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Schon die ersten Bilder charakterisieren Hauptfigur Lars als schüchternen Einzelgänger: Verträumt schaut er aus dem Fenster, das Glas als sichere Trennlinie zwischen sich und der restlichen Welt. Als sich eine Frau nähert versteckt sich Lars und öffnet nur zögerlich die Tür. Die Frau stellt sich als die Frau seines Bruders heraus, die sich immer wieder bemüht, Lars aus der Reserve zu locken. Sein Bruder Gus hat sich mit der Zurückgezogenheit gewöhnt doch seine Frau Karin, ist der Ansicht, Lars müsse geholfen werden. Immerhin wohnt er aus eigener Entscheidung in einem winzigen Beihaus, hat keinerlei soziale Kontakte oder Beziehungen zu Frauen. Sein Verhalten findet einen Höhepunkt als er sich im Internet eine Real Doll bestellt und diese als seine Freundin vorstellt. Lars gibt dem Sexspielzeug eine eigene Identität, eine Biographie und eine Krankheitsgeschichte, behandelt sie wie einen real existierenden und fühlenden Menschen.

Aus dieser höchst originellen und charmanten Grundidee erwächst eine geduldig inszenierte Tragikomödie, die von Regiedebütant Craig Gillespie hervorragend in Szene gesetzt wurde. Nachdem er seit mehr als fünfzehn Jahren erfolgreich in der Werbebranche arbeitete, widmete sich Gillespie 2007 gleich zwei Spielfilmen, „Mr. Woodcock“ mit Billy Bob Thornton, und eben dem vorliegenden „Lars and The Real Girl“. Kein Kassenschlager wie „Juno“ aber doch ein Überraschungshit, der jetzt schon von einem internationalen Publikum ins Herz geschlossen wurde. Zu verdanken ist dies neben der sicheren Inszenierung vor allem der warmherzigen Charakterzeichnung und den durchweg guten Darstellern, die den kleinen Film mit großem Schauspiel veredeln.

Das Drehbuch von Nancy Oliver, die bereits einige Episoden der hoch gelobten TV-Serie „Six Feet Under“ schrieb, vermeidet es dabei konsequent sich auf Offensichtlichkeiten zu verlassen, macht sich niemals über seine Hauptfigur lustig. Lars ist ein innerlich gequälter Mensch, dessen nie überwundener Verlustschmerz über den Tod seiner Eltern alle zwischenmenschlichen Beziehungen im Keim erstickt. Seine soziale Entfremdung ist soweit fortgeschritten, dass ihm jeder physische Kontakt mit anderen Menschen Qualen bereitet.

Was aber von Gus und Karin zunächst als Verschlimmerung dieser sozialen Abstinenz oder eventuell als letzter Hilfeschrei gedeutet wird, stellt sich schnell als zögerlicher Beginn einer Sozialisierung heraus. Mit seiner ‚Freundin’ Bianca nimmt Lars nun Einladungen zum Essen oder auf Partys an, er nimmt sie mit in die Kirche und stellt sie anderen Menschen vor. Für Lars beginnt eine langsame, sehr schmerzhafte Verarbeitung seines verdrängten Schmerzes, auch wenn seine Mitmenschen diesen Prozess zunächst nicht wahrnehmen. Die ganze Kleinstadt in der er zuhause ist hilft jedenfalls nach Kräften, um die Illusion aufrecht zu erhalten – alle in der Hoffnung, dass es Lars besser gehen möge. Niemand blickt verächtlich auf den Sonderling, auch wenn es manchen eher schwer fällt, sich mit der Situation zu arrangieren. Doch der von Gus befürchteten Lächerlichkeit setzt sich Lars überraschenderweise nicht aus.

Das Gleiche gilt für den klugen Humor des Films, der alle Witze unterhalb der Gürtellinie strikt vermeidet, ohne den sexuellen Aspekt prüde zu verschweigen. Doch Lars, an dem durchaus auch Frauen Interesse zeigen, geht es nicht um motorischen Sex sondern um Bindung, Vertrauen und eine keusche, unschuldige Form der Liebe. Dass er diese selbst zu ihrem konsequenten Ende führt, beweist seine aufkommende Annäherung an die Mitmenschen, die sich am Ende zaghaft entfaltet. Mit voran schreitender Handlung wird die konstruierte Illusion immer komplexer, ein großer Teil der Stadtbewohner wird Teil der Geschichte, die auch eine dramatische Fahrt im Rettungswagen und einen Krankenhausaufenthalt der Puppe beinhaltet. Dramaturgisch wird die Glaubwürdigkeit der Geschichte auf eine harte Probe gestellt, vor allem wenn man den hier betriebenen Aufwand berücksichtigt. Doch auf die realistische Darstellung eines Krankheitsbildes zielt „Lars and The Real Girl“ genauso wenig ab wie auf ein rationales Gesellschaftsbild innerhalb der kleinstädtischen Gemeinschaft, die hier ohne bösartige Spitzen portraitiert wird.

