"Du siehst aus wie ein geliebtes Kind" -
Es ist ein nahezu unwiderlegbares Merkmal von Überflussgesellschaften, dass sie es zulassen, und gelegentlich sogar heraufbeschwören, dass man den Ausstieg aus ihnen heroisiert - der Rebell von heute geht dazu allerdings nicht mehr in den Untergrund, sondern in den Wald. Und tatsächlich: "Into The Wild" ist ein Kind seiner Zeit, und konvertiert mit 15jähriger Verspätung McCandless' Lebensgeschichte für die große Leinwand.
Wie ein Traumkonstrukt all jener, die am Wochenende, WallStreet-Journal gegen Wolfskin-Anorak tauschen, und dem Ruf der Freiheit ins deutsche Mittelgebirge folgen, zelebriert Sean Penn den rauhen Charme der Natur, und die Vorzüge des gesellschaftlichen Exodus': Wahre Erfüllung findet sein Hauptdarsteller nur im Eremiten-Dasein; sein sonstiger Weg ist gesäumt von manipulativ inszenierten Bürokraten und Shakehands mit anderen Aussteigern.
Auch wenn der Film sich durch diese zeitweise etwas aus der Affäre ziehen möchte: "Into The Wild" ist ein Hohelied auf den vermeintlich moralisch legitimierten Egosimus.
Es weht bisweilen ein Hauch von Hoppers "Easy Rider" durch "Into The Wild", und wie beim Standardwerk, verhagelt auch hier die fehlende Tiefe höhere Wertungsphären: So schön die Bilder an manchen Stellen für sich alleinstehend sind, so rührseelig der in seinen Klischees ertrinkende Score und die Off-Belanglosigkeiten vor sich hin tönen - ebenso wie sein zweifelhafter Held, befindet sich der Film und mit ihm sein Auditorium auf einer Odyssee ins Nirgendwo.
"Into The Wild" mäandert, und versteht seine Langatmtigkeit als breite Inszenierung; Penn bebildert eine Reise, zu der er sein Publikum zu keiner Zeit mitzunehmen vermag: Obwohl Emile Hirsch keine schlechte Performance abliefert, so versagt das Drehbuch von Beginn an dabei, irgendeine Art von Sympathie für ihn zuzulassen: Der McCandless aus dem Film (über die echte Figur sollte man an dieser Stelle nicht richten) ist der Prototyp eines unsympathischen Gutmenschen, der sich permanent in seinem moralischen Elitarismus suhlt und dessen tragisches Ende auf eigenem Verschulden, nicht auf einem möglicherweise bedauernswerten Fatalismus gründet.
Ein Vergleich, der auf den ersten Blick verschrecken mag, der sich aber aufgrund nicht unähnlicher Parameter trotzdem anbietet: Ellis' fiktive Bateman-Figur ist in ihrem Ausbruchbestreben aus dem vermeintlichen Käfig der Zivilisation stets nachvollziehbarer und zeitgleich empathiefähiger, als es Hirschs historisch verbriefter Charakter ist - angesichts der Tatsache, dass es sich bei Ersteren um einen soziopathischen Killer, bei zweiteren um einen Backpacker in den Mid-twenties handelt, darf man dies ruhig als narratives Totalversagen bezeichnen.
Aber auch fernab seines Plots ist Penns Unerfahrenheit auf dem Regiestuhl omnipräsent: Für ein Plädoyer für Ruhe, Ausgleich und Abgeschiedenheit ist "Into The Wild" erstaunlich zerfahren und undurchdacht inszeniert - visuelle Gimmicks wie SlowMotion, Splitscreens und shaky cam wollen so garnicht zum Anspruch der besinnlichen Meditation über sein Thema passen, welche der Film vorgibt zu sein.
Schlussendlich präsentiert sich "Into The Wild" als weitere Epigone vermeintlicher Aussteiger-Roadmovies, welche in schöner Beständigkeit immer mal wieder auf Zelluloid landen.
Mittelmaß, und gemessen an seinem Ruf und den eigenen Ansprüchen eine Enttäuschung, jedoch mit der Erkenntnis, dass man für verkitsche Romantisierungen und lasche Zivilisationsmüdigkeit kein Lagerfeuer und Gitarre mehr benötigt, sondern nur noch einen BluRay-Player und den passenden Flatscreen. Darauf eine Bionade...