Tarantino lockt vieles in die Kinosäle, manche Gestalten würde man gerne wegrationalisieren, zumal konträr zum massiven Ansturm auf seine Filme, wohl die wenigsten die Tiefe der Werke kapieren. Da war "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction“, die zwei Charakteristiken des Tarantinoschen Films sexy machten. Nonstop Nonsens wird in Alltagsdialogen so attraktiv, das man es selbst nicht glauben kann. Die Burger, das metrische System, Fußmassagen – Amen. Darüber hinaus wird Pulp Fiction mit Rohheit gewürzt. In Blut getränkter Zynismus war und ist einfach cool, wenn der Regie führende Fußfetischist seine Instruktionen gibt.
Der Kontext des Zitats wird dabei leicht vergessen. Die Oberfläche juckt und deshalb war "Jackie Brown“ und "Kill Bill II“ schon gar nicht mehr jedermanns Sache. Eine ruhigere Erzählweise, die zu Langeweile führte, schmälerte urplötzlich das Interesse an coolen Sounds, lakonischen Worten und Brutalität, die so auch gar nicht mehr vorkam. Die Liebe zu den Figuren, zur Filmgeschichte und das geballte historische Wissen, was zitiert in den Werken aufblitzte, war für den Normalo sowieso kein Aspekt, der beachtet wurde.
Demnach muss man vorweg warnen, Tarantinos Beitrag „Death Proof“ im Grindhouse-Double-Feature, läuft wieder einmal Gefahr für Enttäuschung zu sorgen. Wer nur wegen dem Hurra-Tarantino-Aspekten ins Kino stürmt, wird im gewissen Grad Ernüchterung in der mitunter zuvor mit Bier getränkten Magengegend verspüren.
"Death Proof“ ist in erster Linie eine Verbeugung vor den B-Movies der 70er Jahre. Die gesamte Genialität des Grindhouse-Projekts, das Tarantino zusammen mit Robert Rodriguez in Angriff genommen hat, bleibt zunächst ohnehin verwehrt. Die beiden Beiträge der Regisseure wurden aus kommerziellen Gründen gesplittet, so lässt sich die Geldkuh auch deutlich besser melken.
Wie dem auch sei, der Film funktioniert auch ohne den Kontext, wenn man denn weiß, was hier eigentlich vor sich geht. Der schmuddelige Charakter von Exploitations-Filmen mag noch alle erfreuen, die Worte sind schmutzig, die Brutalität ist mitunter roh. So überzeugt die Oberfläche zu einem gewissen Grad, sofern man die Eröffnungssequenz, wo vier junge Bonitas in einem alltäglichen, minutenlangen Gespräch schon einmal ordentlich auf die Kacke hauen und den Sex nicht nur einmal unverblümt verbal in den Raum knallen. Die Party nimmt seinen Lauf, der Alkohol fließt, anrüchige Lap-Dances folgen und alles wird schön genau und akribisch mit Zooms festgehalten. Man müsste schon fast tot sein, um hier nichts zu verspüren.
Das Problem dabei ist folgendes. Manches ist schön und gut, aber die dünne Story wird viel zu ausgewälzt, um massenkompatibel zu sein. Schlechtes Timing im dynamischen Sinn. Na so was überraschendes. Tarantino liebt das Detail. Die Figuren sind sein Werk, keine wird vernachlässigt und das führt mitunter weg von der oberflächlichen Begeisterung an knackigen Sprüchen. Das Wort ist nicht nur ein Wort, Tarantino formt aus einer an sich lockeren Umgangssprache Sätze, die in ihrer Ambivalenz schon kunstvoll wirken. Der Trash an der Sache ist die Story an sich, Pulp wird nur bedeutungsvoll, weil Tarantino die Zügel fest in der Hand hat, seine Darsteller mit spürbarer Begeisterung instruiert und im Allgemeinen zitiert, wie man es sich besser nicht vorstellen kann. Der Unsinn bekommt einen Sinn, auch wenn der Rahmen nach wie vor trashig bleibt. "Death Proof“ bleibt eine Hommage, aber in veredelter Form mit der Handschrift des Meisters. Motive wiederholen sich. Leckere Frauenfüße drängen sich ins Bild, weil der Regisseur mit einem Fetisch kokettiert. In einer Bar in Austin, Texas spielt sich zunächst alles ab, die Story schreitet eigentlich nicht effektiv voran, weil es wenig Substanzielles zu erzählen gibt.
