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„Hannibal Lecter als Revolverheld"

Können Sie uns nicht einfach gehen lassen?", fragt der 14-jährige Evans den Verbrecher Ben Wade.
Warum sollte ich das tun?" Wade scheint interessiert.
Weil Sie nicht ganz böse sind." Hoffnung auf Erlösung und Stolz auf seine Menschenkenntnis liegen in den Worten des Jungen.
Wade lässt sich Zeit mit dem verbalen Todesstoß: „Oh, doch. Das bin ich."

Todeszug nach Yuma handelt von dem Bösen in all seinen Schattierungen. Es erscheint zugleich abstoßend und verführerisch, brutal und feinfühlig, beunruhigend und faszinierend, schockierend und aufregend. All diese Facetten des Bösen kulminieren in der Figur des Outlaws Ben Wade. Als Mastermind und Kopf einer Reihe von Raub- und Banküberfällen hat er es zu einer stattlichen Berühmtheit gebracht. Allein der Klang seines Namens erzeugt allerorten eine Mischung aus tödlicher Angst und unterwürfigem Respekt. Seine Männer - selbst brutale Killer mit teilweise sadistischen Neigungen - sind im treu ergeben. Sie wissen nur zu gut, dass ihr Boss sie in punkto Gerissenheit, Einfallsreichtum aber auch Kaltblütigkeit, Brutalität und nicht zuletzt Schießkunst allesamt in den Schatten stellt.

Russel Crowe spielt diesen „Superschurken" als Hannibal Lecter des Wilden Westens. Gebildet, charmant, kultiviert und eloquent, wickelt er Freund wie Feind gleichermaßen spielerisch um den Finger, nur um dann mit scheinbar unkontrollierten Gewaltausbrüchen die eben erzielte Wirkung wieder zu torpedieren. Sein Motto ist so simpel wie brutal: „Nimm dir, was du kriegen kannst, ohne Rücksicht auf Verluste." Dies sei ohnehin die menschliche Natur. Der bibelfeste Wade ist ein lupenreiner Zyniker, für die Doppelmoral der vermeintlich Guten hat er nur Verachtung und beißenden Spott übrig. Für menschliche Schwächen hat er eine ganz feine Antenne. Seine Mitmenschen durchschaut er in Sekundenschnelle. Für die Betroffenen ist diese Analyse ob Wades schonungsloser Offenheit und eiskalter Präzision oft überaus schmerzvoll und wenig schmeichelhaft.
Als er nach einem Postkutschenüberfall geschnappt wird und zum nächstgelegenen Bahnhof eskortiert werden soll - hier wartet auf Wade die Fahrkarte zur Verhandlung und Hinrichtung in Yuma -, nutzt er seine analytischen Fähigkeiten meisterhaft, um seine Bewacher zu zermürben. Den selbstgerechten Kopfgeldjäger entlarvt er als brutalen Mörder, den Vertreter der bestohlenen Eisenbahngesellschaft als opportunistischen Feigling und einen weiteren Bewacher als dümmlichen Sadisten. Doch Bloßstellung allein ist Wade nicht genug. Schließlich können auch Verbalduelle tödlich enden. Lediglich der Farmer Dan Evans (Christian Bale) lässt sich nicht so einfach provozieren.

Der kriegsversehrte Familienvater steht kurz vor dem finanziellen Ruin. Die 200 Dollar Belohnung für die Überführung Wades sichern seine bedrohte Existenz zumindest für das nächste halbe Jahr. Aber Evans hat noch ein weiteres Motiv. Sein 14-jähriger Sohn hält den rechtschaffenen Vater für schwach - beim Postkutschenüberfall von Wades Bande griff er nicht ein -, antriebslos und bieder. Der charismatische Gangsterboss fasziniert den Halbwüchsigen weit mehr als sein vermeintlich engstirniger Vater. Für den aufbegehrenden Sohn will Evans endlich einmal etwas richtig machen und bis zum (bitteren) Ende durchziehen. Auch diese Motivation wird von Wade durchschaut und dem Betroffenen provozierend vorgehalten. Im Unterschied zum verachteten Rest der Eskorte nötigt ihm Evans Kompromisslosigkeit und Prinzipientreue allerdings auch Bewunderung und Respekt ab. Das ist durchaus konsequent. Beide fungieren jeweils als Kehrseite der Medaille des Anderen. So sind Wade und Evans dann auch die einzigen geradlinigen und authentischen Männer der Gruppe. Beide folgen unbeirrbar ihrem ureigenen (Un-)Moralkodex.

