus dem 19. Jahrhundert - "Suspiria de profundis" (Seufzer aus der Tiefe) - zurückgehen, zu Ende zu führen. Diese Drei Mütter stellen ein rein negatives, Leid und Schrecken verbreitendes Pendant zu den drei Grazien oder den drei Moiren (bzw. Parzen oder Nornen) dar - daneben existieren in der griechisch-römischen Mythologie bereits ganz ähnlich die drei Furien. Während letztere jedoch dazu bestimmt sind, Missetäter in ihrem restlichen Leben zu verfolgen und sie schmerzhaft an ihre Taten zu erinnern, richtet sich das Handeln der drei Matres - Mater Suspiriorum, Mater Tenebrarum und Mater Lacrimarum - auch gegen Unschuldige, wie in den meisterhaft komponierten Filmen "Suspiria" und "Inferno" gezeigt wurde. Während in "Suspiria" die Mater Suspiriorum ("Mutter der Seufzer"), identifiziert als griechische Tänzerin und Hexe Elena Markos, die Insassinnen einer Tanzschule (des einst für sie erbauten Hauses) heimsuchte und in "Inferno" die Bewohner ihres Hauses in New York von der Mater Tenebrarum ("Mutter der Finsternis" - auf die auch noch der Titel von Argentos späterem Werk "Tenebre" zu verweisen scheint) verfolgt wurden, stand ein Film, der sich ausführlich der Mater Lacrimarum ("Mutter der Tränen") widmete, bislang noch aus.

Dass jetzt, 28 Jahre nach "Inferno", dieser Film tatsächlich noch gedreht wurde, hatten bestimmt nicht mehr viele erwartet. Die Ankündigung des Projekts sorgte beileibe nicht nur für Freude unter den zahlreichen Anhängern des Regisseurs, sondern auch für große Skepsis. Filme wie "Il fantasma dell' opera", "Il cartaio" und "Ti piace Hitchcock?" waren mit überraschender Härte von den Fans der Großwerke Argentos aus den 70er und 80er Jahren als katastrophale Reinfälle geradezu gegeißelt worden - was wenige als stilistische Neuorientierung deuteten, wurde vom Gros der Begeisterten als fataler Abstieg gewertet.

Seit "Suspiria" und "Inferno", soviel sollte von Anfang an klar gewesen sein, hat sich zu vieles im Bereich der Filmtechnik sowie an den Bedingungen, unter denen Horrorfilme (im weitesten Sinne) produziert werden, verändert, um an das Erscheinungsbild dieser Filme anknüpfen zu können. Argentos augenscheinlich von Mario Bava inspirierter, hochexpressiver Umgang mit Farben erforderte Techniken der Colorierung, die bereits damals der Vergangenheit angehörten und die Herstellung von "Suspiria" besonders aufwendig machten. Sein Bruder Claudio und sein Vater Salvatore hatten ihm die Verwirklichung dieser Vision vertrauensvoll ermöglicht - Ergebnis war ein Film, der in scheinbar altersloser Frische und unbeirrter künstlerischer Souveränität heute wie damals beeindruckt. Heute sieht das anders aus, die Luft ist für Argento dünn geworden. So wurde das Budget für "La terza madre" radikal zusammengestrichen - soweit man hört, um ca. 80 Prozent... -, was für eine katastrophale Schieflage zwischen Konzept und Umsetzung gesorgt hat. La terza madre sollte den Schrecken aus "Suspiria" und "Inferno" eruptiv hervortreten lassen, ihn in Orgien und apokalyptischen Exzessen an die Oberfläche tragen - dass diese Szenen in der letztlich verwirklichten Form nur wenig beeindrucken, dürfte zum Großteil der erschwerten Entstehung des Films zuzurechnen sein. Ich bitte daher darum, die folgenden Ausführungen unter diesem Vorzeichen zu lesen.

Der Film beginnt mit typischen Elementen amerikanischen Monsterhorrors. Claudio Simonettis Titelmusik besteht aus Versatzstücken aus "Das Omen" und ähnlichen Okkulthorrorfilmen. Die Einblendung von apokalyptischen Motiven des vielbemühten Hieronymus Bosch und anderer Künstler wirkt auch recht abgegriffen. Ein uralter Sarg wird unter unheilverkündenden Vorzeichen ausgegraben, eine Laborszene stellt die Protagonistin - Sarah Mandy, gespielt von Asia Argento - vor und bringt mit drastischem Blut- und Gedärmezoll ein erstes Todesopfer. Kalte, distanziert wirkende Digitalkamera-Optik, teils misslungene Beleuchtung und fast durchgehend stark akzentlastiges Englisch der italienischen Akteure sorgen im Zusammenhang mit Sergio Stivalettis hyperbrutalem Splatter für den semiprofessionellen Eindruck eines mittelmäßigen Olaf-Ittenbach-Films. Dank der billigen, teils fast provisorisch wirkenden Filmarbeit kommt Atmosphäre nur schwer auf, zuviel Distanz bleibt zwischen dem Zuschauer und dem unter erschwerten Produktionsbedingungen mühsam festgehaltenen, halbfertigen Geschehen des Films. Zumindest die originale englische Tonspur ist zwar ein Desaster, das aber durch eine professionellere italienische oder auch deutsche Sprachfassung zu umgehen sein dürfte. Dort könnten auch Fehler wie die Übersetzung von "Mater Tenebrarum" mit "Mother of Pain" ausgebügelt worden sein.

