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Wo Weingartner drauf steht, ist auch Weingartner drin.

Der Mann hat vielleicht noch keine sonderlich lange Filmographie vorzuweisen, aber traf vor drei Jahren mit „Die fetten Jahre sind vorbei“ den Nerv des Publkums und hatte bereits abermals drei Jahre zuvor mit „Das weiße Rauschen“ einen absoluten Geheimtipp abgedreht, der mit einem grandiosen Daniel Brühl in der Hauptrolle und einer beängstigend gut kreierten paranoiden Stimmung reüssierte. Er erzählt nicht einfach beliebige Geschichtchen und ist auch nicht an kurzweiliger Unterhaltungskost interessiert. Er widmet sich stets mit Köpfchen und auch einer gehörigen Portion Idealismus gesellschaftskritischen Themen. Zum Glück, denn triviales Feld beackern andere wohl hinlänglich und so bildet sein neues Werk, die Mediensatire „Free Rainer“, den von ihm offensichtlich beanspruchten Gegenpol.

Rainer (Moritz Bleibtreu) ist ein erfolgreiches Tier im Medienzirkus, wobei er nicht vor, sondern hinter der Kamera verantwortlich ist für erfolgreiche Formate eines Privatsenders, der eindeutig angelehnt ist an RTL oder ProSiebenSat1 & Co. Er führt ein Leben auf der Überholspur mit Geld, Drogen und einer ansehnlichen Frau (Simone Hanselmann). Im heftigen Auftakt, als wir ihn voll auf Droge mit seinem schnittigen Auto ohne Rücksicht auf Verluste durch die Straßen rasen sehen, versprüht Moritz Bleibtreu einen herrlichen Irrsinn. Gleichzeitig ist er zunehmend innerlich ausgebrannt und gleichgültig gegenüber dem Treiben um hin herum. Die Begegnung mit einem ihm von früher bekannten Schreiberling (Burghart Klaußner) erinnert ihn an seine früheren Tage, als er seine Seele noch nicht dem Kommerz verkauft hat und Kritik übte am System, dessen er mittlerweile ein Teil ist. Und spätestens nach einem Anschlag, in dem die junge Frau Pegah (Elsa Schulz Gambard), die unter dem skrupellosen Populismus einer von Rainer erdachten Sendung schwer zu leiden hatte, mit dem Auto in seines kracht, wird ihm gewahr, woraus eigentlich sein Job besteht und dass Deutschlands TV-Landschaft den Zuschauer zunehmend für dumm verkauft und eine Kloake aus billigstem Trashtalk, sex-sales-Masche und gegenseitiger Formatkopiererei auf allerunterster Schiene darstellt.

Alles hängt von der Quote ab.

Seine ersten Änderungsversuche schlagen natürlich fehl, weil die Einschaltquote fehlt. Niemand schaltet sein dröges Aufklärungsfernsehen ein und so wird das Format sofort wieder eingestampft. Sein Erklärungsansatz lautet: Setzt man seinem Publikum lange genug Schrott vor die Nase, gewöhnt und akzeptiert es diesen irgendwann. Und mehr noch, es fährt irgendwann richtig ab auf diesen auf „Scheiße-Fotze“-Niveau befindlichen Schund. Frustiert ob seines leicht naiven fehlgeschlagenen Versuches die Formatgestaltung seines Senders zu ändern, macht sich Rainer darüber Gedanken, wie man das Problem an der Wurzel allen Übels packen kann. Alles dreht sich um die Quote, da liegt der Hund begraben. Er beginnt die Dinge klarer zu sehen, inwieweit er noch sein eigenes Leben dabei berücksichtigt, spielt scheinbar eine untergeordnete Rolle. Nur eins ist klar, so kann und will er nicht weiter machen. Bei seinem Sender wirft er die Brocken hin und scharrt eine Gruppe desillusionierter Menschen um sich, darunter Pegah und Arbeitslose die sonst niemand haben will. Als eine Art TV-Seuchenprogramm-befreiender-Revoluzzer-Bund versuchen sie alle zusammen die in Deutschlands Wohnzimmern bei angeblich repräsentativen Zuschauern installierten Boxen, aufgrund derer die Quoten für die ganze Bundesrepublik hochgerechnet werden, unter Kontrolle zu bringen um mit einer Quotenmanipulation zu Gunsten alternativer Kultur- und Bildungssendungen für eine TV-Revolution zu sorgen, die nicht nur die Medienlandschaft ansich sondern somit die Gestaltung des Lebens und der Freizeit gleich mit verändern soll…

Das ganze mag äußerst hochtrabend klingen. Aber so sehr man Weingartner ob seines kokettierenden Mainstreamrevolutionismus auch kritisieren mag und einem „Die fetten Jahre sind vorbei" womöglich zu berechnend-provokativ vorkam, nach dem Motto „Schaut her wie hip die Moral und wie uncool der Kapitalismus ist“, so muss man doch auch wieder seinem neuesten Werk eine pfiffige Idee attestieren. Gleichwohl wandert er teilweise auf einem schmalen Grat, wenn offenkundig tiefe Symphatie mit den Figuren und damit einhergehende berechnende Empathie des Rezipienten des Öfteren in zu kitischiges Gutmenschentum und schwarzweiß-Malerei umzukippen drohen. Doch Realismus kann und soll man natürlich nicht unterstellen und - was weitaus spannender ist - die Realität wird eben wieder nur um einen kleinen Deut weitergesponnen und diese Überspitzung ist als solche klar erkenntlich und freilich unbedingt nötig, damit der Film funktioniert.

„Free Rainer“ hat sicherlich ähnliches Potential wie „Die fetten Jahre sind vorbei" und wird von sich reden machen. Und wenn der Film dies schafft, ist das Ziel wohl erreicht. Das Ganze ist zudem mit Witz inszeniert, wobei immer die Frage ist, ob man diese vermeintliche Leichtigkeit gewisser Momente als Partei ergreifender Zuschauer genießt und den Protagonisten zujubeln möchte oder sich ob der teilweise allzu scharf ideologiebehafteten Zeigefinger-Moral eher ein müdes Schmunzeln abringt. Zumindest sollte sich jeder selbst ein Bild und vor allem Gedanken machen - und das kann getrost nicht nur auf den Film sondern auf sein eigenes Sehverhalten gemünzt verstanden werden. Weingartner mag zwar selbst ein stückweit populistisch und vielleicht gar selbstverliebt und stolz auf sein Revoluzzer-Image sein. Aber das soll er ruhig, bringt er doch Schwung in die deutsche Kinolandschaft, auch wenn oder gerade weil die Themen eigentlich derart sind, dass man sich nach Sichtung des Films denkt: Na klar, eigentlich ist es doch wirklich so! Aber hat man sich das zuvor so klargemacht? Und genau dies tut Weingartner. Natürlich seinerseits übertreibend und den Gag am Ende kann er sich wiederum nicht verkneifen - aber sonst macht Satire auch wenig Sinn. Daher von meiner Warte aus: Bitte weiter so, gerne auch wieder in drei Jahren, wenn in diesem Takt weiterhin derartiges bei rumkommt. Eine Klare Empfehlung für diese gesellschaftskritische Mediensatire.

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