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Die Worte „Zu neuen Ufern“ werden nur einmal im Film gesprochen und sind gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Warum sie von Regisseur Detlef Sierck, der wie in den meisten seiner Filme auch hier am Drehbuch mit geschrieben hatte, als Filmtitel genommen wurde, ergibt sich erst aus dem Gesamtkontext.

Zarah Leander spricht sie in ihrer Rolle als Theatersängerin Gloria Vane und lässt damit deutlich werden, dass sich ihre Haltung geändert hat – und zwar unumstößlich. Im Nazi-Deutschland 1937 bedeutete Haltung Alles, Grauzonen oder Möglichkeiten der Abwägung waren nicht möglich. Entweder man war dafür oder dagegen, was gleichzeitig mit Gefahr für Leib oder Seele verbunden gewesen wäre. Sierck machte aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Nationalsozialisten nie einen Hehl, aber im Gegensatz zu anderen kritisch eingestellten Regisseuren beschwor er mit seinen Filmen keine Verbote oder Verbannung herauf. Im Gegenteil – seine beiden ersten Filme mit Zarah Leander (neben "Zu neuen Ufern" noch "La Habanera" (1937)) machten diese zum umjubelten Ufa-Star der Nazi-Zeit.

Möglicherweise lag es daran, dass Sierck und Zarah Leander zum Zeitpunkt der Entstehung von „Zu neuen Ufern“ noch nicht den ganz großen Starruhm erlangt hatten. Zwar hatte Sierck mit "Das Hofkonzert" (1936) und "Schlussakkord" (1936) schon zwei populäre Filme abgeliefert, aber Zarah Leander war in Deutschland noch unbekannt. Zudem spielt die Story, die sich auf eine Romanvorlage bezieht, zuerst in London und dann größtenteils in Sidney, Australien, welches Mitte des 19.Jahrhunderts noch einen sehr unfertigen, wenig zivilisierten Eindruck hinterließ. Diese Konstellation ermöglichte Sierck Anspielungen auf bigotte und spießbürgerliche Eigenschaften der Gesellschaft und die Darstellung einer dekadenten Offiziers- und Adeligenkaste, gegen die auch die Nationalsozialisten nichts einzuwenden hatten, da hier englische Staatsbürger im Mittelpunkt standen.

Das gilt natürlich auch für alle sympathischen Charaktere, so wie das „neue Land“ Australien gleichzeitig die Chance auf einen Neuanfang symbolisierte und damit einen eventuellen Schritt "zu neuen Ufern". Es wird deutlich, dass es nicht die einmal gesprochenen Worte sind, die Sierck zum Titel erhob, sondern dass sie programmatisch über dem gesamten Film liegen. Vielleicht war es auch ein persönliches Statement, denn nur kurz danach brach Sierck selbst zu neuen Ufern auf und wanderte in die USA aus. Aber auch die Nazis hielten ihre zerstörerische Ideologie für eine zwingend notwendige Veränderung der Gesellschaft und konnten sich darin genauso bestätigt fühlen.

Das Verwirrspiel beginnt schon mit der ersten Szene, in der der Adelige Sir Albert (Willi Birgel), überlegen parlierend, einem dicklichen Bürgersohn dessen Niveaulosigkeit humorvoll vor Augen führt. Nur kurz danach befindet er sich im Theater, um der populären Sängerin Gloria Vane, seiner Geliebten, dabei zuzusehen, wie sie in gewagtem Outfit ein frivoles Lied vorträgt. Natürlich erheben sich Stimmen aus dem Volk, die ihre Verderbtheit anklagen, aber Sir Albert weiß mit wohlgesetzten Worten deren pöbelhaftem Auftreten ein Ende zu bereiten. Sierck schildert die puritanischen Moralapostel als verlogene Gesellschaft, die sich den Hals nach Gloria Vane verrenkt, gleichzeitig aber mit erhobenem Zeigefinger Anstand predigt.

Doch auch Sir Albert ist kein Musterknabe, sondern ein verarmter Schmarotzer, der den von ihm kurz zuvor noch veräppelten Bürgersohn benötigt, ihm die notwendigen Geldmittel für seine gesellschaftlichen Auftritte zur Verfügung zu stellen. Ausgerechnet als Sir Albert noch dessen Geld für die Bezahlung seiner Schulden benötigt, um nach Australien ausreisen zu dürfen, wo er sich ein neues angemesseneres Leben erhofft, weigert sich dieser erstmals, einen Scheck zu unterschreiben. So sieht er sich gezwungen, diesen zu fälschen und bricht ins gelobte Land auf, womit er nicht nur einen geprellten Freund hinterlässt, sondern auch Gloria Vane, an deren Seite sich der Frauenheld in London gerne zeigte.

Als der Scheckbetrug auffliegt und Gloria erfährt, dass ihr Geliebter in Verdacht gerät, nimmt sie spontan die Schuld auf sich, um dessen in Australien beginnende Offizierskarriere nicht zu gefährden. Sie versucht zwar noch einen Rückzug, aber ihr, einer Sängerin verdorbener Lieder, glaubt man nicht und so gelangt sie ebenfalls nach Australien, allerdings als Strafgefangene. Sir Albert, der in Australien schnell Fuß gefasst hatte und seine Karriere durch eine Beziehung mit der Tochter des Garnison-Chefs fördert, erfährt nichts von diesen Vorgängen, obwohl er nur unweit von dem Gefängnis stationiert ist.

Die Machenschaften der Offiziere scheinen überhaupt nichts mit soldatischem Leben zu tun zu haben, da man diese nur bei gesellschaftlichen Auftritten und dem nächsten geplanten amourösen Abenteuer erlebt. Nicht erstaunlich, dass Sir Albert auch in Australien sofort wieder erfolgreich ist, da er schon in London der beste Selbstdarsteller war. Während er dort aber noch sympathisch wirkte und mit seiner Intelligenz den Neureichen und dem Pöbel den Spiegel vor Augen hielt, so kommt sein Egoismus in Sidney zunehmend zum Vorschein. Als er einen Brief aus dem Gefängnis erhält, in dem ihn Gloria um Hilfe bittet, zeigt sich sein wahrer Charakter.

Die Figur des Sir Albert ist sicherlich die interessanteste, weil ambivalenteste Rolle, während Zarah Leander hier eher eindimensional als schöne Leidende angelegt ist, die fast immer mit von Gram gebeugter Haltung auftritt und scheinbar nur zum Leben erweckt wird, wenn sie ihre wunderschönen Lieder singt, wozu sie auch ausreichend Gelegenheit bekommt. Trotzdem handelt es sich bei „Zu neuen Ufern“ um kein dramatisches Trauerspiel, sondern um eine Mischung aus burlesken, komödiantischen Szenen und einer dramatischen Liebesgeschichte, getragen von einem gut aufgelegten Willi Birgel und einer tragischen Zarah Leander. Bewundernswert ist Siercks Stilsicherheit bei dem Zusammenspiel von derber Komödie, Drama und Musikstück, dass bis heute seinen unterhaltenden und abwechslungsreichen Gestus nicht verloren hat.

Seinen später prägenden, melodramatischen Stil hatte Sierck noch nicht gefunden. Den konnte er erstmals in seinem folgenden, als letztem in Deutschland vor dem Krieg gedrehten Film, „La Habanera“ demonstrieren. (8/10).

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