Ein visionärer Meilenstein.
"Das Millionenspiel" ist eine fiktive Fernsehshow aus den 70ern, in der ein Kandidat 1 Millionen Mark gewinnen kann, wenn er eine Woche vor seinen Verfolgern fliehen kann und am Ende die Sendung erreicht. Die Jäger hingegen haben das Ziel, ihn vorher umzubringen. Gegen Ende dramatisiert sich das Geschehen, außenstehende Bürger versuchen, einem der beiden Gegenspieler zu helfen... Ein scheinbar einfaches Konzept, das bis heute schon mehrmals ausgeschlachtet wurde, aber in einem deutschen TV-Film wie diesem, damals am Anfang der 70er, bahnbrechend war. Dieter Thomas Heck moderiert die "Sendung" (besser kann man es nicht treffen!), Dieter Hallervorden ist einer der Jäger.
Dass die bekannten Fernseh-Persönlichkeiten hier mitgespielt haben, und eine eher Zuschauerorientierte Perspektive gewählt wurde, führte wohl dazu, dass während der Erstausstrahlung des Films Zuschauer bei der ARD anriefen, protestierten, oder sich gar als Kandidat melden wollten! Eine beachtliche Meisterleistung des Regisseurs Tom Toelle, der provokant mit den Mechanismen der Fernsehunterhaltung spielt. Strukturen hinsichtlich Unterhaltungskonzept, Werbungseinsatz, Präsentation, Zuschauerverhalten, zu denen sich das Fernsehen von heute hinentwickelt, kristallisieren sich beachtlicherweise schon in diesem Film heraus: Ständig, in den spannenden Stellen, gibt es Unterbrechungen für die Werbung eines "Überkonzerns" namens STABILELITE. Ständig versucht das Team der Sendung, die Jagd so spannend wie möglich, und so gut wie möglich von den Kameras eingefangen, zu inszenieren - da muss auch mal dem Kandidaten geholfen werden, oder den Jägern ein Hinweis zugeschustert werden, um auf einen guten Showdown hinzuarbeiten. Und ständig quatscht der Moderator hohle Phrasen oder kommen Interviews von Reportern vor Ort, um die wartende Menge bei Laune zu halten, bis zu einem gnadenlos bitteren, fast zynischen Ende.
Hinter die Kulissen der Sendung wird nur wenig geschaut, um die perfekte Illusion aufrechtzuerhalten. Erst später werden andeutungsweise die Männer an den Fäden dargestellt. Eine moralische Rechtfertigung wird auch nie genannt, im Gegenteil: Zuschauer dürfen vor einem Mikrophon ihre Meinung äußern, die mitunter auch eher abwertend und missbilligend ausfallen. Doch der wichtige Punkt ist, dass diese Befragten es dann trotzdem schauen. Viele unter ihnen nehmen die Sache aber weniger ernst - "Es ist eben Fernsehen." Sie würden ja niemals mitmachen wollen.
Hierbei kommt auch ein anderer sehr aktueller Aspekt des Showbiz zum Vorschein. Bernhard, der Kandidat, wird zunächst wegen guter Testergebnisse in kleinere Sendungen gespannt, steigt zum Siegertypen auf, gewinnt viele Preise, wird aufgebaut und darf dann beim "Millionenspiel" teilnehmen. Welch Ehre für ihn und seine Mutter, gerade weil er es doch früher nie zu etwas gebracht hatte. So kommt es, dass er sein Leben aufs Spiel setzt, obwohl das alles "freiwillig" ist, und er jederzeit aufgeben könnte. Doch die Macher haben ihn bereits in der Tasche, ganz Deutschland schaut ihm über die Schulter, er kann nicht mehr zurück, das ist klar.
Hochgezogen und aufgebaut durch die Medienmenschen begann für ihn die große Karriere, aber schnell wird er zum machtlosen Spielball der Profitgier, alles freiwillig, versteht sich. Man sollte den Film also als eine gelungene Metapher sehen, die die sich damals ansatzweise abzeichnenden Entwicklungen der Unterhaltungsbranche intelligent zuspitzt, hinterfragt und auch davor warnt. Auch wenn solche "Todesshows" eine nicht mehr ganz so greifbare Gefahr darstellen, so findet man viele der angesprochenen Auswüchse in den immer tabuloseren, voyeurartig gestalteten Talk-/Reality-/Richter-...Shows, in den "Heile-Glitzerwelt"-propagierenden öffentlichen Starmaschinerien, und eben auch bei dem Zuschauerverhalten an sich. Ganz großer Respekt also, vor diesem visionären Meilenstein, noch vor z.B. King's Buch "Menschenjagd" oder dem Film "Running Man" und dabei realitätsbezogener, greifbarer, provokanter und intelligenter! 10/10.