Review

Egal ob Tarantino als Drehbuchautor, Regisseur oder Produzent arbeitete -.seine Filme basierten von Beginn an auf dem reichen Schatz seiner Kino-Erfahrungen der 70er und 80er Jahre, die weder anspruchsvolles Arthouse-Kino noch billigsten Trash ausliessen. Und mit jedem Film wurde sein Fundus vergrößert, denn Tarantino zitiert nicht nur gerne und oft aus asiatischen Kung-Fu-Filmen, Exploitation-Reißern oder französischen Krimiklassikern, sondern auch aus seinen eigenen Filmen.

Es entstand der nahezu einmalige Fall in der Filmgeschichte, dass hier unter dem Decknamen "Tarantino-Style" ein Publikum regelrecht heran erzogen wurde, dass jedes Filmzitat goutiert und sich in seiner (Film)Kennerschaft dem Meister zumindest nahe empfindet. Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft (hier der Kenner, da der normale Kinobesucher) beschränkt sich keineswegs auf die wenigen originalen Tarantino-Filme, sondern wird durch Filme, denen die Nähe zu Tarantino nachgesagt wird, regelmäßig genährt. Das führt natürlich auch zu Enttäuschungen, denn die Erwartungshaltung wird durch dieses Siegel stark auf Gewalt, coole Sprüche, noch coolere Typen, verschachtelte Story mit überraschenden Wendungen und der schon erwähnten Zitatefreudigkeit eingeschränkt.

Und obwohl sich Tarantino durchaus bemühte mehr Tiefe und emotionalere Elemente in seine Stories miteinzufügen (Jackie Brown), wird er bis heute dieses Image nicht los. Vielleicht hat das dazu geführt, dass er mit "Death Proof" an seine Ursprünge zurückkehrte, zum "Grindhouse"-Kino mit seinen C-Filmen, die man nonstop in einer schmuddeligen Umgebung inmitten einer männlichen Besucherschar geniessen durfte, die hauptsächlich an Sex und Gewalt interessiert war.

Und vordergründig bringt "Death Proof" auch alles mit ,was man dazu braucht - eine große Menge attraktiver junger Frauen und einen manischen Gewalttäter, wie er in einem zweitklassigen Romanheftchen nicht besser erdacht worden wäre. Doch hier fängt schon die erste Überraschung an, denn Kurt Russel spielt den "Stuntman Mike" mit formidabler Souveränität. Zwar ist sein bedrohliches Äußeres mit Narbe und schwarzem Sportwagen typisch, aber nicht seine fast spielerische Art auf die Mädels einzugehen. Verklemmungen oder an Autismus grenzende Verschlossenheit sind ihm nicht anzumerken und die Art, wie er Arlene, genannt "Butterfly" (Vanessa Ferlito), dazu überredet, für ihn lasziv zu tanzen, ist in seinem rauen Charme unnachahmlich.

Auch die Charakterisierung der Frauenriege geht weit über eine Ansammlung von attraktiven Abziehbildern hinaus. Ein Umstand, der deshalb besonders erwähnenswert ist, da Tarantino scheinbar typisch zur Sache geht. So vergehen die ersten zehn Minuten damit, dass wir drei Frauen dabei beobachten, wie sie in ihrem Auto zu einer angesagten Location fahren. Die Gespräche drehen sich um Kerle und Sex und werden immer wieder von merkwürdigen Aufschreien unterbrochen, angesichts von Plakaten, die Werbung für das Radioprogramm für Jungle Julia (Sydney Poitier) machen, die es sich liegend auf der Rückbank bequem gemacht hat.

Hier persifliert sich Tarantino geschickt selbst, indem er drei Frauen das machen lässt, was er bisher meist die Kerle machen liess - möglichst cool über irgendwelche Alltäglichkeiten zu plaudern. Doch wer hier nur die ewig gleiche Leier vermutet, hört nicht genau hin, denn Tarantino gelingt unterschwellig eine wesentlich stärkere Differenzierung. Die Frauen sind nicht annähernd so cool wie sie auftreten - gut erkennbar an Julias unbefriedigendem SMS-Dialog mit ihrem Freund oder Butterfly's Unsicherheit, die Kurt Russel so schön hervorkitzeln kann. Obwohl die erste Hälfte des Films kaum eine Story hat, entwickelt sich durch die sehr lässigen und stimmigen Dialoge eine enge Verbindung zwischen den Frauen und dem Zuschauer. Sogar Kurt Russel kann mit seiner coolen Art Sympathien sammeln, bis er plötzlich genau das macht, was man von ihm schon zu Beginn erwartet hätte, aber fast vergessen hatte...

