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„LOOK“, der Name ist Programm und der Titel quasi eine Aufforderung an den Zuschauer zum Voyeur zu werden, denn es gibt viel zu sehen. Schätzungsweise 30 Million Überwachungskameras sind in den Vereinigten Staaten an jeder erdenklichen Stelle positioniert, und filmen im Laufe einer Woche gut 4 Millarden Stunden an Bildmaterial. Regisseur Adam Rifkin entführt uns in die Welt der Überwachungskameras und zeigt ausschließlich aus deren teilnahmslosen Perspektiven das Leben durchschnittlicher US-Bürger.

Schlüpfrige Teenager, gehänselte Büroangestellte, perverse Kundenbetreuer, soziopathische Kriminelle und untreue Ehemänner. Sie alle haben ihre Geheimnisse, und die ernüchternden Blicke durch die Linse einer Überwachungskamera decken diese auch auf.
Ein Sammelsurium zufälliger Aufnahmen x-beliebiger Bürger hätte aus cineastischer Sicht natürlich wenig Reiz, daher komprimiert Rifkin das Überwachungsfeld der Kameras auf bestimmte Orte, mit immer wieder kehrenden Figuren, die dann auch nach und nach an Profil gewinnen.
Begonnen wird dabei mit dem Klassiker unter den versteckten Kameras, nämlich jenen in Umkleidekabinen platziert. Zwei junge Mädchen spazieren herein, ziehen sich aus, tratschen über ihre Figur und Jungs. Die zügellosen Sexspielchen, und das anschließende verstauen eines Kleidungsstücks zeugt von deren Ahnungslosigkeit. Das Gefühl unbeobachtet zu sein ist ein Privileg, der von so ziemlich jedem Charakter in dem Film ausgenutzt wird.

Während die hübschen Mädels mit einem gestohlenen Kleidungsstück das Kaufhaus verlassen, findet im selbigen, irgendwo im Lagerbereich ein Quickie statt. Tony ist der Kaufhaus-Hengst, da er mit so ziemlich jeder jungen Angestellten im Hause eine Affäre hat, sie ganz dreist auch mal unbemerkt in Anwesenheit von Kunden begrabscht, und gerne auch im Lager bei laufendem Porno masturbiert, um anschließend wartenden Kunden freundlich beizubringen er hätte den gewünschten Artikel nicht gefunden.
Während bei Tony also die Welt noch vollkommen in Ordnung zu sein scheint, fühlt sich der nerdige Außenseiter Marty auf der Arbeit wenig willkommen und wird regelmäßig zum Objekt kindischer Streiche.
Fern eines geregelten Arbeitsleben sind ein kriminelles Brüderpaar, das einen Polizisten auf dem Gewissen hat, sich in Geldgier an den nächstbesten Passanten vergreifen und ihre Geiseln in den Kofferraum zwängen.
Im Vergleich dazu unbeschwert vergeht der Tag der beiden Freunde Willie und Ron an der Tankstelle, wo Leerlauf gerne mal zum Jammen am Keyboad und chaotischem Getanze genutzt wird...

Diese Ansammlung an Kurzgeschichten, die sich in einigen Fällen auch überlappen hat seine Wurzeln in Quentin Tarantinos Kultfilm „Pulp Fiction“ und erinnert dabei stark an dessen Zelebrierung aus der Simpsonsfolge „22 Kurzfilme über Springfield“.
Im Prinzip werden die Storylines isoliert voneinander erzählt, und doch kreuzen sich früher oder später die Wege einiger Brüger, wenn auch nur flüchtig und zufällig.
An anderen Stellen laufen die Handlungsstränge zusammen und erzeugen neue Umstände, die wiederum an einen weiteren Handlungsstrang anknüpfen.
Doch trotz der Aggregation einzelner Geschichten bleiben das Leben diverser Figuren, wie etwa das ungezügelte Sexleben von Tony völlig isoliert vom Rest der überwachten Gebiete. Tatsächlich setzt Adam Rifkin dem noch einen drauf und klärt bewusst einige Missstände nicht auf, und zieht damit die kleinen Welten und Einzelschicksale der Bürger endgültig ins Profane.

Um sich mit den offenen und absolut unbefriedigenden Ausgängen anfreunden zu können, muss man sich von sämtlichen cineastischen Ansprüchen an narrativer Dramaturgie lösen, und „Look“ abgesehen von den lediglich nur schauspielernden Figuren als das ansehen was er ist; eine ungeschönte Darstellung der Realität. In gewöhnlichen Dramen darf man ein Happy End erwarten, nicht jedoch im wahren Leben. Adam Rifkin zeigt schmerzhaft wie machtlos das amerikanische Sicherheitswesen trotz übermächtiger Überwachungsmaßnahmen ist.
Die Tatsache, dass nur bei einem geringen Bruchteil der Vergehen auf das Überwachungssystem zur Beweis- oder auch Hinweisführung zurück gegriffen wird, ist ein deutlich kritischer Appell an das Sicherheitswesen, welches die hauseigenen Überwachungsmonitore besser kontrollieren sollte.
Das weiße Auto, das Tag und Nacht am Parkplatz steht, sollte wirklich zu denken geben.

Abseits des gesellschaftskritischen Inhaltes ist das Film-Erlebnis vollkommen einzigartig.
Das seelenlose Hin- und Herschwenken oder Draufstarren der Kameras bewirkt ein Beobachten von Verbrechen oder Unzüchtigkeiten aus einer teilnahmslosen Perspektive, wie man es in solch dominanter Weise noch nie erlebt hat. Und doch verpufft das Gefühl von zufälliger Beobachtung hin und wieder, wenn die Kameras wie von einem Kameramann gesteuert plötzlich auf redende Personen einzoomen und gezielt umschwenken, als ginge es im Endeffekt doch primär darum das Leben der Leute so deutlich wie möglich zu verfolgen.
Hinzu kommt noch ein Rückspuleffekt, der zwei Konversationen zur selben Zeit nacheinander ausleuchten möchte, ähnlich wie in „Jackie Brown“ (nur eben ohne Spuleffekt), sowie der Thematik entsprechend ein sinnvoll und dramaturgisch passend eingebauter Score.

Das sind zwar unterhaltsame technische Mittel, die verwendet werden, wirken sich aber trotzdem inkonsequent auf die eigentliche Atmosphäre des Filmes aus.
Abgesehen vom cineastischen Feinschliff entsteht dennoch auf noch nie da gewesene Art und Weise ein nüchterner Voyeurismus und präsentiert den US-Bürger und dessen Leben von seiner natürlichen und leider auch hässlichen Seite. Die darstellerischen Leistungen sind dabei voll und ganz erhaben, und unterstreichen die Authentizität des Filmes.
Rundum gelungen ist das Filmexperiment trotz minimaler Schwächen, wird seinem eigenen Anspruch mehr als gerecht und schafft ein ungewöhnliches Filmerlebnis.

Einzig und allein die geringe Screentime von Synchronsprecherin Heather Hogan war für mich persönlich höchst enttäuschend...

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