Gillespie erzählt die Geschichte als modernes Märchen mit stark ausgearbeiteter, aber nie aufdringlich präsentierter Symbolik. Lars erkennt schrittweise wie sehr er geliebt wird von Familie und Bekannten und er lernt durch Bianca, diese Liebe zuzulassen. Hauptdarsteller Ryan Gosling trägt auf seine Schultern den gesamten Film, da er in nahezu jeder Szene präsent ist und sich die gesamte Geschichte nur um sein scheinbar gebrochenes Seelenleben rankt. Gosling spielt die Rolle mit enormer Zurückhaltung, alleine schon die unbeholfene Steifheit seiner Bewegungen arbeitet aber eindrucksvoll die inneren Restriktionen der Figur heraus. Gerade aufgrund des sonst agilen Auftretens von Gosling („Young Hercules“) überrascht seine Wandlungsfähigkeit, mit der er sich endgültig die die erste Riege Hollywoods befördern dürfte.

Nicht nur die Namen der Protagonisten erwecken Assoziationen zum skandinavischen Kino, dem sich Regisseur Gillespie stilistisch klar verpflichtet fühlt. Langsame Schnittsetzung und verträumt harmonische Naturaufnahmen erzeugen in Kombination mit der ruhigen, sehr präzisen Kameraführung (die oft nah an die Schauspieler fährt) eher den Rhythmus eines nordeuropäischen Autorenfilms. Dieser Eindruck wird unterstrichen durch die skurrile Story, deren Umsetzung sämtliche Lächerlichkeiten umgeht, mit der man in Amerika sonst einem derartigen Thema begegnen darf. Der einfühlsame Score tut sein übriges, wobei er eher einen klanglichen Rahmen bietet als vordergründig die Emotionen des Zuschauers aufzuschaukeln. Die gesamte emotionale Glaubwürdigkeit erfolgt aus der ausdrucksstarken Ensembleleistung und der inneren Logik des Drehbuches, das keinen Wert auf spröden Realismus legt. Man mag dem Film vorwerfen, dass er zu sehr auf konstruierte Emotionen setzt, dann hat man den elementaren, humanistischen Gedanken wohl kaum erschließen können, den „Lars and The Real Girl“ unterschwellig und ohne Idealisierungen transportiert. Tatsächlich richtet sich der Independentfilm nicht an ein abgebrühtes Publikum, welches eine möglichst scharf zynische Auseinandersetzung mit dem Sujet fordert sondern an jene Menschen, die sich von einer schön erzählten Geschichte noch verzaubern lassen können.

Übrigens wurde die Real Doll Bianca im Zuge des immer stärker auftretenden Product Placements von der amerikanischen Firma Abyss Creations zur Verfügung gestellt. Interessant ist nicht nur die Tatsache, dass Abyss Creations erstmals Werbung in einem Spielfilm macht, vielmehr ist es der Boom, den das höchst erfolgreiche Unternehmen mitinitiiert. Real Dolls, lebensgroße Sexpuppen, deren Anatomie immer mehr an den echten weiblichen Körper angeglichen wird, steigen immer weiter in ihrer Beliebtheit. Mit unzähligen Funktionen wird die Illusion so echt wie möglich gemacht, jene Illusion, von der „Lars and The Real Girl“ erzählt. Real Dolls der Firma Abyss Creations kosten enorme Summen, wobei ein normales Modell preislich zwischen 5000 und 10000 Dollar anzusiedeln ist. Das diese Puppen also viel Geld kosten (der auch käuflichen Realsex ermöglicht) und eine lange Wartefrist aufgrund höchster Nachfrage vonnöten ist, zeigt eindeutig, wie tief die Entfremdung des Individuums schon in die Gesellschaft gedrungen ist. Das macht einen Film wie „Lars and The Real Girl“ umso nötiger, als einen Hinweis auf die Einsamkeit, die viele Menschen selbst umgeben von liebenden Menschen erfassen kann.

8,5 / 10

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