Review

Im November 1918 stank es den deutschen Matrosen gewaltig und sie machten Revolution. Was in den ersten Tagen des Novembers in Kiel geschah war tatsächlich ein Umsturz, der das Ende des Krieges und den Sturz des Kaisers zur Folge hatte, genauso wie die Einführung des Parlamentarismus und der Demokratie. Das ist kurzgefasstes Wissen, welches so im Geschichtsunterricht gelehrt wird, und der ein oder andere hat das vielleicht sogar schon mal außerhalb der Schule gehört.

Weniger bekannt ist, dass etwas mehr als ein Jahr früher, im August 1917, bereits erste Meutereien bei den deutschen Matrosen ausbrachen. Der Krieg war 1917 bereits verloren, das Hurra-Geschrei der Offiziere und der konservativen Politiker war noch fast genauso groß wie 1914, und die Stimmung unter den Soldaten und im Volk war katastrophal. Gerade die Matrosen, die mitnichten auf großer Fahrt unterwegs waren, die bösen Feinde in glorreichen Schlachten zu schlagen, sondern die auf Reede lagen und unter schlechter Behandlung und miesem Essen litten, gerade die Matrosen hatten die Möglichkeit, sich die russischen Matrosen als Vorbild zu nehmen. Meutern, den Offizieren endlich mal zeigen dass man Mensch ist, dass man nicht dazu da ist vor den feinen Herren zu kriechen, sondern dass es eine Menschenwürde gibt, jawohl! Und endlich diesen verdammten Krieg beenden.

"Nicht mit Schiffen wird dieser Krieg geführt, Herr Kapitän, sondern mit Menschen." "Ja ja, das sind Ihre neumodischen Ansichten."

Die Matrosen reden miteinander, sie tauschen ihre Meinungen aus, und nach und nach reden sie sich immer mehr in Rage. Ein paar von ihnen fahren nach Berlin und reden mit Abgeordneten. Nicht nur mit den Linken der SPD und der USPD, sondern auch mit denen Bürgerlichen der Zentrumspartei und der Fortschrittlichen Volkspartei. Doch dieses Verhalten wird ihnen bereits als Aufstand ausgelegt, und als das Wort Streik die Runde macht, als sie sich treffen um Maßnahmen zu beraten und das Treffen von der Kriminalpolizei zerschlagen wird, als ein Aufruf zum Stilllegen der Flotte zu existieren scheint, da bleibt der Flotte als Institution nichts anderes übrig als erbarmungslos durchzugreifen. 11 Matrosen werden festgenommen, fünf von ihnen zum Tode verurteilt und zwei im September 1917 hingerichtet: Albin Köbis und Max Reichpietsch.

MARINEMEUTEREI 1917, entstanden in einer Zeit des Umbruchs, in der man den Ungehorsam genauso wie die Menschenwürde neu entdeckte, zeigt als sogenanntes Dokumentarspiel die Ereignisse, die zum Tod von Köbis und Reichpietsch geführt haben. Dass sie eigentlich nur besseres Essen wollten. Dass sie menschlich behandelt werden wollten. Dass es ihnen mit dem Krieg allmählich reichte. Und dass jedes Aufbegehren gegen diese Dinge, ja auch jede Art Kritik, ihnen als Anstiftung zur Revolution ausgelegt wird. Das Kaiserreich und sein Militär waren allzeit bedingungslos bereit, alles und jeden zu vernichten der nicht für das Reich war. Allein die Diskussionen der Offiziere darüber, dass ja nur ein Sieg in Frage käme, und jedes Zugeständnis an einen anderen Frieden ein Unding wäre, schmerzt fast körperlich.

Man kann ja schließlich keinen Krieg führen, wenn dauernd vom Frieden die Rede ist.

