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Der Schleier legt sich. Langsam zwar nur, aber immerhin: Bei Zweitsichtung kann man P.T. Andersons „There will be blood“ doch so ein bisschen einordnen, während bei Erstansicht die schiere Kraft, der Allegorienreichtum dieses Monstrums von Film den Zuschauer einfach nur erdrückt. Der Versuch, dieses Werk in all seinen Facetten mit Worten wiederzugeben, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Die Tragweite dieses mehrdeutigen und vielschichtigen Mammutwerks kann man kaum begreifen, aber irgendwie muss man seine Begeisterung über einen Film, der einen auch beim zweiten Mal vollends gepackt hat, dann doch in Worte fassen.

Anderson erzählt uns die Geschichte eines Ölbarons, die 1898 beginnt und kurz vor Beginn der Weltwirtschaftskrise und der folgenden Depressionszeit endet. Es waren wohl Männer wie Daniel Plainview, die aus den Vereinigten Staaten die Weltmacht erschufen, die sie jetzt noch sind. Selbst in Zeiten der Finanzkrise, in Zeiten, in denen China und Russland wirtschaftlich längst aufgeholt haben, wenn nicht besser dastehen. Der Weg zur Weltmacht führte für die USA nur über Reichtum, der in Form natürlicher Ressourcen schon immer vorhanden war, doch es waren Leute wie Daniel Plainview, die flüssiges, schwarzes Gold in bare Münze verwandelten. Anderson lässt von der ersten Sekunde an keine Zweifel aufkommen, dass der Weg Amerikas dorthin voller Dreck und Schmutz war: Plainview steht in keiner Weise für uramerikanische Mythen. Kein Gerede vom Selbstverständnis von Freiheit und den Weg vom Tellerwäscher zum Millionär, den jeder beschreiten kann: Der Pfad zum Geld besteht bei ihm nur aus Blut, Dreck und (seelischem) Schmerz.

Dementsprechend zeigt Anderson in seiner Eingangsszene, die gute zehn Minuten ohne ein gesprochenes Wort auskommt, Plainview in jüngeren Jahren auf der Suche nach Bodenschätzen. Man fühlt sich in der ersten Einstellung (drei Hügel irgendwo in der Wüste) noch an alte Western erinnert, aber schon die kongeniale Musikuntermalung von Johnny Greenwood kündigt an, wohin die Reise geht: Zwanzig Meter tiefer, hinunter in einen dunklen, trostlosen Schacht, der doch voller Reichtum steckt.

Daniel Plainview adoptiert in dieser Zeit das Kind eines verunglückten Arbeiters und wird im Laufe weniger Jahre ein reicher Mann. Er treibt sich nicht in romantisierten Westernstädtchen mit Saloons, Hufschmieden etc. herum, sondern ist ein rücksichtsloser Kapitalist, wie er im Buche steht: Der Misanthrop arrangiert sich lediglich mit den Menschen, um an noch mehr Geld zu kommen. Seine moralischen Hürden sinken am Ende so tief, dass er als verlassener Mann in einer viel zu großen Villa haust und dort seine letzten beiden Rechnungen begleicht, die sich ausnahmsweise nicht um Geld drehen, sondern um seinen Sohn und den ewigen Rivalen. Plainview hat seine moralischen Bedenken längst der Gier verpfändet, das einzige was ihn weiter antreibt, ist sein unendlicher Hass auf die Menschheit („I have a competition in me. I want no one else to succeed. I hate most people.”), und die Aussicht, ihr irgendwann zu entkommen: „I want to earn enough money that I can get away from everyone.”
Wie Daniel Day-Lewis diesen Verfall darstellt, ist nicht mehr in Worte zu fassen. Man glaubt es ja nicht einmal, wenn man es sieht: Fast jede Szene reißt er so mühelos an sich, als wäre es nichts. Und er schafft es tatsächlich, dass man nach dem Film nicht den Eindruck hat, Day-Lewis in einer Rolle gesehen zu haben, sondern wirklich meint, hier spielte Daniel Plainview in einem Film von P.T. Anderson mit, so sehr wirken Gestik, Mimik und die Aussprache wie die eines realen Menschen. Trotz gelungener Synchronisation ist es definitiv ratsam, sich den Film im Originalton anzusehen, um alle Facetten dieser Jahrhundertleistung wahrnehmen zu können.

Wundersamerweise fällt Paul Dano demgegenüber als Prediger kaum ab, sodass es zu einem mitreißenden Duell zwischen beiden kommt, das eigentlich doch keines ist: Denn wenn sie es nötig haben, können sich beide ohne weiteres arrangieren, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Andersons vertritt dazu einen klaren Standpunkt: So weit Religion und Kapitalismus auseinander zu liegen scheinen, so groß ist doch die gegenseitige Abhängigkeit und beides kann ohne Probleme komplementär bestehen.