Im folgenden scheint sich "La terza madre" jedoch einigermaßen zu fangen. Die unausgegorensten Momente liegen tatsächlich am Anfang des Films, es geht etwas routinierter, jedoch pausenlos hektisch, konfus und von seltsamen Einfällen strotzend weiter. Der Film gönnt sich auffällig wenig Ruhe. Statt dass die unterschwellige Bedrohung der vermeintlichen Vorgänger wiederhergestellt würde, ist das chaotische Grauen jetzt überall in der Ewigen Stadt unterwegs. Junge Hexen, die geradewegs von einer Gothic-Modenschau zu kommen scheinen, treiben inflationär in Rom ihr Unwesen, und die anfangs nur teilweise zu sehende Mater Lacrimarum manipuliert aus einem Katakombenlabyrinth heraus Menschen zu abscheulichen Mordaktionen. Währenddessen entdeckt Sarah ihre eigenen magischen Fähigkeiten und begibt sich auf die Suche nach Erklärungen und der Quelle des omnipräsenten Unheils. Wir erfahren, dass ihre Mutter bereits gegen die Mater Suspiriorum gekämpft hat, dann aber deren Macht erlegen und ums Leben gekommen ist. Daria Nicolodi, Asia Argentos Mutter, die bereits in "Inferno" mitspielte und auch in die Besetzung von "Suspiria" ursprünglich einbezogen sein sollte, übernimmt hier die Rolle der Mutter - in Form von wenig überzeugenden CGI-Erscheinungen. Auch mit Udo Kier, der mit viel Übertreibung und katastrophalem Englisch ("Se moser schpreads evil" usw.) den altersschwachen Pater Johannes spielt, wird dem ersten Film der "Trilogie" gehuldigt. Irgendwann wird auch das Buch "The three mothers" des Architekten Varelli, das in "Inferno" eine größere Rolle spielte, aus einer Schublade gezogen, aber zu einer Vollendung oder zu einem Abschluss des Mythos der "drei Mütter" führen diese reichlich aufgesetzten Bezüge in keiner Weise.

Dafür wird zu sehr mit den Konzepten und den Stärken der Vorgängerfilme gebrochen. Statt der kammerspielartigen Alptraumszenen, in denen die Märchenheldinnen von "Suspiria" und "Inferno" die Hexenhäuser erforschten und deren dunkle Eingeweide wie die verborgenen Abgründe ihrer eigenen Psyche ergründeten, wird hier versucht, die Alpträume an die Oberfläche zu holen, sie in alle Häuser und Straßen zu bringen. Aber das hätte viel aufwendiger umgesetzt werden müssen, um irgendwie zu überzeugen - abgesehen davon, dass es obendrein sehr fraglich ist, ob dieser Schritt tatsächlich eine sinnvolle Konsequenz ist oder ob er nicht vielmehr die anderen Filme in einer allzu profanen und oberflächlichen Weise kommentiert. Während das Handeln der Hauptfiguren von "Suspiria" und "Inferno" durch eine schwer durchdringliche, eigenwillige Logik der traumartigen Selbsterkundung, des schlafwandlerischen Vorstoßens in das Unbekannte hinter dem Schein der Dinge bestimmt ist, wird in "La terza madre" eine typisch amerikanische Handlungsmotivation "Wir müssen die Stadt retten" geschaffen.

Was auf der Habenseite verbleibt, ist nicht viel. Sergio Stivaletti hat hier wirklich gute Arbeit geleistet, und auch wenn es primitiv wirkt, Splattereffekte positiv hervorzuheben, scheint es mir angesichts der wirklich ansprechenden Handarbeit angemessen. Die Kooperation Claudio Simonettis mit Dani Filth, der für die Abspannmusik sein unverkennbares Krächzen beisteuert, ist sehr überzeugend geraten und lässt den Ausklang eines wenig befriedigenden Films nicht ganz trostlos wirken.

Die Rückbesinnung Argentos auf zwei seiner prächtigsten Filme und der Versuch, einen Abschluss seiner Auseinandersetzung mit den "Drei Müttern" zu finden, kommt augenscheinlich viele Jahre zu spät. "La terza madre" hat durch seine nahezu programmatische Unfertigkeit die Größe von "Suspiria" und "Inferno" schmerzhaft in Erinnerung gerufen. Die Bedingungen für die Schaffung künstlerisch ausgereiften Horrors mit über die Genregrenzen hinausweisenden individuellen inhaltlichen Akzenten sind nicht komfortabler geworden. Es scheint mir unangemessen, nun geradezu Nachrufe auf Argento zu verfassen, ihn totzusagen. Nur: Wenn dieser Film eines für die Zukunft gezeigt hat, dann, dass er die Finger von US-(Co)-Produktionen lassen sollte. Leider ist er mit "Giallo" gerade im Begriff, es wieder zu tun. Ich für meinen Teil möchte jedoch die Hoffnung nicht aufgeben - auch nicht die Hoffnung, dass "La terza madre" mit der Zeit noch ein wenig wachsen könnte.

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