Den Matrosen wird es verboten Zeitungen zu lesen, und wenn ihre Beschwerden ausnahmsweise einmal angenommen werden, so wird der Beschwerdeführer anschließend sofort genauestens kontrolliert und beim kleinsten Anlass sofort in Ketten gelegt. Jede Veränderung, politischer oder sozialer Art, wird als Affront gegen den Kaiser und das Vaterland angesehen und kategorisch abgelehnt, und selbst bei den Offizieren gibt es noch himmelweite Unterschiede: Die Deckoffiziere sind Techniker, ohne die das Schiff nicht fährt. Aber die Seeoffiziere weigern sich sogar, diese Deckoffiziere, also Ingenieure mit akademischer Bildung, als gleichberechtigt anzusehen. Gutes Essen gibt es nur für die Seeoffiziere, und wenn der Lärm der Ventilatoren im Offizierskasino zu laut ist, dann werden die Ventilatoren auf dem Schiff eben abgestellt – Und im Mannschaftsquartier beginnt es sofort zu stinken …

Wenn man MARINEMEUTEREI 197 allerdings ohne das Vorwissen um die damaligen Vorgänge ansieht, wird man schnell abgehängt. Die Dialoge sind scharf und schnell, vielleicht manchmal zu scharf und schnell, denn die Zusammenhänge zwischen einzelnen Szenen, ja sogar der zeitliche Abstand zwischen manchen Szenen, sind ohne Vorwissen nur schwer verständlich. Die Ausprägungen der damaligen deutschen Innenpolitik werden dem Zuschauer vor die Füße geworfen und der kann schauen wo er bleibt. Was so ganz nebenbei ein positives Schlaglicht auf die schulische Bildung des Jahres 1969 wirft, wo solche Dinge offensichtlich noch Allgemeinwissen waren. Dazu kommt die sehr niedrig budgetierte Machart mit hohem Bildungsanspruch, immerhin reden wir hier von einem Fernsehspiel mit wenigen Außenaufnahmen und ohne wirkliche Dynamik, und dann kann sich in Summe schnell eine gewisse Langeweile einstellen.

Denn die Dynamik des Films (richtiger: Des Schauspiels) und seine innere Spannung entstehen ausschließlich über die Dialoge, das Dialogdrehbuch ist bewunderungswürdig geschrieben, und die Charakterisierungen der einzelnen Personen sind erstklassig herausgearbeitet. Manchmal vielleicht ein wenig zu plakativ, aber umgekehrt stehen einzelne Personen, wie es im Film nicht unüblich ist, für bestimmte Personengruppen. Der Oberleutnant z.S. Schuls, der mit seinen modernen und fortschrittlichen Ideen gegen Wände läuft. Der Kapitän z.S. Roden, der genau diese Wand ist, und alles, was nicht ein Seeoffizier ist, voller dünkelhaftem Abscheu betrachtet. Der Untersuchungsrichter Dr. Dobring, der genau weiß wie er die Leute zu verhören hat um die Aussagen zu bekommen die er braucht, der ausgesprochen selektiv ins Protokoll schreiben lässt, und seine Delinquenten kaum einmal aussprechen lässt, weil ihm der erste Satzteil, der vor dem aber, zur Überführung bereits ausreicht.
Ausgesprochen lebendige Figuren sind es, was die recht trockene Inszenierung dann wieder mehr als wett macht. Denn spannend ist der Film tatsächlich, vor allem gegen Ende hin, wenn der Untersuchungsrichter den Freisler macht und am liebsten alles erschießen lassen würde was bei drei nicht unter Deck ist. Auch ist sehr gut herausgearbeitet, wie sich so ein Vorgang emporschaukelt. Von der berechtigten Beschwerde über das Essen, bis zur versuchten Revolution ist es nur ein kurzer Weg, so scheint es, und dieser kurze Weg ist gespickt mit missgünstigen Kameraden, falschen Entscheidungen und viel zu wenig Mut. Oder zu viel …

Von daher ist MARINEMEUTEREI 1917 sehr wohl oder auch gerade heute sehenswert. Wenn es darum geht, das Verhalten des Rechtsstaates in der Gegenwart und in einer Krisensituation richtig beurteilen zu können. Und um zu erkennen, wie einfach es ist, vom Beschwerdeführer zum Terroristen zu mutieren und gebrandmarkt zu werden. Aber Vorwissen über die Zeit und die Vorgänge ist wie gesagt notwendig …



Zum Nachlesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Albin_K%C3%B6bis

https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Reichpietsch

Details
Ähnliche Filme