Es geht um den vernarbten Stuntman Mike (Kurt Russell), der in seiner schicken, verstärkten Protz-Kare gerne einmal brutal wütet und andere Autos mit Frauen als Insassen gezielt abschießt, dass die Leichenteile nur so durch die Luft wirbeln und das unecht wirkende hellrote Kunstblut der 70er Jahre literweise spritzt. Das Vorspiel findet in der Bar statt, wenn die zuvor ausgesuchten Opfer genau beobachtet und mitunter eingelullt werden. Da wären wir bei "Jungle Julia" (Sydney Poitier), Arlene (Vanessa Ferlito) und dem Rest der bald sterbenden Lämmer. Zwischen dem grenzwertigen Plot tauchen immer wieder Fehler auf - unabsichtliche Jump Cuts, fehlende Abschnitte, Bildaussetzer, Farbwechsel und sonstige offensichtliche Schauwerte, die nicht für Professionalität stehen. Hat es Tarantino etwas verlernt? Es rattert sicherlich in manchen Hirnen, die sehnsüchtig nach "Pulp Fiction“ lechzen.
Dabei wären wir wieder bei einem Punkt, dem vielleicht sogar entscheidenden. Der Regisseur lässt Trash trashig sein, erzählt unspektakulär chronologisch, macht Fehler im grobkörnigen Mikrokosmos und instruiert seine Schauspieler heftig mit dem Armen zu wedeln, obwohl es gar keinen Anlass gibt. Das geschieht alles im Rahmen einer absurden Story, für die keine Preise geerntet werden können. Es ist dennoch alles so harmonisch, weil nichts deplatziert und gekünstelt wirkt. Worte werden im Gossenslang veredelt aneinander gereiht und die Makel drücken eigentlich nur die Liebe zu den zitierten Filmen im Grindhouse-Kontext aus. Trotzdem kratzt Tarantino die Kurve und betont die Kunst an den alten Trash-Schinken – er weckt Neugierde und lässt erahnen, welche Schätze man im Müll entdecken kann. Der Unterhaltungswert ist groß, wenn man sich darauf einlässt. Es bedarf keiner gigantischen Budgets, um ansprechende Filme zu drehen, wobei es natürlich auch einfacher ist mit modernen Mitteln schlecht wirken zu wollen. Eine geltende Qualitäts-Konvention wird dabei nebenbei ad absurdum geführt.
Die Vollendung der langen Einleitung, dem blutigen Sterben aus allen möglichen Kameraperspektiven aufgenommen, bedient wieder einmal eine ästhetische Rohheit, die ihresgleichen sucht. Das Ende vom Ende ist der Anfang für die große Umkehr, wenn in Tennessee vierzehn Monate später die Rollen getauscht werden und neue, vermeintliche Frauen-Opfer Stuntman Mike in einem weißen "1970 Dodge Challenger" mit feministischer Frauenpower ordentlich einheizen. Die Logik setzt bei den brillanten Verfolgungsjagden endgültig aus, aber das Gezeigte ist so elektrisch geladen, dass einem die Haare zu Berg stehen. Es wird gerammt, geschossen, geschlagen und zynisch kommentiert, dass der Feminismus in Regionen der männlichen Klischee-Stärke abdriftet. Kim (Tracie Thoms), die Stuntfrau am Steuer, bringt es auf den Punkt. Mike wird in den Arsch gefickt. Das will er nun gar nicht, aber das übliche Beuteschema wird ihm zum Verhängnis. Eine festgefahrene Vorstellung wird so demontiert, dass die hochstilisierte, trashige Art und Weise noch lange in Erinnerung bleibt. Tarantino bietet Härte, die zwar nicht exzessiv, aber umso prägnanter platziert ist. Rache wird kalt serviert, dementsprechend dürfen am Ende alle Frauen noch einmal ordentlich auf Mike, übertrieben comichaft, im Vorspulmodus einprügeln, womit das unecht wirkende Kunstblut der 70er Jahre noch einmal ein Revival feiert. Danach der Abspann, der noch einmal den herrlichen Soundtrack Revue passieren lässt und wie Klebstoff am Arsch wirkt.
Das ist "Death Proof“, ein veredeltes Zitat das mit der Handschrift seines Regisseurs köstlich schmeckt und Lust auf mehr (Sondermüll) macht. (9/10)