Die Szenen in der Mitte des Films stellen eine schockierende Zäsur dar, die den Charakter verändert. Äußerlich verfügen die beiden Teile über eine ähnliche Konstellation, aber sie haben unterschiedliche Vorzeichen.

Durch Tarantinos drastische Bilder geht der Zuschauer mit einer gänzlich anderen Erwartungshaltung in die zweite Hälfte des Films. Die fast spielerischen Szenen in der Kneipe (mit Tarantino als Wirt) zu Beginn, die noch Variationen im Zusammenspiel der Protagonisten zuliessen, weichen einer konsequenten Ausrichtung. Gut ist das daran zu erkennen, dass Kurt Russel in der zweiten Hälfte keinerlei Gelegenheit mehr bekommt, seinen Charme oder Coolness spielen zu lassen - für solche Mätzchen gibt es ab der Mitte des Films keinen Platz mehr.

Dabei bleibt Tarantiono seinem B-Picture Stil treu und erfreut das Auge noch zusätzlich mit rasanten Autoverfolgungsjagden, aber seine plakative Inszenierung hat eine zusätzliche Nuance bekommen, die bei allem gewohnten Spaß auch etwas von den Emotionen der Protagonistinnen spüren lässt. Nur dadurch rechtfertigt sich auch der feministische Aspekt, denn vordergründig agieren die Frauen hier - auch wenn sie sich wehren - genauso wie Mann sich das in seinen feuchten Fantasien wünscht : attraktiv und sexy selbst bei Gewaltausübungen. Dieser Aktionismus ist keineswegs feministisch - so wie er es auch in den 70ern nicht war - aber dadurch, dass es Tarantino gelingt, die weiblichen Rollen sympathisch und menschlich nachvollziehbar zu gestalten, entsteht hier der tatsächliche Eindruck von selbstbewussten Frauen.

Genauso wie die Story nur äußerlich eine Hommage an alte Grindhouse-Zeiten andeutet, ist auch die Optik bis ins Kleinste ausgetüftelt. Hier werden die Schwächen der damaligen Billigfilme imitiert, aber in einer Art angewendet, die den Gestaltungswillen verdeutlicht. So sind die scheinbar abrupten Schnitte zwar optisch in ihrer dilettantischen Ausführung gelungen, aber im Timing perfekt, wie etwa beim Ende von Butterfly's Tanzszene. Frappierend in seiner Wirkung ist auch die Schwarz-Weiß-Sequenz, die vordergründig die primitive Machart nachahmen soll. Doch der Beginn ist so genau gesetzt, dass verschiedene Gegenstände zuerst in Schwarz-Weiß im Film erscheinen. Wenn dann die Farbe wieder erscheint, wird man fast erschlagen von dieser gewaltigen Wucht.

Fazit : Tarantino's "Death Proof" ist vordergründig ein sich selbst und das Grindhouse-Genre zitierender Film mit einer einfach gestrickten linearen Story, die dazu noch sehr dialoglastig daher kommt.

Man erkennt deutlich die hinter dem B-Picture-Schein versteckte Weiterentwicklung, die eine stärkere Differenzierung und emotionalere Bindung zu den Protagonistinnen ermöglicht und damit auch wegkommt von der Egalhaltung, die den Tarantino-Kenner normalerweise beim Ableben von diversen Filmfiguren begleitet.

"Death Proof" macht es in dieser Gestaltung kaum Jemandem leicht, denn für seine Jünger bietet Tarantino nicht genügend der gewohnten Ingredenzien und verprellt diese dazu noch mit seinen intensiven Dialogen, für Tarantino-unerfahrene Seher ist es notwendig, sich auf die scheinbar dilettantische Optik und das typische plakative Szenario einzulassen. Aus meiner Sicht gelingt Tarantino hier ein komplexes Werk in einer eindimensionalen Hülle (9/10).

Details
Ähnliche Filme