Doch solcherlei Nuancen fallen bei Erstansicht von „There will be blood“ kaum auf. Zu sehr muss man sich konzentrieren, um die Bedeutung eines jeden Charakters und jede Bildeinstellung richtig einordnen zu können; und es geht Anderson ja nicht nur um das Zusammenwirken von Religion und Politik, sondern da ist noch die hochkomplexe Vater-Sohn-Beziehung, die Sache mit dem plötzlich auftauchenden angeblichen Bruder Henry Plainview, Daniels Einstellung zu Frauen usw. Anderson schneidet all diese Themen nicht nur an, sondern führt sie konsequent zu Ende. Dennoch wirkt sein Film nie überladen, sondern auch dank des hervorragenden Schnitts stets stimmig. Kein Detail scheint überflüssig, sondern notwendig, um das komplexe Gesamtbild abzurunden.

Das alles erzählt Anderson mit Bildern, die genauso zeitlos sind wie seine Aussage. Tatsächlich könnte „There will be blood“ schon vor Jahrzehnten gedreht worden sein, so rein, so unverfälscht wirkt er. Es gibt keine Farbfilter, keine Stakkato-Schnitte und vor allem keinerlei Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten des Publikums. In mancher Nahaufnahme meint man, noch Landschaften in den Gesichtern der Protagonisten erkennen zu können, wie das seit den Leone-Western nicht mehr der Fall war. Das ist ein Film in seiner ursprünglichsten Form - Anderson zieht eine Kameraeinstellung auch über mehrere Minuten durch, wenn er es für nötig erachtet. Dabei gelingt ihm manche Bildkomposition schlicht und ergreifend meisterhaft:
Die Explosion des Ölturms, das Gespräch zwischen Henry und Daniel am Strand, die Fahrt von Vater und Sohn in einem uralten Automobil, verfolgt von einer auf Eisenbahnschienen montierten Kamera, oder auch die letzten Einstellungen des Films: Fast schon surreal, inklusive Plainviews jetzt schon legendärer „Milkshake“-Allegorie und den Schlussworten „I’m finished!“. Doch das sind nur wenige Beispiele aus einem Film, in dem man kaum eine Szene findet, die man wegschneiden hätte können, ohne damit etwas Elementares zu zerstören.

Zu einem letztendlich perfekten Gesamtbild trägt dann auch noch Johnny Greenwoods Filmmusik bei, die oft völlig konträr zu den visuellen Eindrücken steht. Den Westen zu dieser Zeit verbindet man immer noch unweigerlich mit Kompositionen von Morricone, Bernstein und Co. Greenwood dagegen unterlegt das Breitwandgeschehen mit verstörenden Klängen, welche die unheilvolle Entwicklung dieser Geschichte vorwegnehmen und einem das ein oder andere Mal die Nackenhaare zu Berge stehen lassen.

Anderson zieht seinen Stil radikal bis zum Schluss durch: da gibt es nichts, was darauf hindeutet, es könne ein gutes Ende mit Daniel Plainview nehmen. Der Regisseur nimmt seine Figuren todernst, eine ironische Distanz wie beim fast zeitgleich erschienen Coen-Meisterwerk „No Country for old Men“ ist nie zu spüren. Kaum ertragbar ist folglich die Szene zum Schluss, als Plainview seinem tauben Adoptivsohn die Wahrheit seiner Herkunft mit einer Konsequenz ins Gesicht schleudert, dass man fast wegschauen muss. Plainview, längst ein von Gier, Hass und Alkohol zerfressenes Wrack, hat daraufhin seinen letzten großen Auftritt im Duell mit Prediger Eli. Es ist diese Szene, welche dem Gesamtwerk von Andersons Meisterwerk den letzten Schliff verleiht, die man aber beim ersten Mal kaum einzuordnen vermag.

„There will be blood“ als ‚sperrig’ zu bezeichnen wäre fast noch untertrieben; der Film scheint vor Klasse fast überzulaufen, ist aber so gegen sämtliche Sehgewohnheiten gebürstet, dass sich nur wenige Leute ins Kino verirrten. Doch wie immer bei Anderson, bekamen die paar Besucher einen außergewöhnlichen Filme zu sehen, der sich nicht nur lohnt, sondern das vielleicht am nachhaltigsten wirkende Werk der jüngeren Kinoära ist. Und der Film ist definitiv für das Kino gedreht, nicht für den Fernsehschirm, sei er noch so groß und flach.

Was immer Anderson jetzt noch anpackt, er muss sich an diesem Werk messen lassen. Es wird nicht mehr reichen, zwischendurch einen „nur“ guten Film wie „Punch-Drunk Love“ abzuliefern, der im Vergleich wie eine flapsige Fingerübung aussieht. Ein bleischweres Meisterwerk, irgendwo zwischen „2001“ „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Wall Street“ und „Blade Runner“. Und doch ganz anders. Die Schublade, in die sich das hier stecken ließe, muss erst noch erfunden werden.

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