Diese Parabel über Moral und Unmoral, über die Faszination des Bösen wurde 1957 bereits schon einmal verfilmt. In Delmer Daves Zähle bis drei und bete gab Westernikone Glenn Ford den schillernden Outlaw Ben Wade und Van Heflin seinen rechtschaffenen Gegenspieler Dan Evans. James Mangold (Copland, Walk the Line) hat für sein Remake ganze Storyelemente (u.a. Postkutschenüberfall, Psychoduell im Hotelzimmer sowie Teile des Showdowns) und sogar Dialogzeilen übernommen. Trotzdem ist sein Film mehr fein nuancierte Neuinterpretation denn simple Neuauflage. Vor allem das veränderte Filmende gibt einen beredten Kommentar zur heutigen (US-amerikanischen) Auffassung von Moral und ihrer Wertigkeit.
Beiden gemeinsam ist eine vielschichtige Studie über die Anziehungskraft und den Reiz des Bösen im Vergleich zur vermeintlich langweiligen und unattraktiven Rechtschaffenheit. In beiden Filmen kommt diese im Gewand eines faszinierenden Psychoduells daher, das klar vom glänzenden Spiel der Kontrahenten lebt. Heute wie damals ist Ben Wade die interessantere, weil schillerndere Figur und damit auch der dankbarere Schauspielpart. Russel Crowe schien sichtlich Freude gehabt zu haben, nach seiner recht farblosen Cop-Rolle in American Gangster auf die andere Seite des Gesetzes wechseln zu dürfen und verleiht dem Outlaw einen faszinierend diabolischen Charme. Nur gut, dass Evans ebenfalls von einem Ausnahmedarsteller verkörpert wird. Der wandlungsfähige Christian Bale gibt eine kraftvolle Vorstellung als tragisch-melancholischer Held.

Anders als das Original - eher eine Psychostudie im Westerngewand - funktioniert Mangolds Film auch prächtig innerhalb seines Genres. Setting, Kostüme und historischer Unterbau entsprechen durchaus den aktuellen Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft. Vor allem die wenig ruhmreichen Begleitumstände des Eisenbahnbaus (Zwangsarbeit, Ausbeutung, Gewinnsucht) werden zwar kurz aber schonungslos aufgezeigt.
Die Gewalt ist unmittelbarer und brutaler als im klassischen Western (vor allem der finale Befreiungsversuch durch Wades Bande bietet drastische Bilder). Der Look staubig und dreckig. Die raue Atmosphäre wird wunderbar untermalt von Marco Beltramis ungewohnt spartanischen aber dennoch gewohnt kraftvollen Score. Stimmung und Story entwickeln sich bedächtig, entfalten aber eine eigenwillige Sogwirkung, der man sich als Betrachter nur schwer entziehen kann.

Ohne Kenntnis von Elmore Leonards Romanvorlage oder Delmer Daves Original bleibt der Zuschauer bis zum Ende im Unklaren über Ausgang und „Moral" des Geschehens. Die Sympathien wechseln permanent zwischen Held und Antiheld. Als beide Figuren beginnen sich anzunähern, steigert das eher das emotionale Dilemma des Betrachters. Ihre Beziehung bleibt dabei stets (beunruhigend) fragil. Die subtile Annäherung erscheint zu keinem Zeitpunkt stabil, gefestigt oder gar dauerhaft. Wade hat diese Entwicklung nicht nur forciert, er scheint auch jederzeit in der Lage, die (zart) geknüpften Bande wieder zu zerstören. Bis zum überraschenden Schlusstwist kontrolliert und dirigiert der ausgekochte Gangsterboss souverän das tödliche Geschehen, benutzt Freund und Feind wie Schachfiguren.
Obgleich Ben Wade beinahe über die gesamte Laufzeit als Westernversion von Hannibal Lecter in Das Schweigen der Lämmer angelegt scheint, kommen sich beide Filme zu keinem Zeitpunkt näher, als beim eben erwähnten Showdown. Ähnlich dem Horrorthriller von 1991 gibt es am Ende zwei Sieger. Und auch hier entspricht das Finale nicht unbedingt der bis dato genährten Erwartungshaltung. Die Bewertung des Ausgangs jedenfalls bleibt letztlich eine persönliche Sache und kann durchaus auch als Indikator der eigenen Moralvorstellungen funktionieren.

(8,5/10 Punkten)

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